Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schuld ist immer Assad

Großbritannien verzichtet lieber auf Syrien-Erklärung der UNO, als auch Kritik an Aufständischen zuzulassen. Kämpfe verzögern Abtransport chemischer Waffen

Von Karin Leukefeld *

Großbritannien hat im UN-Sicherheitsrat eine Erklärung zu Syrien zurückgezogen, nachdem sich das Gremium nicht über von Rußland eingebrachte Änderungsvorschläge hatte einigen können. Der Entwurf der Briten sah eine Verurteilung der syrischen Regierung für Luftangriffe auf Teile der Stadt Aleppo seit Mitte Dezember letzten Jahres vor. Moskau wollte in der Resolution auch die Attacken von bewaffneten Aufständischen genannt haben, um eine einseitige Schuldzuweisung zu vermeiden. Dafür konnte im UN-Sicherheitsrat kein Konsens gefunden werden.

Moskau kritisiert seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien die einseitige Schuldzuweisung westlicher und arabischer Staaten, vor allem der Golfmonarchien, die seit Herbst 2011 in der von den USA gebildeten Gruppe der »Freunde Syriens« zusammenarbeiten. Rußland und China haben diese Allianz, die wie eine Art Parallelstruktur der UNO agiert, von Anfang an als einseitig bezeichnet. Diese Kritik wiederum wird von den »Freunden Syriens« und westlichen Medien als »Blockadepolitik« dargestellt.

Nicht erwähnt wurden in westlichen Mainstreammedien beispielsweise Überfälle bewaffneter Gruppen in Adra bei Damaskus. Seit Mitte Dezember werden dort Einwohner und Arbeiter staatlicher Betriebe von Aufständischen drangsaliert und ermordet.

Der syrische Vertreter bei der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW), Bassam Sabbagh, berichtete am Mittwoch darüber hinaus von Angriffen bewaffneter Gruppen auf zwei Lagerstätten von Chemiewaffen in Syrien. Diese sollen derzeit unter Aufsicht der Organisation abtransportiert und vernichtet werden. Die Information wurde von der New York Times unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten EU-Botschafter verbreitet. Die syrische Regierung hat bisher die Angriffe nicht offiziell bestätigt. Allerdings hieß es bereits Ende Dezember 2013, daß Kämpfe in Homs teilweise in unmittelbarer Nähe von Lagerstätten chemischer Waffen stattgefunden hätten.

Die Kämpfe zwischen den syrischen Streitkräften und Aufständischen sind der Hauptgrund dafür, daß sich der Abtransport der Chemiewaffen verzögert. Dennoch sei man überzeugt, daß die syrische Regierung es sehr ernst meine mit ihrer Kooperationsbereitschaft und die Waffen »so schnell wie möglich vernichten« wolle, sagte die Leiterin des Programms, die holländische UN-Diplomatin Silvia Kaag, am Dienstag bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Am gleichen Tag konnte die erste Ladung von chemischen Waffen in der Hafenstadt Lattakia auf einen dänischen Spezialfrachter verladen werden. Das Schiff stach in Richtung Italien in See. Auch Norwegen und Rußland beteiligen sich an dem Abtransport der Kampfstoffe.

Entgegen früheren Erklärungen wird sich nun auch Deutschland an der Giftstoffvernichtung beteiligen. Das Auswärtige Amt teilte am Donnerstag mit, Berlin sei bereit, einen »substanziellen Beitrag« zu leisten. Man sei »Willens und in der Lage, Reststoffe, die im Zuge der irreversiblen Neutralisierung chemischer Kampfstoffe aus Syrien entstehen und Industrieabfällen ähneln, in Deutschland zu vernichten«. Die Arbeit werde von der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten im niedersächsischen Munster durchgeführt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 10. Januar 2014


Niederlagen für ISIS

Syrien: Frühere Mitkämpfer schlagen islamistische Terroristen in die Flucht. USA und Saudi-Arabien wollen Kampf gegen Assad fortsetzen

Von Karin Leukefeld **


Bei einem Autobombenanschlag in der syrischen Provinz Hama sollen am Donnerstag nach Angaben der Opposition mindestens 18 Menschen getötet worden sein, darunter Frauen und Kinder sowie Mitglieder einer regierungstreuen Miliz. Die Explosion, die bis in die nahegelegene Stadt Hama zu hören war, ereignete sich demnach in der Nähe der Schule des Dorfes Kafat. Auch das syrische Staatsfernsehen berichtete über den Anschlag, danach wurden dabei 16 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt.

Nachrichtenagenturen melden derweil unter Berufung auf bewaffnete Gruppen, daß Kampfverbände der »Islamischen Front« ihren ehemaligen Mitkämpfern der Gruppe »Islamischer Staat in Irak und Syrien« (ISIS) in den letzten Tagen in und um Aleppo schwere Niederlagen zugefügt haben sollen. Angeblich sollen sich die ISIS-Einheiten von dem Grenzübergang zur Türkei, Bab Al-Hawa, zurückgezogen haben. Über diese Grenze werden Waffen, Kämpfer und Hilfsgüter nach Syrien gebracht. Auch das ISIS-Hauptquartier in Aleppo – ein Kinderkrankenhaus – hätten die Kämpfer verlassen. In der ostsyrischen Stadt Deir Ezzor sollen die ISIS-Kämpfer der »Islamischen Front« sogar kampflos ihren Stützpunkt übergeben haben, heißt es in einer dpa-Meldung unter Berufung auf das der Opposition nahestehende Internetportal All4Syria.

Nach ersten erfolglosen Versuchen der USA, die Kämpfer von der »Islamischen Front« unter das Oberkommando der »Freien Syrischen Armee« (FSA) zu stellen, scheint sich das Blatt nun gewendet zu haben. Die libanesische Tageszeitung As Safir berichtete am Dienstag, daß der saudische Geheimdienst im Dezember ein Treffen in Mekka organisiert habe, bei dem salafistische Prediger ihre Unterstützung für ISIS zurücknahmen, ohne allerdings ein religiöses Urteil (Fatwa) gegen ISIS zu fällen. Der wiedergewählte Präsident der »Nationalen Koalition«, Ahmed Dscharba, bezeichnete kurz darauf ISIS als »Produkt des syrischen Regimes« und legitimierte damit die Angriffe der Islamischen Front auf ISIS. Vieles deutet darauf hin, daß die US-Administration nach dem Zerfall der »Freien Syrischen Armee« die »Islamische Front« nun als militärischen Arm der von ihr unterstützten oppositionellen Nationalen Koalition (Etilaf) etablieren will und dafür die Unterstützung Saudi-Arabiens erhält. Bei dem derzeitigen Kampf zwischen der »Islamischen Front« und ISIS handelt es sich allerdings um einen Bruderkrieg. Sowohl die wichtigsten Kampfverbände der »Islamischen Front« als auch die Kampfverbände der ISIS werden von Saudi-Arabien bewaffnet und finanziert. So oder so will das saudische Königshaus den Kampf gegen die syrische Regierung und deren Bündnispartner Iran fortsetzen.

Ob der US-saudische Plan – die »Islamische Front« als Nachfolger der FSA als militärischen Bündnispartner zu etablieren – aufgeht, dürfte nach Ansicht von As-Safir allerdings davon abhängen, ob es dem Irak gelingt, die Angriffe von ISIS in der Provinz Anbar zu stoppen. Die USA hat Bagdad dafür die Lieferung von Raketen, Drohnen und Kampfhubschraubern zugesagt.

** Aus: junge Welt, Freitag, 10. Januar 2014


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Syrien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage