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Kein Dammbruch – aber auch kein Ruhmesblatt

Von Peter Strutynski *

Wenn man sich so manchen Leserbrief in einschlägigen linken Zeitungen oder Blogs ansieht, könnte man meinen, da sei wieder einmal eine Partei, die einst für Frieden und Antimilitarismus angetreten ist, den Weg der GRÜNEN gegangen. Das Verhalten der Linksfraktion bei der Abstimmung im Bundestag über den Bundeswehreinsatz zur Begleitung der Chemieaffenvernichtung im Mittelmeer sei ein „Dammbruch“ gewesen. Technisch betrachtet wird bei einem Dammbruch ein Damm (oder ein Deich) derart beschädigt, dass die undicht gewordene Stelle sich rasant vergrößert, immer mehr Wasser über den Damm strömt und ihn weiter zerstört. Betrachten wir nun das Malheur der Linksfraktion, so muss nüchtern festgestellt werden, dass 35 Abgeordnete gegen den Auslandseinsatz stimmten, 18 sich der Stimme enthielten und fünf für den Antrag der Bundesregierung die Hand hoben. Fest steht, dass dies das erste Mal ist, wo es Stimmen aus dem Lager der Linken gab, einen Bundeswehreinsatz gut zu heißen. Enthaltungen hatte es dagegen schon einmal gegeben. Das war im Jahr 2007, als es um einen Unterstützungseinsatz für die Überwachungsmission der Afrikanischen Union in Darfur (Sudan) ging. Neu sind also die Ja-Stimmen. Es sind zwar „nur“ fünf, aber im Sinne der unwiderlegbaren Lebensweisheit „Wehret den Anfängen“ können die schon ein Alarmsignal aussenden.

Für die friedenspolitische Debatte plädiere ich dennoch dafür, den Ball flach zu halten. Betrachten wir das Abstimmungsergebnis einmal von einer anderen Seite. Der Fraktionsvorsitzende Gysi und sein Stellvertreter van Aken haben versucht, die Fraktion auf eine Enthaltung einzuschwören. Die Argumentation lautete: Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist ganz eindeutig ein Abrüstungsschritt, dem sich die Friedenspartei Die Linke nicht verschließen dürfe. Also: Ja! Andererseits sei die Antikriegspartei grundsätzlich gegen Auslandseinsätze. Also: Nein! Wenn sich nun das Ja und das Nein gleichberechtigt gegenüberstehen, sei die Enthaltung eine logische und elegante Lösung. Dass der ganze Einsatz von der Sache her überflüssig war wie ein Kropf, hätte Gysi eigentlich auch wissen müssen. Wollte er die Enthaltung, damit die Fraktion die Rolle des ewigen Nein-Sagers abstreift und sich „realpolitischen“ Optionen öffnet? Es spricht nicht nur für den Eigensinn, sondern auch für die gefestigte militärkritische Überzeugung des Großteils der linken Abgeordneten, dass sie sich auf die Logik der Fraktionsführung nicht eingelassen haben und in der Fraktion die Freigabe der Abstimmung erzwangen. Jan van Aken hatte die undankbare Aufgabe, in der Bundestagsdebatte für die Enthaltung zu plädieren und bei der Abstimmung feststellen zu müssen, dass ihm die Mehrheit der Fraktion die Gefolgschaft versagte. Dass darunter nicht nur die ausgewiesenen Friedenspolitiker/innen waren, sondern auch die Parteivorsitzende Katja Kipping, und dass sich der Co-Vorsitzende Bernd Riexinger, selbst nicht im Parlament, ebenfalls zu dem Nein der Mehrheit bekannte, deutet auf eine stabile Antikriegsposition in Fraktion und Partei hin.

Dies umso mehr, als das Trommelfeuer von Seiten der politischen Klasse und der Medienmacht dieses Mal gewaltig war. Und die fünf Ja-Sager (unter ihnen Stefan Liebich und Dietmar Bartsch) gehören doch schon länger zu den üblichen Verdächtigen, wenn es um die außen- und sicherheitspolitische Annäherung an SPD und GRÜNE geht, um dereinst regierungsfähig zu werden. Aus friedenspolitischer Sicht – und nur die möchte ich hier anlegen – ist ein solcher Realo-Kurs kein Ruhmesblatt für die Linkspartei.

Zurück zum Dammbruch. Innerhalb einer Woche hat der Bundestag sage und schreibe drei Auslandseinsätze durchgewinkt. Da ging es ein paar Tage vor dem Chemiewaffeneinsatz um die Ausbildungsmission in Somalia und – einen Tag danach – um den Unterstützungseinsatz in der Zentralafrikanischen Republik. In beiden Fällen hat die Linksfraktion geschlossen mit Nein gestimmt. Wäre die Abstimmung am Mittwoch ein „Dammbruch“ gewesen, dann hätte am Donnerstag die Nein-Front weiter aufgeweicht werden müssen. Tat sie nicht. Wer also die Linkspartei schon auf der Rutschbahn in den militär- und interventionsfreundlichen Konsens der Herrschenden wähnt, tut weder den antimilitaristischen Kräften dieser Partei noch der Friedensbewegung einen guten Dienst. Beide dürften künftig noch mehr aufeinander angewiesen sein – auch um es nicht zu einem Dammbruch kommen zu lassen. Vor allem wird es darauf ankommen, die außerparlamentarischen Friedensaktivitäten zu verstärken und die kriegskritische Bevölkerung auf die Straße zu bringen.

* Peter Strutynski, Kassel, ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Dieser Beitrag erschien - leicht gekürzt - als Gastkommentar in der Wochenzeitung uz-unsere zeit vom 18. April 2014



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