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Einige LINKE sagen erstmals Ja zu Auslandseinsatz

Abstimmung über Chemiewaffenmission freigegeben *

Im Bundestag werden am Mittwoch erstmals mehrere LINKE-Abgeordnete für einen Bundeswehreinsatz im Ausland votieren. Die Fraktion entschied sich, die Abstimmung über die Entsendung einer deutschen Fregatte zum Schutz der Chemiewaffenvernichtung im Mittelmeer freizugeben. Fraktionsvize Dietmar Bartsch sagte, die LINKE sei einmütig für die Vernichtung der Chemiewaffen. Strittig sei aber, ob dies von einer deutschen Fregatte bewacht werden müsse.

Mehrere Abgeordnete halten den Einsatz für richtig, weil es sich um eine Abrüstungsmission handelt. Der Außenpolitiker Stefan Liebich sagte dem »nd«, er wolle mit Ja stimmen. Der These vieler Kritiker des Bundeswehreinsatzes, dass es sich dabei um einen Türöffnereinsatz für die LINKE handeln könne, widersprach er. Der Konsens innerhalb der Fraktion gegen andere Bundeswehreinsätze werde dadurch nicht infrage gestellt.

Andere Abgeordnete wollen mit Nein stimmen, weil sie eine weitere Militarisierung der deutschen Außenpolitik befürchten. Zu ihnen zählt Sevim Dagdelen. Sie sagte dem RBB-Sender Radio Eins, sie unterstütze die zivile Vernichtung der syrischen Chemiewaffen, die auch in Deutschland stattfindet. Das geplante Mandat sei aber »mehr als dubios«. Sie sei gegen ein Bundeswehrengagement, das ein »Kriegseinsatz durch die Hintertür« sein könne.

Wie genau das Kräfteverhältnis zwischen Befürwortern und Gegnern ist, blieb unklar. Eine Probeabstimmung gab es nicht. Es wurde aber erwartet, dass die Nein-Stimmen die Ja-Stimmen deutlich übertreffen werden, und dass es viele Enthaltungen geben wird.

Die Bundesregierung will eine Fregatte mit bis zu 300 Soldaten entsenden, um die Vernichtung des Giftgases aus Syrien auf einem amerikanischen Schiff vor der italienischen Küste zu schützen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. April 2014


Mindestens 15 Nein-Stimmen

Linksfraktion streitet über Chemiewaffenmission

Von Aert van Riel **


Die Linksfraktion hat keine einheitliche Meinung zur Chemiewaffenmission der Bundeswehr im Mittelmeer gefunden. Nach einer Fraktionsdebatte wurde deutlich, dass einige Abgeordnete sich enthalten, einige mit Ja und andere mit Nein stimmen werden. Der Bundestag wird das Mandat zum Einsatz im Rahmen der Vernichtung syrischer Chemiewaffen am Mittwoch beschließen. In der Fraktionssitzung der LINKEN wurde beschlossen, dass es für die Abgeordneten keine Abstimmungsempfehlung geben wird. Teilnehmer berichteten von einer nicht einfachen Diskussion. Man ist sich einig, dass die Waffen zerstört werden müssen. Strittig war aber, ob dies von einer deutschen Fregatte bewacht werden solle.

Fraktionsvize Dietmar Bartsch und Fraktionschef Gregor Gysi hatten vor kurzem für eine Enthaltung aller Abgeordneten plädiert. Auch Parlamentsgeschäftsführerin Petra Sitte hatte in der vergangenen Woche ihre Enthaltung angekündigt. Mehrere Abgeordnete wollen außerdem für den Einsatz stimmen. Dazu zählt der Außenpolitiker Stefan Liebich, der in der Fraktion für ein Ja geworben hatte. »Ich finde es richtig, dass Deutschland sich an der Vernichtung der Chemiewaffen beteiligt«, sagte Liebich dem »nd«. Der Konsens in der Linksfraktion gegen andere Bundeswehreinsätze, wie etwa in Afghanistan und Somalia, werde dadurch nicht infrage gestellt.

Dagegen haben 15 Abgeordnete der Linksfraktion in einem Positionspapier ihre Ablehnung des Bundeswehreinsatzes begründet. Der Abgeordnete Niema Movassat teilte im sozialen Netzwerk Facebook mit, »dass noch mehr« Parlamentarier der LINKEN »mit Nein stimmen werden«. Das Papier wurde unter anderem von Sevim Dagdelen, Heike Hänsel, Inge Höger, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Ulla Jelpke und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht unterzeichnet. »Vor dem Hintergrund der Beendigung der militärischen NATO-Russland-Kooperation, einer neuen Eskalation der USA, Saudi-Arabiens und der Türkei und der möglichen Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen Syrien ist äußerste Vorsicht geboten«, heißt es darin. In dieser Situation sei es fahrlässig, der Regierung mit einer Enthaltung oder einer Zustimmung eine unwidersprochene carte blanche für ihren Militäreinsatz zu erteilen.

Auch Vertreter der AG Friedensforschung und des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, Lühr Henken und Werner Ruf, lehnen den Einsatz ab. In einem offenen Brief an die Linksfraktion bezeichnen sie das Engagement der Bundeswehr als »überflüssig«. Terroristen wären nicht in der Lage, das US-Schiff, das die Umwandlung der chemischen Kampfstoffe in harmlosere Substanzen vornehmen soll, zu kapern. Die Friedensaktivisten äußerten den Verdacht, die Bundesregierung wolle »militärische Einsätze im Ausland auf eine breitest mögliche parlamentarische Basis stellen und einen Präzedenzfall schaffen, um die bisherige Ablehnung solcher Einsätze durch die LINKE aufzuweichen«. Sollte dies gelingen, würde das in den Reihen der Friedensforschung und der Friedensbewegung »Irritationen« auslösen.

Die LINKE hat bisher fast immer geschlossen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr gestimmt. Einzige Ausnahme war die Abstimmung über eine Beratermission im Sudan, bei der sich einige Abgeordnete enthielten.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. April 2014


Gysis bunte Truppe

Bundestagsfraktion der Partei Die Linke stellt Abstimmung über Entsendung eines Kriegsschiffs zu Auslandseinsatz frei. Einige Abgeordnete kündigen ihr Ja an

Von Arnold Schölzel ***


Im Bundestag werden an diesem Mittwoch erstmals mehrere Linke-Abgeordnete für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr stimmen. Die Fraktion entschied sich am Montag, die Abstimmung über die Entsendung einer deutschen Fregatte, die angeblich zum Schutz der Vernichtung syrischer Chemiewaffen im Mittelmeer benötigt wird, freizugeben. Mehrere Vertreter des rechten Flügels der Fraktion halten das Mitmischen deutscher Soldaten für richtig, weil es sich um eine Abrüstungsmission handele. Zahlreiche Abgeordnete um die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht sind dagegen, weil sie eine weitere Militarisierung der Außenpolitik befürchten. Das genaue Kräfteverhältnis in der Fraktion blieb unklar, es gab keine Abstimmung. Fraktionschef Gregor Gysi hatte zuvor für Enthaltung geworben.

Das von der Bundesregierung in der vergangenen Woche beschlossene Mandat sieht vor, daß die Bundeswehr mit 300 Soldaten und einer Fregatte den Einsatz des US-Spezialfrachters »Cape Ray« schützen soll. Auf dem Schiff sollen im Mittelmeer die syrischen Chemiewaffen durch das sogenannte Hydrolyseverfahren unbrauchbar gemacht werden. Bei der Abstimmung am Mittwoch wird mit breiter Unterstützung von Union, SPD und Grünen für den Einsatz gerechnet.

Die Linke hat bisher fast immer geschlossen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr gestimmt. Einzige Ausnahme war die Entscheidung über eine Beratermission im Sudan, bei der sich einige Abgeordnete enthielten. Für SPD und Grüne gilt die Haltung der Linken zu den Entsendungen der Bundeswehr als Haupthindernis für eine Koalition auf Bundesebene.

15 linke Parlamentarier, darunter Sahra Wagenknecht, verbreiteten am Montag ein Positionspapier, in dem eine Zustimmung abgelehnt wird. Die Verfasser begründen dies u. a. mit dem Hinweis: »Bei der SPD war der Türöffner für Auslandseinsätze der Bundeswehr die Zustimmung zum Sanitätseinsatz in Kambodscha 1992. Wir möchten nicht, daß für Die Linke der Einsatz einer Fregatte im Mittelmeer Öffner für eine Zustimmung zu Auslandseinsätzen wird.« Im Kontext »einer verstärkt militarisierten Außenpolitik« stünden Auslandseinsätze für »eine verfehlte deutsche Außenpolitik, die auf Weltgeltung mittels der Entsendung deutscher Soldaten setzt«. Die Abgeordneten verweisen außerdem auf die Beschlußlage der Partei. So fordert das 2011 in Erfurt verabschiedete Grundsatzprogramm »den sofortigen Rückzug aller Soldatinnen und Soldaten aus Auslandseinsätzen«.

Vor der Fraktionssitzung hatten sich zahlreiche Initiativen, lokale Organisationen der Partei Die Linke und Einzelpersonen an die Fraktion gewandt und gefordert, mit Nein zu stimmen. Mehr als 260 Sympathisanten und Mitglieder der Partei, darunter der Liedermacher Konstantin Wecker, der Publizist Eckart Spoo, der Theologe Heinrich Fink, die Malerin Heidrun Hegewald und der Regisseur Manfred Wekwerth, unterzeichneten einen offenen Brief. Darin erklären sie »die friedenspolitischen Grundsätze der Partei Die Linke müssen unangetastet bleiben« (Wortlaut siehe Seite 3). Die Friedensforscher Lühr Henken, Werner Ruf und Peter Strutynski charakterisierten in einer Stellungnahme den Einsatz als »überflüssig«. Es gebe für sie keinen »erkennbaren Grund«, die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen »mit einer militärischen Komponente von seiten der Bundesrepublik Deutschland zu begleiten«.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 8. April 2014


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