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Iran doch nicht bei Syrien-Treffen

Syrische Opposition jubelt, Russland kritisiert Ausladung von Friedenskonferenz durch Ban Ki Moon

Von Roland Etzel *

Teheran hat enttäuscht auf die Entscheidung reagiert, Iran von der Syrien-Konferenz wieder auszuladen. Auch Experten und Politiker äußern sich überwiegend skeptisch.

Richtungswechsel in der Nacht zum Dienstag: Hatte UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon noch am Montag die iranische Regierung nach langem Hin und Her zur Teilnahme an der Syrien-Friedenskonferenz am heutigen Mittwoch in der schweizerischen Stadt Montreux eingeladen, so folgte Stunden später der Rückzieher.

Jene Exilvertreter der syrischen Opposition, die ein derartiges Ultimatum gestellt und anderenfalls mit Boykott gedroht hatten, feierten dies als Sieg. Die Nationale Syrische Allianz erklärte in Istanbul, Iran hätte an den Friedensgesprächen nicht teilnehmen können, da es die bereits festgelegten Bedingungen für eine Beendigung des Bürgerkrieges nicht akzeptiert habe. Das sogenannte Genf-1-Dokument sieht unter anderem einen Waffenstillstand und die Bildung einer Übergangsregierung vor.

Die iranische Führung gab sich gelassen. »Die Ausladung erfolgte wohl unter politischem Druck und war daher ein sehr bedauerlicher und enttäuschender Schritt,« sagte Außenamtssprecherin Marsieh Afcham am Dienstag laut dpa. Iran habe sich nie aufgedrängt und zu keiner Zeit irgendwelche Vorbedingungen akzeptiert. Daher seien auch die Gründe für die Ausladung definitiv andere als die vom Generalsekretär erwähnten. Russlands Außenminister nannte die Ausladung einen Fehler. »Ich bedauere, dass diese ganze Geschichte auch nicht zur Autorität der UNO beiträgt«, sagte Sergej Lawrow.

Die Bundesregierung mochte sich nicht recht dazu verhalten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der in Montreux dabei sein wird, erklärte lediglich seine Befriedigung darüber, dass die syrische Opposition nun mit am Tisch sitze.

Die Opposition wurde deutlich. Sevim Dagdelen, für die LINKE Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, verlangte von der Bundesregierung, den Ausschluss Irans zu kritisieren. Dies sei ein »Rückschlag für die Friedensbemühungen«.

Von »nd« befragte deutsche Nahostexperten äußerten sich überwiegend skeptisch. Der Publizist Michael Lüders erklärte, »egal was man von der iranischen Politik hält, es ist unklug, einen wichtige Akteur von der Konferenz auszuschließen«. Die Entscheidung habe ihn zudem überrascht. Es habe »offenbar ein Hauen und Stechen hinter den Kulissen gegeben, und UNO-Generalsekretär Ban hat man dabei nicht gut aussehen lassen«.

Der Islamwissenschaftler Prof. Udo Steinbach bezeichnete die Ausladung Irans ebenfalls als Fehler; auch mit Blick darauf, »dass ein politischer Prozess zur Ablösung des Assad-Regimes intendiert werden sollte. Syriens Präsident Assad wird sich nicht von der Macht lösen, solange er auf seine beste Freunde zählen kann. Dazu gehört Iran. Eine Teilnahme Irans wenigstens an der Eröffnung hätte Teheran die Möglichkeit gegeben, sein Festhalten an Assad zu überdenken.«

Behrouz Khosrozadeh vom Göttinger Institut für Demokratieforschung betrachtet die Angelegenheit aus anderem Blickwinkel. Eine Teilnahme Teherans, das verantwortlich sei für Assads Verbleib an der Macht, so der gebürtige Iraner, »wäre den Erfolgsaussichten der Konferenz nicht förderlich. Für die Teilnahme Teherans wäre eine explizite Zustimmung der Genf-1-Konferenz erforderlich gewesen.«

Die Organisation Human Rights Watch hat in ihrem am Dienstag veröffentlichten World Report für das vergangene Jahr den Vorwurf erhoben, die Staaten hätten in Syrien versagt. Es sei zu wenig getan worden, um die Gräueltaten zu beenden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte der geschäftsführende Direktor der Organisation, Kenneth Roth, bei der Vorstellung des World Report 2014 am Dienstag in Berlin. Der Bericht verweist auch auf Menschenrechtsverletzungen verschiedenster Art u.a. in der Türkei, der Ukraine und Ägypten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Januar 2014


Konferenz erschwert

Stellungnahme des russischen Außenministeriums zur Entscheidung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, die Einladung an den Iran zur internationalen Syrien-Konferenz (Genf-II-Konferenz) zu widerrufen:

"Moskau ist enttäuscht von der Entscheidung des UN-Generalsekretärs, den Iran von der internationalen Syrien-Konferenz, die am 22. Januar im schweizerischen Montreux stattfinden soll, auszuladen. Wir finden, daß ein derartiger Schritt die internationalen Bemühungen zur Lösung der Krise in Syrien schwächen wird. Wir haben mehrfach erklärt, daß an der bevorstehenden Genf-II-Konferenz alle maßgeblichen Staaten, die Einfluß auf die Entwicklung der Ereignisse in Syrien nehmen, teilnehmen sollen. (…) Auch Teheran hat abermals seine Bereitschaft zur Teilnahme am Prozeß der Ausarbeitung einer friedlichen Lösung des syrischen Problems im Rahmen der Genf-II-Konferenz bekräftigt. Leider hat die syrische Opposition durch das kontinuierliche Stellen von Ultimaten und Vorbedingungen, von denen sie ihre Teilnahme an der Genf-II-Konferenz abhängig macht, die Vorbereitungen zur Konferenz ein weiteres Mal erschwert. (...)"




Seebühne für Syrienrunde eins

Heute Montreux, morgen Genf und übermorgen hoffentlich fruchtbringende Verhandlungen

Von Karin Leukefeld, Montreux **


Die Vorbereitung der Syrien-Konferenz in Montreux gestaltete sich schwierig. An diesem Mittwoch soll es endlich losgehen.

Nichts geht mehr in Montreux, der idyllischen Stadt am Genfer See. Die Seepromenade um das altehrwürdige Hotel Montreux Palast ist geschlossen, Busse werden umgeleitet, Geschäfte bieten ihre Produkte zum Ausverkaufspreis an. Weiträumige Absperrungen machen es selbst für die Heerscharen von internationalen Journalisten schwierig, den Eingang zum Pressezentrum im örtlichen Konferenzzentrum zu finden. Unweit des Ufers patrouillieren Boote der Polizei, Hubschrauber kreisen über dem Ort. 1000 Medienvertreter aus aller Welt hätten sich angekündigt, erklärt ein freundlicher Mitarbeiter der Vereinten Nationen, eine technische Herausforderung erster Güte.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat am Dienstag einen dichten Terminkalender. Nach Gesprächen mit den chinesischen und syrischen Regierungsdelegationen ist ein Treffen zwischen Lawrow und US-Außenminister John Kerry vorgesehen. Anschließend werden Lawrow und Kerry mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Ablauf für diesen Mittwoch beschließen. Ob die Termine eingehalten werden können, ist fraglich. Die syrische Regierungsdelegation, deren Flugzeug in Athen zum Auftanken zwischenlanden musste, wurde dort aus unerfindlichen Gründen stundenlang aufgehalten. Der Delegation gehören u. a. Außenminister Walid Mouallem, sein Stellvertreter Feisal Mekdad, die Präsidentenberaterin Bouthaina Schaaban, der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen Bashar al-Dschafari sowie Informationsminister Omran al-Zoubi an.

Leichter gestaltete sich die Anreise für Vertreter der Delegation der oppositionellen Nationalen Koalition, von denen etliche am Dienstag schon eingetroffen waren. 15 Personen werden unter Leitung von Ahmed al-Dscharba, dem Präsidenten der Nationalen Koalition, an den Gesprächen teilnehmen. Mit dabei sind auch die in Deutschland bekannten Michel Kilo und Haitham Maleh sowie vier Vertreter bewaffneter Gruppen, die in Syrien agieren. Der Syrische Nationalrat (SNR) hat aus Protest gegen die Teilnahme an den Gespräche seinen Austritt aus der Koalition erklärt.

30 Staaten hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zu dem eintägigen Treffen in Montreux eingeladen, auch die Arabische Liga und die EU sind dabei. Am Donnerstag wird die Karawane nach Genf weiterziehen, wo am Freitag die eigentlichen Gespräche der syrischen Delegationen unter dem Vorsitz der Vereinten Nationen beginnen sollen. Das eintägige Treffen in Montreux ist nach Einschätzung politischer Beobachter vor allem als Zeichen von Washington und Moskau zu werten, dass man sich zumindest darin einig ist, alle Kriegsparteien in Syrien auf einen politischen Prozess zu verpflichten. Wie dieser Prozess im Einzelnen organisiert werden soll, bleibt abzuwarten. Vor allem die zwiespältige Haltung Saudi-Arabiens und die Ausgrenzung Irans lassen Fragen offen.

Einen Tag vor Beginn der Gespräche in Montreux wurde über britische und US-Medien ein Bericht verbreitet, in dem der syrischen Führung »systematische Folter« in den Gefängnissen vorgeworfen wird. Unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten syrischen Militärpolizisten, der sich aus Syrien abgesetzt hatte, haben drei ehemalige internationale Staatsanwälte den entsprechenden Bericht zusammengestellt. Der Mann soll 55 000 digitale Bilder von 11 000 getöteten Gefangenen vorgelegt haben.

Der Bericht, der auf den Onlineseiten der Medien (Guardian, BBC, CNN) gelesen werden kann, wurde von den früheren UN-Chefanklägern Desmond de Silva (Sondertribunal Sierra Leone), Geoffrey Nice (Sondertribunal Slobodan Milosevic) und David Crane (Sondertribunal Charles Taylor) im Auftrag des Golfemirats Katar verfasst. Katar gehört neben Saudi-Arabien und Türkei zu den Staaten, die bewaffnete Gruppen in Syrien unterstützen. De Silva sagte dem britischen »Guardian«, es gäbe Beweise, dass die syrische Armee »in industriellem Maßstab morde«. David Crane erklärte, man wisse nun, was mit »Verschwundenen passiert« sei. Der Informant sei »glaubwürdig«, er habe sein Material auch der UNO, Menschenrechtsgruppen und Regierungen vorgelegt.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Januar 2014


Störfeuer gegen Frieden

Syrien-Konferenz beginnt. Von Katar bestellter Bericht über massenhafte Folter und Ausladung des Iran erschweren politische Lösung

Von Karin Leukefeld, Montreux ***


Im schweizerischen Montreux am Genfer See beginnt am heutigen Mittwoch die lange erwartete Syrien-Friedenskonferenz. Dieses Treffen soll vor allem die Einigkeit Rußlands und der USA darüber demonstrieren, daß eine politische Lösung zur Beendigung des Krieges in Syrien gefunden werden muß. Die eigentlichen Gespräche zwischen der oppositionellen »Nationalen Koalition« und der syrischen Regierungsdelegation unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen starten erst am Freitag in Genf.

Einen Tag vor dem Beginn der Konferenz veröffentlichten der britische Guardian, die BBC und der US-Sender CNN ein Dokument, in dem der syrischen Führung »systematische Folter« in den Gefängnissen vorgeworfen wird. Dieser Bericht stütze sich auf einen namentlich nicht genannten syrischen Militärpolizisten, der sich aus Syrien abgesetzt habe. Der Mann soll 55000 Digitalfotos von 11000 getöteten Gefangenen vorgelegt haben. Zusammengestellt wurde der Report von drei internationalen Juristen, unter ihnen Desmond de Silva, der das Sondertribunal zu Sierra Leone geleitet hatte. Er sagte dem Guardian, was er gesehen habe, beweise, daß die syrischen Streitkräfte »im industriellen Maßstab morden«. Auftraggeber des Berichts war das Emirat Katar, das auch bewaffnete Gruppen in Syrien militärisch und finanziell unterstützt.

Nicht nur wegen dieser Veröffentlichung stehen die ohnehin schwierigen Gespräche unter schlechten Vorzeichen. Am späten Montag abend mußte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon auch seine nur wenige Stunden zuvor ausgesprochene Einladung an den Iran zur Teilnahme an der Syrien-Konferenz zurücknehmen. Als offizielle Begründung gab Bans Sprecher Martin Nesirky an, daß der Iran nicht der Genfer Erklärung zustimme, wonach Ziel der Gespräche die Bildung einer Übergangsregierung in Syrien sein solle. Die Entscheidung sei nach Rücksprache mit Washington und Moskau getroffen worden, behauptete Nesirky. Tatsächlich mußte sich der Generalsekretär dem Druck der USA beugen. Die vom Westen als »legitime Vertretung des syrischen Volkes« anerkannte und unterstützte »Nationale Koalition« hatte mit ihrer Absage gedroht, sollte die Einladung Teherans nicht zurückgenommen werden.

Im Vorfeld der Konferenz hatte der Iran mehrfach erklärt, keine Vorbedingungen für seine Teilnahme zu akzeptieren. Gleichzeitig hatte der iranische Außenminister Jawad Zarif dem UN-Generalsekretär persönlich versichert, »das Ziel der Friedenskonferenz« zu unterstützen. Diese Vereinbarung (»Genf I«) sieht die Bildung einer Übergangsregierung vor, die Syrien zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen führen soll. Dem Gremium sollen Personen angehören, die von beiden Seiten akzeptiert werden. Die Versicherung Zarifs hatte Ban Ki Moon veranlaßt, Vertreter Teherans zu der Konferenz einzuladen. Der internationale Sondervermittler für Syrien, Lakhdar Brahimi, hatte von Anfang an für die Teilnahme des Iran an den »Genf II«-Gesprächen plädiert.

Eine Sprecherin des iranischen Außenministeriums zeigte sich enttäuscht über die Ausladung, die »unter politischem Druck« erfolgt sei. Marsieh Afsham sagte in Teheran, der Iran habe sich nie aufgedrängt, stets einen klaren Standpunkt vertreten und zu keiner Zeit irgendwelche Vorbedingungen akzeptiert. Die Gründe für die Absage seien definitiv andere als die vom Generalsekretär genannten. In Moskau hieß es, die Ausladung sei ein »Fehler«, aber »keine Katastrophe«.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. Januar 2014


Drückebergerei am Genfer See

Roland Etzel zur Ausladung Irans von der Syrien-Konferenz ****

Der Auftakt zur Syrien-Konferenz hätte holpriger kaum sein können. Die Ausladung Irans mag das Streitpotenzial etwas reduziert haben, an der Verwicklung Irans in den Konflikt ändert sie gar nichts. Dass Teheran einen 2012 – ohne seine Teilnahme – ausgehandelten Formelkompromiss vorbehaltlos akzeptiert, um überhaupt zugelassen zu werden, war nicht zu erwarten. Iran dennoch dazu zu nötigen, um – wie gewünscht? – ein Nein zu erhalten, riecht deshalb nach politischer Drückebergerei.

Dass Iran nun de facto wieder als Verbrecherstaat behandelt wird, lässt die syrische Opposition jubeln, die sich ansonsten aber in kaum einer politischen Frage einig ist. Selbst diese Ausladung ist weniger ihren lauten Klagen zu danken als der Tatsache, dass US-Außenminister Kerry wohl die Knie weich geworden sind. Es sieht aus, als bekäme seine Regierung Angst vor der eigenen Courage bei der Wiederakzeptanz Teherans im politischen Tagesgeschäft.

Letztere hätte darin bestehen können, Iran einzubinden in eine Front für einen Waffenstillstand. Aber offenbar ist das nicht erstes Kalkül der Akteure von Montreux. So muss man ein weiteres Mal von Krokodilstränen reden, wenn man nun auch am Genfer See die Opfer des Krieges und die Tatenlosigkeit der »internationalen Gemeinschaft« beklagt.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Januar 2014 (Kommentar)


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