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Im Auftrag ihrer Herren

Syrien: Unzählige bewaffnete Gruppen in Aleppo erhalten ausländische Unterstützung im Kampf gegen Regierungstruppen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu warnt vor einem erneuten Ansturm syrischer Flüchtlinge. »Zwei bis drei Millionen Menschen« könnten an die türkische Grenze fliehen, sollte die syrische Armee bei ihrer Einkreisung von Aleppo erfolgreich sein, sagte der Minister am Dienstag. In den von bewaffneten Gruppen gehaltenen Stadtvierteln von Aleppo halten sich allerdings unbestätigten Angaben zufolge nur etwa 300.000 Menschen auf.

Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und des UN-Hilfsprogramms für Flüchtlinge (UNHCR) haben am Dienstag mit dem Gouverneur von Aleppo über die Lieferung von humanitärer Hilfe beraten. Das IKRK will ein Zentrum zur Herstellung von Prothesen aufbauen, das UNHCR will bei der Renovierung des Al-Razi-Krankenhauses helfen, um die medizinische Hilfe für die Bevölkerung in Aleppo zu verbessern.

Die libanesische Tageszeitung Al-Akhbar veröffentlichte am Dienstag eine Karte, die die verwirrende Vielzahl bewaffneter Gruppen und ihrer Sponsoren in der Stadt und deren Umland zeigt. Dabei werden einige Einheiten von Katar, Saudi-Arabien und den USA unterstützt, andere kämpfen im Auftrag der Türkei.

Den verschiedenen Gruppierungen angeschlossen sind lokale Milizen, die in einzelnen Vierteln und Dörfern entstanden sind. Einige dieser Milizen sollen unbestätigten Quellen zufolge mit dem syrischen Geheimdienst kooperieren. Kampfverbände der »Freien Syrischen Armee« (FSA) sollen demnach nur noch »symbolisch« präsent sein. Die verbliebenen FSA-Gruppen soll ein »Freier Lokalrat« kommandieren, der im Bezirk Schaar (Nordaleppo) seine Zentrale habe. Das Komitee organisiert eigenen Angaben zufolge die Müllsammlung und -entsorgung, Impfkampagnen und Erste Hilfe.

Zu den von Katar und den USA unterstützten Söldnern gehört die Hazm-Bewegung, die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen ist. Sie soll sich im Laufe der Kampfhandlungen - und vermutlich auf Druck der USA - verweltlicht haben. In Aleppo und im Umland soll die Hazm-Bewegung rund 1.000 Kämpfer unter Waffen haben.

Neuerdings soll die Hazm-Bewegung auch mit der von der Türkei unterstützten Nur-Al-Din-Zinki-Bewegung kooperieren. Diese Gruppe, der einzelne Kampfverbände wie Liwa Al-Ansar angehören, soll 2.000 Männer unter Waffen haben.

Anfang 2014 ist mit der »Armee der Mudschahedin« eine neue Gruppe entstanden, die rund 3.000 Kämpfer haben soll. Selbst bezeichnet sich diese Truppe als »moderat« und wird von Katar und den USA unterstützt. In Aleppo ist der Verband in mehreren Vierteln präsent.

Saudi-Arabien schüttet seine Unterstützung im Gießkannenprinzip aus. So werden die Gotteskrieger von Dschaish Al-Muhadschirin wa Al-Ansar ebenso von dem Königreich finanziert, ausgerüstet und geführt wie auch die »moderate« Syrische Revolutionäre Front. Bei Dschaish Al-Muhadschirin sollen bis zu 1.000 Tschetschenen kämpfen, die vorher bei der Al-Nusra-Front ihr »Brot verdienten«. Ebenfalls auf der saudischen Gehaltsliste steht die Gruppe Liwa Ahrar Surija, die vor allem in der Altstadt von Aleppo aktiv ist. Die Syrische Revolutionäre Front soll zudem »Schläferzellen« in Aleppo haben.

Die Türkei hat ihre Hilfe mehr oder weniger allen bewaffneten Gruppen in Nordsyrien angedeihen lassen. Turkmenen sollen bevorzugt behandelt werden, sie stellen bis zu 4.000 Kämpfer in Aleppo und Umgebung.

Wechselnden Herren dient die islamistische Ahrar-Al-Scham-Bewegung. Diese kooperiert u.a. mit Verbänden der Dschihadisten des »Islamischen Staates«.

Als bekannteste Gruppe agiert in Aleppo die Al-Nusra-Front, die sowohl von den Türken, den Saudis, den Kataris als auch von den USA »umgarnt« wird. So erhält die Al-Nusra-Front von den genannten Staaten Geld und Waffen, wird aber auch indirekt durch religiöse Ratgeber gesteuert.

Unterdessen hat der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Baschar Al-Dschafari, am Mittwoch in New York Vorwürfe von Saudi-Arabien und Katar zurückgewiesen, Syrien verletzte die Menschenrechte. Dschafari entgegnete, dass beide Staaten zu den Hauptunterstützern der Nusra-Front gehörten, die mehrfach UN-Blauhelme auf dem Golan angegriffen und entführt habe. Beide Staaten würden mit Hilfe der Türkei den »internationalen Terrorismus« in Syrien unterstützen und dadurch eine politische Lösung verhindern.

* Aus: junge Welt, 20. November 2014


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