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Vulkan gegen Kalifat

Kurden und Teile der syrischen Opposition vereinigen Kräfte gegen IS

Von Nick Brauns *

Im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet Rojava im Norden Syriens sind Volksverteidigungseinheiten (YPG) seit dem Wochenende gegen Stellungen des »Islamischen Staates« (IS) vorgerückt. Bei der inzwischen abgeschlossenen Operation wurden nach YPG-Angaben 17 Dörfer in der Gegend Til Hemis befreit und zahlreiche Dschihadisten getötet. Bei ihrem Rückzug steckten die IS-Kämpfer die geräumten Dörfer in Brand und ermordeten etwa 50 Dorfbewohner, erklärte die Demokratische Selbstverwaltung des Kantons Cizire. »Die Banden des IS benutzten Zivilisten, die sich weigerten, in ihren Reihen zu kämpfen, als zivile Schutzschilde im Gefechtsgebiet«, hieß es in der Mitteilung.

IS-Kämpfer beschossen zudem die Großstadt Qamischlo mit Raketen. Dabei wurden fünf Menschen, darunter drei Kinder, getötet. Mehrere Granaten schlugen jenseits der türkischen Grenze ein, richteten aber nur Sachschaden an. Hintergrund der YPG-Offensive ist ein in der vergangenen Woche zwischen den YPG, Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) sowie einer Reihe kleinerer Kampfverbände wie der islamistischen Liwa Al-Tawhid geschlossenes Abkommen zur Bildung einer gemeinsamen Front gegen den IS. Ziel der unter dem Namen »Vulkan des Euphrat« zusammengeschlossenen Kräfte ist die Befreiung der gegenwärtig unter Kontrolle des IS stehenden Gebiete in der Euphrat-Region. Von der kurdischen Nachrichtenagentur Hawar verbreitete Bilder zeigen eine Militärzeremonie mit den Fahnen der YPG und der FSA, bei der die zum Teil islamischen Gruppen entstammenden bärtigen FSA-Kämpfer Fraueneinheiten der YPG mit Handschlag begrüßen.

Der von der FSA angestrebte Sturz der syrischen Regierung von Präsident Baschar Al-Assad gehört nicht zu den erklärten Zielen der Kampffront. Im Abkommen heißt es, daß alle Partner die gemeinsame Front finanziell und materiell unterstützen müssen. Ein Effekt dieses Bündnisses könnte so sein, daß die angekündigten Waffenlieferungen der USA an sogenannte gemäßigte Rebellen auf diesem Wege auch den YPG zugute kommen. Die türkische Regierung hatte ihre Sorge geäußert, daß Waffen in die Hände der mit den YPG verbündeten Guerillakämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gelangen und im Falle eines Scheiterns des gegenwärtigen Friedensprozesses in der Türkei im Kampf gegen die türkische Armee zum Einsatz kommen könnten.

Überlegungen zur Bewaffnung der auf den Terrorlisten von EU und USA geführten PKK gegen den IS, wie sie in einigen deutschen und amerikanischen Medien wie am Wochenende in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geäußert wurden, zielen wohl vor allem darauf, die Türkei so weit unter Druck zu setzen, daß sie sich dem unter US-Führung gebildeten Anti-IS-Bündnis anschließt. Bislang lehnt die Türkei ein militärisches Engagement unter Verweis auf 49 Mitarbeiter des türkischen Konsulats in Mossul ab, die sich seit Juni in Geiselhaft des IS befinden. Die US-Regierung hält diese Begründung für vorgeschoben. Das beweist ein internes Papier der US-Administration, das dem türkischen Sozialwissenschaftler Baskin Oran zugespielt und am Wochenende in der in Istanbul erscheinenden türkisch-armenischen Wochenzeitung Agos veröffentlicht wurde. Die US-Regierung beschuldigt darin die Türkei, ihre Grenzen bewußt für militante Islamisten geöffnet, diesen Zugang zu Waffen und Trainingscamps verschafft und das Land als »sicheren Hafen für den Dschihad« positioniert zu haben, um so ihre eigene Stellung in der Region zu stärken.

Weiter heißt es in dem Papier, der Präsident der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak, Masud Barsani, habe der Türkei seine Hilfe bei der Befreiung der Geiseln angeboten, was Ankara abgelehnt habe. Hier stellt sich die Frage, welche Kontakte die mit der Türkei bei Ölgeschäften kooperierende Barsani-Regierung, deren Peschmerga jetzt unter anderem von Deutschland hochgerüstet werden, zum IS unterhält. So hatte die in der Türkei erscheinende Tageszeitung Özgür Gündem im Juli von einer Konferenz in der jordanischen Hauptstadt Amman berichtet, auf der Anfang Juni Vertreter von Barsanis Demokratischer Partei Kurdistans (KDP) und der sunnitischen Aufstandsbewegung im Irak die Einnahme Mossuls durch den IS und Kirkuks durch die Peschmerga vereinbart hätten. Für eine gewisse Kooperation zwischen der KDP und dem IS spricht auch der kampflose Rückzug der KDP-Peschmerga aus den jesidischen Siedlungsgebieten in Sengal im August sowie die Beobachtung, daß bis heute vor allem Peschmerga der mit der KDP konkurrierenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK) gegen den IS kämpfen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 17. September 2014


Waffenpacken statt Bodentruppen

Absichtserklärung: Berlin schickt Ausrüstung nach Irak – keine Jagdbomber und schon gar keine Kampftruppen

Von René Heilig **


Nur keine Bodentruppen! So lautet das Stoßgebet aller um die USA herum versammelten Willigen im Kampf gegen den »Islamischen Staat« in Irak und Syrien. Das wird wohl ein Wunsch bleiben.

Eigentlich ist das Bundeswehrdepot Warenshof unweit der Müritz ein verschlafener Dienstort. Ein Dutzend Hausfrauen würde dort in einem Ex-DDR-Volksmarine-Materiallager einen Hauptmann kommandieren. Im Moment aber gibt es keinen Grund für solche Lästereien. Seit ein paar Wochen schon herrscht dort Betriebsamkeit. Erst packte man sogenannte nichtletale Militärgüter zusammen, jetzt macht das verstärkte Logistikteam 4000 Sturmgewehre, 4000 Pistolen, 20 Panzerabwehrraketen vom Typ »Milan«, 120 Panzerfäuste, 50 Signalpistolen und 20 Maschinengewehre transportfähig, damit alles nach Irak geschafft werden kann. Dazu kommen Feldküchen, Zelte, Schutzbrillen und kleine Lastwagen.

Das Material – plus Munition – ist die erste Tranche der von der Bundesregierung beschlossenen Unterstützung für den Kampf der kurdischen Peschmerga gegen die Terror-Truppen des »Islamischen Staates«.

Deutschland ist Teil einer Koalition von 28 Staaten. Unter ihnen sind alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sowie der EU. Frankreich, Großbritannien, auch Australien und Neuseeland machen mit. Auf einer Konferenz in Paris waren am Montag sogar Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Jordanien, Kuwait, der Libanon, die Türkei sowie China vertreten. Man wollte sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Terrorbanden des »Islamischen Staates« einigen. Dafür solle auch angemessene militärische Hilfe geleistet werden, vereinbarten die Außenminister. Allerdings wird Syrien, wo der IS ebenfalls aktiv ist, in dem gemeinsamen Beschluss gar nicht erwähnt.

Es sei »Zeit zu handeln«, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und er betonte, am Ende werde nicht allein eine militärische Lösung über den Erfolg des Vorgehens gegen die Miliz entscheiden. Das ist ohne Zweifel richtig.

In Berlin ergänzte Regierungssprecher Steffen Seibert, Deutschland leiste humanitäre Hilfe, schicke Waffen und Ausrüstung zur Unterstützung kurdischer Kämpfer und setze sich politisch für eine Lösung ein, damit in Bagdad eine repräsentative Regierung für ganz Irak entstehe, die jeglichem Terror den Nährboden entzieht.

Auffällig ist, dass alle helfen wollen, fast alle loben oder tolerieren die US-Luftangriffe gegen IS-Stellungen in Irak – doch niemand mag über »Boots on the Ground«, also Bodentruppen reden. Folglich bleibt auch schwammig, welche Ziele die Anti-IS-Allianz überhaupt gegenüber den Terroristen verfolgt. Eindämmen, einhegen, zurückdrängen, schwächen, zerschlagen – es gab genügend Verben für zu wenig Einsatz. Ganz zu schweigen von Aussagen zur politischen Führung einer solchen Operation. Ganz bewusst wird die UNO außen vor gelassen.

Mit den jüngsten Luftangriffen nahe Bagdad und des Sindschar-Gebirges vom Dienstag summiert sich die Anzahl der US-Angriffe nach Armeeangaben auf 162. Das ist viel, doch eines ist allen halbwegs militärisch Ausgebildeten klar: Mit Luftangriffen allein kann man die IS-Milizen nicht entscheidend schwächen. Egal, wie viele Angriffe die USA noch fliegen werden.

Inzwischen haben auch andere westliche Allliierte – in der Hoffnung, nicht nach Infanterie gefragt zu werden – Luftwaffenkontingente angeboten. Frankreich beispielsweise hat sogar schon eilig Aufklärungsflüge gestartet. Australien würde ein halbes Geschwader losschicken. Noch vor Monaten hätte die Luftwaffe noch entscheidende Schläge ausführen können. Da waren die IS-Kolonnen deckungslos in der Wüste oder auf überschaubaren Straßen unterwegs. Inzwischen haben IS-Truppen urbane Zentren besetzt, Orte, Städte. Sie verbergen sich in zivilen Einrichtungen, tarnen sich als Bevölkerung. Bleibt man bei einer militärischen Lösung wider den IS, so muss man wohl Bodentruppen einsetzen. Die kurdischen Peschmerga sind das nicht und ob Bagdad seine zerstreuten, geflohenen Armeehaufen so rasch wieder sammeln, neu ausrüsten und einem Kommando unterstellen kann, das die Soldaten druckvoll gegen die Eindringlinge führt, ist höchst fraglich. Auch die Ausbildung der Freien Syrischen Armee durch US-Spezialisten kann allenfalls eine Unterstützung im Kampf gegen den IS sein.

Auch Außenminister Steinmeier will alle Kräfte im Kampf gegen den IS mobilisieren, den Zustrom von Geld und Kämpfern für die Dschihadisten stoppen. Ein Eingreifen der Bundeswehr schloss er vehement aus. Aus Militärkreisen hört man, dass die Bundeswehr samt der modernisierten Tornados der Luftwaffe in der Lage wäre, in Irak einzugreifen. Doch das hörte man ähnlich auch zu Beginn des Afghanistan-Krieges. Und dann war Deutschland mittendrin.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 17. September 2014


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