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Syriens Auslandsopposition erneuert ihre Köpfe

Militärische Verluste der Muslimbrüder gegen Dschihadisten kosteten Schattenpremier Tomeh den Posten

Von Karin Leukefeld *

Die oppositionelle Nationale Syrische Koalition hat die syrische Exilregierung abgesetzt. Die Generalversammlung des Bündnisses entzog dem Schattenkabinett von Ahmed Tomeh das Vertrauen.

Erneut ist es innerhalb der oppositionellen syrischen Nationalen Koalition zu personellen Zerwürfnissen gekommen. Bei einer Sitzung der Koalition am Wochenende im türkische Exil in Istanbul, wurde der amtierende »Präsident der Übergangsregierung«, Ahmed Tomeh, abgesetzt. Tomeh, ein Zahnarzt aus der nordostsyrischen Stadt Deir Ezzor, der sich 2012 in die Türkei abgesetzt hatte, war erst vor elf Monaten gewählt worden. Deir Ezzor ist derzeit die syrische Hochburg der Dschihadistentruppe »Islamischer Staat« (IS), die auch weite Teile Iraks beherrscht und den syrischen Zweig der Muslimbruderschaft in blutigen Kämpfen zurückgedrängt hat.

Tomeh gilt als Anhänger der Muslimbrüder. Im Februar war er zuletzt mit einer Delegation im Auswärtigen Amt in Berlin empfangen worden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte dabei versprochen, Deutschland werde weiterhin die »moderate Opposition« in Syrien unterstützen. Dafür stehe ein von Deutschland – im Auftrag der »Freunde Syriens« – kontrollierter Treuhandfonds mit mehr als 50 Millionen Euro zur Verfügung, so Steinmeier. Das Geld könne »direkt für Hilfsprojekte in den von der gemäßigten Opposition kontrollierten Gebieten eingesetzt« werden.

Tomeh wurde nun mit 66 gegen 35 Stimmen wieder abgewählt. Seine Amtsführung sei schlecht gewesen, so ein Teilnehmer der Versammlung gegenüber dem Internetportal Middle East Online. Er habe bei der Postenverteilung einseitig die Muslimbruderschaft bevorzugt. Außerdem war seine Entscheidung, den Hohen Militärrat aufzulösen, auf massive Kritik gestoßen. Der Militärrat gilt als Verbindungsglied zur »Freien Syrischen Armee«, die allerdings bei der militärischen Auseinandersetzung in Syrien von IS an den Rand gedrängt wurde. Der Präsident der Nationalen Koalition, Ahmed Jarba, hatte den Militärrat wieder eingesetzt. Ein Nachfolger für Tomeh soll nun in der kommenden Woche gewählt werden.

Erst vor zwei Wochen hatte auch die Führung der Nationalen Koalition gewechselt. Der bisherige Vorsitzende Jarba wurde von dem Geschäftsmann Hadi al-Bahra abgelöst. Sowohl Jarba als auch Bahra leben derzeit in Saudi-Arabien und werden vom Königshaus unterstützt. Jarba hatte im Auftrag Riads schon frühzeitig Waffen an Kampfverbände in Syrien geliefert. Bahra war einer größeren Öffentlichkeit erstmals bei den Genfer Gesprächen Anfang des Jahres aufgefallen. Damals hatte er die Delegation der Nationalen Koalition angeführt.

Das Personalkarussell in der Nationalen Koalition wird immer wieder durch die unterschiedlichen Interessen der Staaten in Gang gesetzt, die durch das Gremium ihren politischen Einfluss in Syrien sichern wollen. Katar und die Türkei unterstützen die Muslimbruderschaft, Saudi-Arabien will in Damaskus Vertreter des sunnitischen Islam wahhabitischer, also saudischer, Prägung an die Macht bringen. Auch westliche Staaten der »Freunde Syriens«, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die USA haben ihre Favoriten in dem Gremium, verfügen aber kaum über Einfluss.

Der syrische Ölminister Suleiman Abbas gab derweil am vergangenen Dienstag die Verluste im Öl- und Gassektor des Landes bekannt. Seit 2011 betragen sie infolge von Einnahmeausfällen durch EU-Sanktionen und Krieg 21,4 Milliarden Dollar. Direkte Verluste durch Zerstörung, Diebstahl und Plünderung (Infrastruktur, Pipelines, Fahrzeuge) bezifferte Abbas auf 3,5 Milliarden Dollar. Indirekte Verluste (Verkauf) summieren sich demnach auf 17,9 Milliarden Dollar. 2011 wurden in Syrien 385 000 Barrel Öl pro Tag gefördert – ein Barrel entspricht 160 Liter, die staatlich kontrollierte Produktion liegt heute bei 17 000 Barrel am Tag. Die großen Ölfelder im Osten des Landes werden von den IS-Gotteskriegern kontrolliert. Sie verkaufen das gestohlene Öl über Mittelsleute in Irak und der Türkei.

* Aus: neues deutschland, Freitag 25. Juli 2014


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