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Luftangriffe nutzlos

Syrische Regierung schließt Hilfe für Kobani aus. Türkisches Parlament stimmt über Einmarschermächtigung ab

Von Nick Brauns *

Während kurdische Peschmerga unterstützt von Luftangriffen der USA und Großbritanniens eine Offensive gegen Stellungen des »Islamischen Staates« (IS) im Nordirak begonnen haben, rücken die Truppen der Dschihadisten immer näher an die belagerte kurdische Stadt Kobani im Norden Syriens heran. In der Nacht zum Donnerstag kam es in Dörfern südlich und östlich der Stadt, deren arabischer Name Ain Al-Arab ist, zu heftigen Gefechten mit Volksverteidigungseinheiten (YPG), die trotz ihrer nur leichten Bewaffnung seit nunmehr 16 Tagen dem mit Panzern und Artillerie erfolgten Großangriff standhalten.

Zwar bombardierten US-Kampfflugzeuge nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums auch IS-Ziele bei Kobani. Doch soll laut Augenzeugenberichten der IS bis auf zwei oder drei Kilometer an die Stadt herangerückt sein, so daß zwischen den Kämpfern beider Seiten Sichtkontakt bestehe. »Niemand sollte sich in ein falsches Gefühl der Sicherheit durch zielgenaue Luftangriffe einlullen lassen«, erklärte Pentagon-Sprecher Konteradmiral John Kirby gegenüber der Presse. »Wir werden und wir können den IS nicht in die Vergessenheit bombardieren.« Da zumindest die von der irakischen Armee erbeuteten Kampfpanzer des IS mit zielgerichteten Luftschlägen zu treffen sein sollten, stellt sich die Frage, inwieweit die USA die Eroberung der unter politischer Führung der linken Partei der Demokratischen Union (PYD) stehenden Stadt überhaupt verhindern wollen.

Syrische Regierungstruppen könnten der direkt an die Türkei grenzenden Stadt Kobani nicht zu Hilfe kommen, erklärte am Dienstag der Minister für Nationale Versöhnung der syrischen Regierung, Ali Haidar, in einem Interview mit dem irakisch-kurdischen Nachrichtenportal Rudaw. »Zwischen uns und der türkischen Regierung besteht eine Pattsituation, daher kann unsere Luftwaffe dort in Grenznähe nicht fliegen«, begründete Haidar, warum die syrischen Streitkräfte aus militärischen Gründen nicht nach Kobani gelangen könnten. Er verweist damit auf frühere Abschüsse syrischer Kampfflugzeuge in Grenzgebieten durch türkisches und israelisches Militär. Die Luftangriffe der US-geführten Koalition auf IS-Stellungen in Syrien nannte der Minister »Schritte in die richtige Richtung«, forderte aber zugleich die »vollständige Koordination« mit seiner bislang nur vorab über die Angriffe informierten Regierung ein. Die von den USA betriebene weitere Aufrüstung der »Freien Syrischen Armee« bezeichnete Haidar dagegen als »Ersetzung einer Terrororganisation durch eine andere«.

Am heutigen Donnerstag soll das türkische Parlament einen Regierungsantrag für militärisches Eingreifen im Irak und Syrien beschließen. Mit der Resolution werde die Regierung ermächtigt, Truppen zu grenzüberschreitenden Einsätzen zu schicken, Sicherheitszonen zu errichten und türkische Militärbasen für ausländische Truppen zu öffnen, kündigte Vizeministerpräsident Bülent Arinc am Dienstag abend an. Daß sich solche Maßnahmen nicht nur gegen den IS richten würden, hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bereits am Wochenende auf dem Weltwirtschaftsforum in Istanbul deutlich gemacht. Er hatte gefordert, den Kampf gegen den IS mit Maßnahmen gegen die syrische Regierung von Präsident Baschar Al-Assad zu verbinden. In diesem Zusammenhang trat er für eine Flugverbotszone in Nordsyrien sowie die weitere Unterstützung syrischer Oppositionskräfte ein.

Außerdem kritisierte Erdogan seine westlichen Verbündeten, die Türkei im Kampf gegen den »PKK-Terror« alleine zu lassen. Dies muß als Drohung gegenüber den an die Türkei grenzenden kurdischen Kantonen in Nordsyrien erscheinen. Schließlich handelt es sich bei der dort politisch führenden Partei PYD um eine Schwesterpartei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Seit Montag sind türkische Panzer entlang der Grenze zu Kobani aufgefahren, 10.000 Soldaten stehen für die Schaffung einer Kobani umfassenden Pufferzone bereit. Entlang der Grenze zu Kobani hat die Armee damit begonnen, Gräben auszuheben.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. Oktober 2014


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