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Raketen auf Ölfelder

Syrien: Erneut Angriffe auf Stellungen des »Islamischen Staats«. US-Berichte über die Gruppe »Khorasan« in Frage gestellt

Von Karin Leukefeld *

Die von den USA angeführte Luftstaffel hat in der Nacht zum Donnerstag erneut Orte in Syrien angegriffen, um »Kämpfer des Islamischen Staats und deren Stellungen zu zerstören«, wie Pentagon-Sprecher John Kirby sagte. Beteiligt waren wieder Kampfjets aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Letztere schickten mit Major Mariam Al-Mansouri eine Pilotin auf die Zerstörungsmission.

Ziel der Angriffe waren laut Kirby zwölf Stellungen der Gotteskrieger unweit des syrisch-irakischen Grenzübergangs Abu Kamal. Dabei handelte es sich um verschiedene syrische Ölfelder und Förderanlagen, die von den IS-Kämpfern besetzt gehalten werden. Seit Anfang 2014 ist bekannt, daß die Gruppe ebenso wie die Al-Nusra-Front das geplünderte syrische Öl illegal durch Mittelsmänner in der Türkei verkauft oder örtlichen Stämmen überläßt, um sich deren Gefolgschaft zu sichern.

Unklar ist, wie hoch die Schäden an den Förderanlagen sind, die teilweise erst vor wenigen Jahren erneuert und modernisiert worden waren. Der Einsatz von präzisionsgelenkten Waffen und mindestens 50 Cruise-Missile-Raketen legen nahe, daß nicht viel von den Anlagen übriggeblieben sein dürfte.

Die »Internationale Koalition für das Verbot von Uranwaffen« (ICBWU) hatte bereits am Dienstag die US-Administration aufgefordert, Auskunft darüber zu geben, ob die zwölf für die Angriffe vorgesehenen A-10-Kampfflugzeuge bei ihren Angriffen Waffen mit abgereichertem Uran einsetzten. Es bestehe die Gefahr, daß der Irak noch mehr und perspektivisch auch Syrien radioaktiv verseucht würden.

Der iranische Präsident Hassan Rouhani hinterfragte unterdessen in einem CNN-Interview die Motive der USA bei den Angriffen im Irak und in Syrien. Die Gotteskrieger seien zweifelsfrei »barbarisch« und eine große Gefahr, doch Luftangriffe würden das Problem nicht lösen, sagte Rouhani. Er frage sich, ob die USA unter »dem Druck der nationalen öffentlichen Meinung« handelten und »eine Show« vorführten oder ob sie »greifbare, wirkliche Ziele in der Region verfolgen«. Der Plan, »moderate« Kämpfer der »Freien Syrien Armee« zu bewaffnen und auszubilden, werde »mehr Öl ins bereits brennende Feuer gießen«. Um gegen den Terrorismus vorzugehen, »dürfen wir nicht eine neue terroristische Gruppe erschaffen, damit diese die bereits bestehende Terrorgruppe bekämpft.«

Der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, hatte am Dienstag vor einer »ausländischen Intervention« in der Region gewarnt. In einer Fernsehansprache bezeichnete Nasrallah die von den USA gebildete Koalition als »Vorwand für eine Intervention«. Die USA hätten »eine Rolle bei der Bildung« der Gruppen gespielt, Washington sei daher im »Kampf gegen Terrorismus« unglaubwürdig. Die Irish Times zitierte derweil einen namentlich nicht genannten Gesprächspartner, der »der Hisbollah nahesteht« mit den Worten, die große Frage sei, warum nicht die »Türkei strenger kontrolliert« werde. Von dort kämen »das Geld und die Extremisten nach Syrien und in den Irak«.

Der Leiter der »Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte« in London stellte die US-Darstellung in Frage, unweit von Aleppo die Gruppe »Chorasan« attackiert zu haben, um »Angriffe auf die USA« zu unterbinden. Unter Berufung auf »Aktivisten« in der Region sagte Rami Abdul Rahman, tatsächlich seien Stellungen der Al-Nusra-Front angegriffen worden. »In Syrien hat nie jemand von ›Chorasan‹ gehört, bis zu dem Zeitpunkt, als die US-Medien plötzlich darüber sprachen«, so Abdul Rahman.

Skeptisch äußerte sich auch Aron Lund von der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Lund, Betreuer der Webseite »Syria in Crisis« und exzellenter Kenner der Region, sagte, es sei doch »ein sehr interessanter Zufall«, daß diese neue Gruppe erst vor wenigen Tagen bekannt geworden sei. Damit sei für Obama der Angriff besser vermittelbar gewesen, da diese angeblich »feindlich gegenüber den USA eingestellt« sei. Der Oberste Militärrat der »Freien Syrischen Armee« bestätigte indirekt, daß Stellungen der Al-Nusra-Front getroffen worden waren. In einer Stellungnahme heißt es, daß die Angriffe »nicht die moderaten, nationalen und islamischen Kräfte« treffen dürften, sondern sich »gegen die Kräfte der Tyrannei richten« müßten, das seien »das Assad-Regime und seine Unterstützer«.

* Aus: junge Welt, Freitag 26. September 2014


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