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Skepsis überwiegt

Innersyrische Opposition und Regierung beraten in Moskau über Möglichkeiten, die Gewalt zu beenden

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

In Moskau ist am Donnerstag ein weiteres Beratungstreffen zwischen Vertretern der innersyrischen Opposition und einer Delegation der syrischen Regierung zu Ende gegangen. Ein Ergebnis der Gespräche lag bis Redaktionsschluss nicht vor.

Am Montag und Dienstag hatten zunächst die Oppositionellen aus verschiedenen, zumeist innersyrischen Gruppen miteinander über das gemeinsame Vorgehen debattiert und sich schließlich auf einen Sechspunkteplan geeinigt, der als Grundlage für das Gespräch mit der Regierungsdelegation dienen sollte. Dieses begann am Mittwoch und wurde am Donnerstag fortgesetzt.

Unter Berufung auf verschiedene Oppositionelle nannte die syrische Nachrichtenagentur SANA folgende Prinzipien: Eine politische Lösung soll auf der Genfer Vereinbarung basieren. Die Militäroperationen in Syrien, die Verfolgung und Gewalt gegen Zivilisten sollen sofort eingestellt werden. Statt dessen soll humanitäre Hilfe, wie sie in verschiedenen UN-Resolutionen gefordert wird, im ganzen Land geleistet werden.

Außerdem habe man sich auf den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus, einen demokratischen politischen Übergangsprozess und die Freilassung von Gefangenen geeinigt. Vorgeschlagen wird die Bildung eines »Ausschusses für Menschenrechte in Syrien«. Gefordert wird zudem die Abschaffung jeglicher Zensur und die Aufhebung der Wirtschaftsblockaden gegen einzelne Gebiete in Syrien sowie der von der EU und den USA verhängten Wirtschafts- und politischen Sanktionen gegen das Land.

Samir Aita, Vertreter des oppositionellen »Demokratischen Forums in Syrien«, gab sich laut der Nachrichtenagentur TASS zunächst zuversichtlich, bei den Beratungen einen »Mechanismus entwickeln« zu können, mit dem diese Prinzipien umgesetzt werden könnten.

Nach einer ersten Gesprächsrunde am Mittwoch zeigte sich Aita allerdings gegenüber der Nachrichtenagentur AFP skeptisch: »Wir werden uns zwei Stunden lang treffen, das reicht nicht, um Fortschritte zu machen«, sagte er. Zudem habe die Regierungsseite »allgemeine Punkte vorgelegt, von denen einige für die Opposition nicht akzeptabel sind«. So solle beispielsweise die Einmischung Jordaniens verurteilt werden, nicht aber die des Iran.

Unter den anwesenden Oppositionsgruppen waren neben dem genannten Demokratischen Forum, das vor allem in Europa aktiv ist, auch die in Syrien arbeitenden Demokratische Union Syriens (PYD), die Partei des Volkswillens, die Volksfront für Wandel und Befreiung und das Nationale Koordinationsbüro für demokratischen Wandel in Syrien.

Nicht dabei war die syrische Oppositionsgruppe »Den syrischen Staat aufbauen«, deren Präsident Louay Hussein nach einer dreimonatigen Haft Mitte Februar auf Kaution freigelassen worden war. Er unterliegt einem Reiseverbot, das eine Teilnahme an den Gesprächen verhinderte.

Die in der Türkei ansässige »Nationale Koalition der oppositionellen und revolutionären Kräfte« (Etilaf), die von den USA und den »Freunden Syriens« – zu denen auch die Bundesregierung gehört – als legitime Vertretung des syrischen Volkes unterstützt wird, lehnt die Gespräche in Moskau ab und war, wie bereits beim ersten Treffen im Januar 2015, nicht erschienen.

In Damaskus zeigte sich Anas Joudeh von der oppositionellen Gruppe »Den Syrischen Staat aufbauen« im Gespräch mit junge Welt skeptisch, was die Gespräche in Moskau angesichts der militärischen Eskalation nicht nur in Syrien, sondern auch in Irak und im Jemen, bringen könnten. Die USA ignoriere den Gesprächsprozess, den Moskau angeschoben habe. Im Gegenteil befördere Washington die bewaffnete Auseinandersetzung in Syrien durch die Ausbildung und Bewaffnung von Kämpfern.

Ein politischer Prozess werde mit der zunehmenden Bildung von Milizen immer schwieriger, sagte Joudeh, der für die Gruppe die Projektarbeit leitet. Das Interesse von jungen Leuten im ganzen Land, etwas für die friedliche Entwicklung zu tun, sei ungebrochen. »Es ist wie ein Frühling, überall sprießen die Gruppen aus dem Boden und wollen mit uns zusammenarbeiten«, erklärte Joudeh. Das Desinteresse regionaler und internationaler Akteure an einer politischen Lösung in Syrien drohe diesen Enthusiasmus jedoch zu zerstören.

* Aus: junge Welt, Freitag, 10. April 2015


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