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IS weiter auf dem Vormarsch

Antike Ruinenstadt Palmyra von Milizen des »Islamischen Staates« eingenommen. Al-Nusra-Front zurückgedrängt

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die antike Ruinenstadt Palmyra ist von Tausenden Kämpfern des selbsternannten »Islamischen Staates« (IS) überrannt worden. Zugleich musste sich der lokale Ableger von Al-Qaida, die Al-Nusra-Front, aus den libanesisch-syrischen Kalamun-Bergen zurückziehen.

»Wir haben die Schlacht verloren«, kommentierte Maamun Abdulkarim, Direktor der syrischen Antikenbehörde, am Donnerstag den Vormarsch von IS in das »Venedig der Wüste«, wie Palmyra auch genannt wird. Im Gespräch mit junge Welt in Damaskus berichtete Abdulkerim, dass einige der Wächter der Ruinenstadt bei den Kämpfen verletzt worden seien. Tatsache sei, »dass wir die Schlacht um das Erbe nicht der Syrer, sondern der Menschheit verloren haben«.

Immer wieder habe er an den UN-Sicherheitsrat appelliert, aktiv die verabschiedete Resolution 2199 umzusetzen, die den Schutz von Kulturgütern im Irak und in Syrien vor den Terrortruppen sicherstellen sollte. Doch leider habe niemand etwas unternommen, um »die Barbaren aus dem Osten« zu stoppen. Man habe zwar jede Menge Solidaritätsbotschaften erhalten, doch die internationale »Antiterrorkoalition« unter Führung der USA habe den Vormarsch nicht gestoppt.

Rund 300.000 Objekte habe die Antikenbehörde in den vergangenen Monaten aus dem Palmyra-Museum abtransportiert und »an einen sicheren Ort« gebracht. »Aber die Säulen, die Tempel, die wunderbaren Inschriften sind dort geblieben.« Er fürchte das Schlimmste, »mit dem IS gibt es keine Verhandlungen«.

»Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben«, sagt wenig später nachdenklich der Bildhauer Bader Dadschani, der vor seinem kleinen Laden im alten Handwerksmarkt an der Moschee Takkija Al-Suleimanija sitzt. »Diese Leute sind daran interessiert, die antiken Stätten zu plündern und das Geraubte auf dem internationalen Markt zu verkaufen. Das geht nur, wenn sie die Gebäude nicht zerstören.«

Mit dem Islam habe das Ganze nichts zu tun, meint der 1948 in Jerusalem geborene Palästinenser. Der Islam lehre, andere Kulturen und Religionen zu respektieren, IS aber sage: »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.« Vor einigen Jahren habe das schon einmal jemand gesagt, meint Dadschani, ohne den Ex-US-Präsidenten George W. Bush beim Namen zu nennen. »Das, was hier heute passiert, ist die Folge von dem, was er sagte.«

Vor einer Woche hatten syrische Streitkräfte knapp 200 anrückende IS-Kämpfer aus Palmyra vertreiben können. Doch nun seien laut Augenzeugen Tausende Kämpfer mobilisiert worden. Sie waren in langen Konvois und schwerbewaffnet aus dem syrisch-irakischen Grenzgebiet nach Palmyra vorgerückt. Nach Auskunft des US-Verteidigungsministeriums hat es seitens der »Antiterrorkoalition« keine Angriffe gegen den IS gegeben.

Mit einer seltenen Tour durch die von den islamistischen Kampfverbänden befreiten Gebiete in den Kalamun-Bergen präsentierte die Hisbollah vor wenigen Tagen Teile der in Syrien gelegenen Gebiete internationalen Journalisten. Der Kampf dort hatte am 6. Mai begonnen. Inzwischen sind rund 300 Quadratkilometer von den Truppen der Al-Nusra-Front befreit.

Ein Hisbollah-Kommandant erklärte, dass die Nachschubwege nun unterbrochen und Stützpunkte der Al-Nusra-Front zerstört worden seien, berichtete der libanesische Journalist Ali Risk in dem Internetportal Al-Monitor. Wichtiges Ziel sei, die libanesischen Dörfer sicherer zu machen und zu verhindern, dass Milizen auch im Libanon operieren.

Während Hisbollah in Syrien eng mit dem Militär kooperiert, übernimmt auf libanesischer Seite die libanesische Armee die Aufgabe, ein Vorrücken von islamistischen Kämpfern zu verhindern. Einen Tag vor Beginn der Kalamun-Operation hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im Fernsehen erklärt, in Syrien mehr involviert zu sein als zu Beginn des Konflikts vor vier Jahren. Hisbollah befinde sich in einem »Kampf gegen den Terror«, der von anderen nach Syrien und in die Region getragen worden sei.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Mai 2015


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