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Türkei gibt Feuerschutz

Bevölkerung protestiert gegen Unterstützung Ankaras für Islamisten. Al-Nusra-Front überfällt syrische Städte

Von Karin Leukefeld *

In der ehemaligen osmanischen Provinz Alexandrette, der heute türkischen Provinz Hatay, und im benachbarten Adana nehmen die Proteste gegen die Politik der Türkei gegen Syrien zu. Bei Demonstrationen in den Hafenstädten Adana und Antakya ist es in den vergangenen Tagen zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei gekommen.

Hunderte protestierten am Samstag in Adana gegen die Unterstützung der türkischen Regierung für islamistische Kämpfer, die in der vergangenen Woche in die nordsyrischen Städte Idlib und Dschisr Al-Schughur einmarschiert waren. Die türkische Armee habe die Dschihadisten nicht gehindert, die Grenze nach Syrien zu überqueren, sondern habe sogar Feuerschutz geleistet, kritisierten die Demonstranten. Hunderte von syrischen Zivilisten seien von den vorrückenden Islamisten ermordet worden.

In der Hafenstadt Antakya waren bereits am vergangenen Donnerstag Hunderte Menschen auf die Straße gegangen. Sie warfen der türkischen Regierung vor, die Al-Nusra-Front in Syrien zu unterstützen. Die Islamisten werden für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstranten ein.

Das Vorrücken von Tausenden islamistischen Kämpfern im Norden Syriens erinnert an den Überfall auf die Grenzstadt Kassab in der Provinz Lattakia im März 2014. Die rund 2.000 Einwohner waren mehrheitlich Nachfahren von armenischen Christen, die vor 100 Jahren aus dem Osmanischen Reich vertrieben und massakriert worden waren. Bei dem Überfall auf Kassab waren die Kampfgruppen ungehindert über den offiziellen Grenzübergang aus der Türkei einmarschiert.

Unter Berufung auf eine namentlich nicht genannte Quelle der syrischen Auslandsopposition berichtete die libanesische Tageszeitung Al-Safir, dass die Kampfgruppen US-amerikanische »TOW«-Antipanzerraketen eingesetzt hätten, die von Saudi-Arabien finanziert worden seien. Außerdem hätten sie sich aus dem Waffenfundus bedient, den die Al-Nusra-Front vor drei Monaten erbeutet hatte, als sie die von den USA als »moderat« eingestufte und von ihnen ausgerüstete Hazm-Bewegung »eliminiert« habe. Die Operation der Islamisten sei – gegen den Willen von CIA und US-Militär – aus dem »Kommandoraum« in Antakya von Katar, Saudi-Arabien und der Türkei koordiniert worden, schreibt Al-Safir.

Die Koalition aus Türkei, Katar und Saudi-Arabien versuche offenbar – mit den erfolgreichsten Kampfgruppen wie der Al-Nusra-Front und tschetschenischen Brigaden –, die verbliebenen Monate bis zur Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und Iran zu nutzen, um die Kampfzone im Norden Syriens so weit wie möglich auszudehnen, hieß es bei Al-Safir. Beobachter erwarten, dass erst nach der Unterzeichnung der Übereinkunft Waffenstillstände und Verhandlungen in Syrien möglich sind.

In einem Brief fordert die syrische Regierung den UN-Sicherheitsrat und den UN-Generalsekretär auf, umgehend Schritte einzuleiten, um die Unterstützung der türkischen Regierung für die islamistischen Kampfgruppen zu stoppen. Die türkische Armee leiste für diese logistische Unterstützung und »intensiven Feuerschutz«. Dies kommt einer »direkten türkischen Aggression gegen Syrien« gleich, heißt es in dem Schreiben. Die Türkei verletze die Souveränität eines UN-Mitgliedsstaates und verstoße gegen die UN-Charta. Allein in dem Ort Eshtabraq nahe Dschisr Al-Schughur hätten die Terroristen etwa 200 Zivilisten ermordet. Die Leichen hätten sie auf den Feldern liegenlassen.

Die Türkei gehört dem Militärbündnis NATO an. 2013 stationierte der Pakt drei Staffeln von »Patriot«-Luftabwehrbatterien im Südosten der Türkei, um seinen Bündnispartner vor möglichen Angriffen seitens der syrischen Armee zu schützen. De facto sichern diese Einheiten, von denen eine von der Bundeswehr gestellt wird, die von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar forcierten Angriffe auf Syrien.

* Aus: junge Welt, Montag, 4. Mai 2016


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