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Syrischer Dschihad mit deutschen Raketen

Beweise für Einsatz von "Milan"-Lenkwaffen / Kriegsgegner fordern Stopp aller Rüstungsexporte

Von Johanna Treblin und Velten Schäfer *

In Syrien kämpfen islamistische Gruppen mit Raketen aus deutsch-französischer Produktion. Doch Schwarz-Rot rückt nicht vom Kriegsgeschäft ab.

Während in der Schweiz die Syrien-Friedenskonferenz tagt, wird in Deutschland über die Enthüllungen des LINKE-Politikers Jan van Aken debattiert. Der hatte kürzlich bei einem Besuch in den nordsyrischen Kurdengebieten festgestellt, dass dort radikal-islamische Kämpfer offensichtlich deutsch-französische Bodenraketen vom Typ »Milan« benutzen.

Ein kurdischer Kommandant zeigte einem Bericht der »Frankfurter Rundschau« zufolge van Aken die Hülle einer solchen Rakete, deren Kennnummer auf das Produktionsjahr 1976/1977 hinweist. Das bedeutet, dass die Waffe vermutlich Teil einer Lieferung Frankreichs an das syrische Assad-Regime im Jahr 1978 war, die damals zu heftigen Debatten im Bundestag geführt hatte.

Über den Einsatz deutscher Waffen im syrischen Bürgerkrieg war schon vor dem Fund spekuliert worden. Im Internet kursierten im Frühjahr vergangenen Jahres Videos über von der islamischen Al-Nusra-Front erbeutete Waffen und Munition, darunter 22 Kisten mit »Milan«-Raketen. Doch im Kampfeinsatz war die Waffe bisher nicht entdeckt worden.

»Völlig unkontrolliert landen deutsche Waffen irgendwo auf der Welt, wo sie dann wahllos töten«, sagte Lühr Henken von der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) gegenüber »nd«. Die fehlende Endkontrolle für Waffenlieferungen seitens der Bundesregierung sieht er als großes Problem an. »Der Fund in Syrien zeigt wieder, wie dringend es ist, den Waffenexport auf null herunterzufahren.«

Christine Hoffmann, Sprecherin der Initiative »Pax Christi«, fordert von der Regierung, auch bereits genehmigte Rüstungsexporte »besonders in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens« einzufrieren.

Bereits im September wurde bekannt, dass Deutschland bis 2011 Chemikalien und technische Vorrichtungen nach Syrien geliefert hat, die sich für die Produktion von Giftgas eignen. Nicht einmal den Export solcher Güter in potenzielle Gefahrengebiete will die Bundesregierung konsequent ausschließen. Im Koalitionsvertrag heißt es, »Exporte Dual-Use-fähiger chemischer Substanzen und Anlagen« in Staaten, die nicht dem internationalen Kontrollprogramm für Chemiewaffen angehören, müssten »einer besonders strikten Kontrolle unterzogen werden«.

Generell aber gebe es ein »elementares Interesse an einer innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie«. Man setze sich »für den Erhalt ausgewählter Schlüsseltechnologien und industrieller Fähigkeiten« ein.

Weiterhin sollen Waffenexporte parlamentarischer Kontrolle entzogen bleiben. Allerdings will die Regierung den Souverän »über ihre abschließenden Entscheidungen im Bundessicherheitsrat (…) unverzüglich unterrichten«, und nicht mehr erst mit dem Rüstungsexportbericht zum Ende des Folgejahres.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 24. Januar 2014


Dschihad mit deutschen Waffen

Milan-Raketen in Syrien von Islamisten erbeutet. Exportstopp verlangt

Von Claudia Wangerin **


In Syrien scheint der »heilige Krieg« der Dschihadisten zum Teil mit deutschen Waffen geführt zu werden. Nach Bekanntwerden des Einsatzes von Milan-Panzerabwehrraketen aus deutsch-französischer Produktion durch islamistische Kampfgruppen in Syrien haben sich Rüstungsexportgegner zu Wort gemeldet: »Wer Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter bedenkenlos und weltweit exportiert, hat keinerlei Kontrolle darüber, wann, wo, wie und von wem diese Waffen gegen wen auch immer eingesetzt werden«, erklärte Paul Russmann, Sprecher der »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!« am Donnerstag. An die syrische Regierung gelieferte Raketen waren offenbar von »Gotteskriegern« der Al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front erbeutet worden.

Dies ist durch Videoaufnahmen und einen Augenzeugenbericht des Bundestagsabgeordneten Jan van Aken (Die Linke) belegt, der in der vergangenen Woche in die kurdischen Gebiete Nordsyriens reiste. Angehörige der kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) erklärten van Aken und mitgereisten Journalisten, sie hätten in einem Gefecht mit Al-Nusra Waffen erbeutet – und ihm plötzlich eine deutsche Milan-Rakete gezeigt. Diese könnte aus einer Lieferung von 1978 an die Regierung von Hafis Al-Assad, dem Vater des heutigen syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad stammen. Die Ausfuhr von 4400 Raketen hatte seinerzeit im Bundestag für eine Kontroverse gesorgt. »Mittlerweile haben wir Videos gefunden, die zeigen, wie Dschihadisten vor einigen Monaten ein Depot der syrischen Armee plündern«, sagte van Aken am Donnerstag im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW). »Dabei sind ihnen wohl diese Milan-Raketen in die Hände gefallen. Inzwischen haben wir noch weitere Videos, in denen man auch neuere Milan-Raketen in der Hand von Al-Qaida sieht, die nun in Syrien damit kämpfen.«

Christine Hoffmann, ebenfalls Sprecherin der »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, forderte am Donnerstag die Bundesregierung auf, alle Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete sofort einzufrieren – auch bereits genehmigte. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Joachim Pfeiffer, nimmt die Kampfhandlungen mit Milan-Raketen im syrischen »Bürgerkrieg« zur Kenntnis, bewertet sie aber laut DW-Bericht als »bedauerliche Einzelfälle«.

** Aus: junge welt, Samstag, 25. Januar 2014


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