Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Syrien soll wählen – Assad reloaded?

Mitten im Bürgerkrieg wird die Bevölkerung an die Urnen gerufen / UNO sieht Schaden für politischen Prozess

Von Karin Leukefeld *

Die UNO hat die Ausrufung von Präsidentschaftswahlen mitten im Bürgerkrieg in Syrien scharf kritisiert. Dies werde dem politischen Prozess schaden und eine politische Lösung in weite Ferne rücken.

Die Ankündigung des syrischen Parlaments, Anfang Juni turnusgemäß die Präsidentschaftswahlen abzuhalten, hat im UN-Generalsekretariat und bei den »Freunden Syriens« einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Aus offizieller syrischer Sicht wird der verfassungsrechtliche Prozess eingehalten. Der amtierende Präsident Baschar al-Assad war am 27. Mai 2007 in seinem Amt bestätigt worden.

Stephane Dujarric, Sprecher des UNO-Generalsekretärs Ban Ki Moon, sagte, dass Wahlen in der jetzigen Situation »den politischen Prozess beschädigen und die Aussicht auf eine politische Lösung behindern, die das Land so dringend braucht«. Die in Istanbul ansässige oppositionelle Nationale Koalition der bewaffneten und revolutionären Kräfte in Syrien (Etilaf) sprach von einer »Farce« und einem »Schlag ins Gesicht der internationalen Gemeinschaft«. Die von den USA geführte Gruppe der »Freunde Syriens« hatte bereits Anfang April den vorgesehenen Wahlprozess kritisiert. Präsidentschaftswahlen seien »vollkommen unvereinbar mit der Aufforderung der Genfer Vereinbarung, eine Übergangsregierung einzusetzen«, hieß es. Baschar al-Assad wolle »mit diesen Wahlen nur seine Diktatur festigen« anstatt die Genfer Übereinkunft umzusetzen. Diese im Juni 2012 beschlossene Abmachung äußert sich nicht zu Wahlen oder zur Rolle von Präsident Assad. Neben einem Ende der Gewalt, Dialog und einer Übergangsregierung fordert die Vereinbarung den Erhalt aller staatlichen Institutionen.

Das syrische Parlament hatte am Montag erklärt, dass Anwärter auf das oberste Amt in Syrien bis zum 1. Mai ihre Kandidatur einreichen können. Die Wahlen sollen am 3. Juni stattfinden, sie seien »ein Zeichen, dass Syrien die Krise überwunden habe«. Syrer, die im Ausland leben, können ihre Stimme in den jeweiligen syrischen Botschaften am 28. Mai abgeben. Die USA und die Golfstaaten, wo viele Syrer leben und arbeiten, haben die syrischen Botschaften geschlossen. Deutschland hatte den syrischen Botschafter 2012 zur »unerwünschten Person« erklärt und ausgewiesen. Unklar ist, wie die rund neun Millionen Flüchtlinge und Inlandsvertriebenen sich an den Wahlen beteiligen können. Auch die Frage, wie die Bevölkerung in umkämpften Gebieten und Städten wählen soll, ist bisher unbeantwortet.

In Syrien gehen die Meinungen über die Wahlen unter Kriegsbedingungen auseinander. Einerseits ist der Staat verfassungsgemäß verpflichtet, das Votum zu organisieren, andererseits sind nicht nur die Umstände, sondern auch die Bedingungen, unter denen Kandidaten antreten können, umstritten. Im März hatte das syrische Parlament ein neues Wahlgesetz verabschiedet, wonach Kandidaten von mindestens 35 Abgeordneten unterstützt werden und wenigstens 40 Jahre alt sein müssen. Sie müssen die letzten zehn Jahre in Syrien verbracht haben, der muslimischen Glaubensgemeinschaft angehören und dürfen nicht mit einem Ausländer oder einer Ausländerin verheiratet sein.

Seitens der innersyrischen Opposition werden die Wahlen skeptisch gesehen. Sie tendiere zu einem Boykott, sagte die Frauenrechtsaktivistin Mouna Ghanem (Frauen für Frieden in Syrien) gegenüber »nd«. Die Opposition sei nicht in der Lage, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Louay Hussein von der Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen« äußerte sich pessimistisch. Die Präsidentschaftswahlen oder die Person von Assad seien nicht wichtig, aber die militärische Entwicklung habe »das Regime gefestigt«. Elia Samman von der oppositionellen Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (PPS) bezeichnete die Wahlen als »wenig hilfreich«. Wichtiger sei es, den Krieg zu beenden und die Syrer zu versöhnen.

Ein namentlich nicht genannter Beamter der syrischen Sicherheitskräfte äußerte gegenüber der libanesischen Zeitung »Al Akhbar« die Vermutung, dass Angriffe von bewaffneten Gruppen in den nächsten Wochen zunehmen könnten, um die Wahlen zu verhindern. Kurz bevor Parlamentssprecher Mohammed al-Laham am Montag den Wahltermin bekannt gab, waren unweit des Parlamentsgebäudes im Zentrum von Damaskus drei Mörsergranaten eingeschlagen. Dabei wurden zwei Personen getötet und 34 verletzt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 23. April 2014


Kriegslogik

Roland Etzel zur angekündigten Wahl in Syrien **

Syriens Präsident Assad will am 3. Juni ein neues Staatsoberhaupt wählen lassen. Vermutlich sich selbst, und vermutlich erhielte er sogar die Zustimmung der großen Mehrheit jener Bürger in dem tief polarisierten Land, für die Assad noch immer Garant eines in der arabischen Welt inzwischen ziemlich einzigartigen säkularisierten Staatsmodells ist. Möglicherweise, erst recht nach drei Jahren Katastrophe und Zehntausenden Toten, sähe sogar insgesamt eine Mehrheit der Wähler im kriegsmüden Land im amtierenden Präsidenten das kleinere Übel. Siehe Algerien, wo der soeben wiedergewählte Bouteflika genau diesen Bonus nutzte.

Der Unterschied: In Syrien kann nicht gewählt werden, jedenfalls nicht jetzt. Im Gegensatz zu Algerien dauert der Krieg in Syrien an. Millionen sind auf der Flucht. Also Wahlkampf im Kugelhagel? Welcher Oppositionelle ist überhaupt noch im Lande, der sich als Alternative zu Assad aufstellen lassen könnte? Was ist mit den noch immer zahlreichen Regionen, in denen Assads Feinde herrschen?

Das Szenario könnte also für eine tatsächliche Wahl kaum absurder sein. Entsprechend negativ ist das Echo im Ausland. Assad jedoch nimmt es in Kauf, weil es ihm im Moment wohl um nichts anderes geht als eine schlichte Demonstration militärischer Stärke nach innen. Dafür entzieht er seinem Regime sogar selbst Legitimation, indem er alle Exilanten von der Wählbarkeit ausschließt und damit deren politisch äußerst fragwürdige Wortführer sogar noch aufwertet. Es ist die Logik dieses Krieges.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 23. April 2014 (Kommentar)


UN cautions Syria against holding presidential election amidst ongoing ‘tragedy’ ***

21 April 2014 – Urging Syrian authorities to reconsider plans to conduct a presidential election in early June, United Nations Secretary General Ban Ki-moon and Joint UN-League of Arab States Special Representative Lakhdar Brahimi today pledged to continue to seek and build on any opportunity to resolve the country’s three-year civil war.

Addressing reporters in New York, Mr. Ban’s spokesperson, Stephane Dujarric, said holding elections in the current circumstances “will damage the political process and hamper the prospects for political solution that the country so urgently needs.”

“Such elections are incompatible with the letter and spirit of the Geneva Communiqué,” he added in reference to the action plan adopted 2012 during the first international conference on the conflict, calling for a transitional government to lead to free and fair elections.

Earlier this year, Mr. Brahimi mediated two rounds of talks between the Syrian Government and the main opposition group aimed at finding a political solution to the crisis based on the goals of the Communiqué, but the both sides stuck to their positions and the discussions yielded only modest cooperation on a humanitarian issue related to aid access in the long-besieged Old City of Homs.

President Bashar al-Assad’s Government announced that it would hold the poll on 3 June despite three years of fighting between his office and various opposition groups. According to media reports, the Constitutional Court will start accepting nominations for president as early as tomorrow.

Well over 100,000 people have been killed and an estimated 9 million others driven from their homes. In addition, there are currently more than 2.4 million refugees registered in the region: some 932,000 in Lebanon; 574,000 in Jordan; some 613,000 in Turkey; 223,000 in Iraq; and about 134,000 in Egypt, according to the UN Refugee Agency (UNHCR).

Mr. Dujarric said that despite the UN’s criticism, Mr. Ban and Mr. Brahimi will “continue to search and build upon any opening for a solution to the tragedy in Syria”.

*** UN News Centre, 21 April 2014, http://www.un.org


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Syrien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage