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Krieg gegen die Bevölkerung

Syrien: US-Luftangriffe auf IS-Terroristen treffen vor allem Zivilisten

Von Rainer Rupp *

Bei Luftangriffen der USA und ihrer Verbündeten auf Syrien sind in der Nacht zum Montag offenbar mehrere Zivilisten getötet worden. Das teilte die in London sitzende »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« unter Berufung auf in Syrien aktive Oppositionsgruppen mit. Die Angreifer hatten demnach eine von den Milizen des »Islamischen Staates« (IS) kontrollierte Erdgasanlage sowie einen Getreidespeicher bombardiert. Der Agrarkomplex sei möglicherweise für einen IS-Stützpunkt gehalten worden, hieß es. Bei den Toten handele es sich um Mitarbeiter der Anlage, die Lebensmittel für die Bevölkerung hergestellt hätten. Die US-Administration äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorfall.

Zu Beginn ihres Luftkriegs in Syrien hatten die USA in Ermangelung von IS-Militärkomplexen ihre Angriffe unter anderem gegen mobile Ölraffinerien gerichtet, die bis zu 60000 Liter Benzin pro Tag herstellen können. Etwa ein Dutzend von diesen wurde zerstört, um – so das Pentagon – die Mobilität der IS-Milizen einzuschränken. Da die Dschihadisten jedoch schnell gelernt haben, ihre »mobilen Tankstellen« besser zu verstecken, attackierte die US-Luftwaffe in den letzten Tagen vor allem größere, fest installierte Raffinerien in Nordsyrien.

US-Regierungsvertreter begründeten die Angriffe damit, daß die Raffinerien eine wichtige Finanzierungsquelle der Gruppe darstellten. Zugleich sind die kleinen Industrieanlagen aber oft die einzigen zivilen Beschäftigungsmöglichkeiten in den von Krieg und wirtschaftlichen Katastrophen zerrütteten Gebieten und stellen einen bedeutenden Faktor der zivilen Infrastruktur Nordostsyriens dar. Im Norden und Osten des Landes sind Benzin und Diesel für Normalbürger in den letzten Tagen zunehmend knapp geworden, der Preis habe sich verdoppelt, meldeten nordamerikanische Medien.

Das Vorgehen der USA in Syrien folgt dem gewohnten Muster: Da IS-Ziele nur schwer auszumachen sind, wird ohne Rücksicht auf die Auswirkungen für die Zivilbevölkerung alles bombardiert, das auch nur entfernt von wirtschaftlichem Wert für die IS-Terrorgruppe sein könnte. Dabei folgt man der aus anderen US-Kriegen bekannten Strategie: Wenn man das eigentliche Ziel nicht treffen kann, zerstört man die ganze Region. Das bedeutet, daß den durch Not und Krieg ohnehin traumatisierten Menschen in Nordostsyrien noch größeres Elend bevorsteht. Zugleich stellt sich die Frage, wie diese Region je wieder auf die Füße kommen soll, wenn der IS einmal von einer anderen Rebellengruppe verdrängt wird. Derweil scheint der IS mit mächtigen türkischen Schmugglerbanden unter den Augen des türkischen Militärs nicht nur ein florierendes Ölgeschäft zu betreiben, sondern auch mit dem Handel von Hunderttausenden Rindern, Ziegen und Schafen, die im Irak und in Nordsyrien erbeutet wurden.

Im Pentagon denken US-Verteidigungsminister Charles Hagel und sein oberster General Martin Dempsey wieder über die Schaffung einer »Flugverbotszone« über dem nordöstlichen Syrien nach. Diese soll dem Militär der rechtmäßigen syrischen Regierung die Möglichkeit nehmen, eigene Luftangriffe gegen den IS oder andere Rebellengruppen zu fliegen. Das passiert vor dem Hintergrund der erklärten Pläne Washingtons, 15000 »moderate« Anti-Assad-Rebellen auszubilden und zu bewaffnen, die dann in den von IS-Kämpfern gesäuberten Gebieten Syriens die Kontrolle übernehmen sollen.

Die reguläre syrische Armee hat seit Beginn des US-Luftkriegs ihre Operationen auf den Nordwesten des Landes im Grenzgebiet zu Jordanien konzentriert, um so einen direkten Zusammenstoß mit dem US-Militär zu vermeiden. Damaskus wird allerdings nicht tatenlos zusehen, falls es den US-Marionettenrebellen tatsächlich gelingen sollte, im Nordosten die Stelle des IS einzunehmen.

* Aus: junge Welt, Dienstag 30. September 2014


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