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Wahl ohne Auswahl

Tadschikistan entscheidet über das nächste Parlament. Es wird mit dem alten weitgehend identisch sein

Von Knut Mellenthin *

Am Sonntag finden in der früheren Sowjetrepublik Tadschikistan Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Der zentralasiatische Staat, der doppelt so groß ist wie Bayern, hat keinen Zugang zum Meer oder anderen großen internationalen Handelswegen. Die ungefähr 8,5 Millionen Einwohner sprechen zwar eine dem iranischen Persisch verwandte Sprache, sind aber im Gegensatz zu den Iranern fast ausschließlich Sunniten. Tadschikistan ist der ärmste unter den Nachfolgestaaten der im Dezember 1991 aufgelösten Sowjetunion.

Überraschungen oder auch nur wesentliche Veränderungen bei den Wahlergebnissen sind ausgeschlossen. Die Großfamilie von Präsident Emomalii Rachmon, der schon seit 1992 Staatsoberhaupt ohne Konkurrenz ist, hat das Land mit der von ihr beherrschten Demokratischen Volkspartei (DVP) fest unter Kontrolle. Ihre wichtigsten Methoden sind dabei Korruption, Repression und ein nahezu totales Monopol über die Medien. Politische Gegner werden entweder in das System integriert, eingeschüchtert und behindert oder zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Im 2010 gewählten Parlament, dessen Amtszeit nun zu Ende geht, stellen die DVP oder ihr eindeutig zuzuordnende »Unabhängige« 55 der insgesamt 63 Abgeordneten. Die übrigen acht Sitze entfallen zu je zwei auf die Islamische Wiedergeburtspartei (IWP), die Kommunistische Partei, die Bauernpartei und die Partei für Wirtschaftsreformen. Die beiden letzteren gelten als »Taschenparteien«, also als Filialen der DVP, die nur dazu dienen, politische Pluralität vorzutäuschen. In einer ähnlichen Rolle befindet sich, mit etwas mehr Bewegungsspielraum, auch die KP.

Einzige im Parlament vertretene Oppositionspartei ist die IWP, die starken Einschüchterungsmaßnahmen, aber immer wieder auch der Bestechung einzelner ihrer Politiker ausgesetzt ist. Während des Wahlkampfs wurden über »soziale Netze« Videos verbreitet, die den Parteivorsitzenden Muhiddin Kabiri beim Sex mit einer Prostituierten zeigten, um den verheirateten Politiker moralisch zu diskreditieren.

Die IWP klagt auch über gefälschte Facebook-Einträge und -Konten in ihrem Namen, die anscheinend vom Geheimdienst des Regimes ins Netz gestellt wurden. Eine weitere Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, scheiterte 2010 an der Fünfprozentklausel. Viele Kandidaten, so diesmal die Hälfte aller von der IWP aufgestellten, werden gar nicht erst zur Wahl zugelassen. Ein wichtiges Hindernis ist der laut Kritikern sehr willkürlich gehandhabte Sprachtest.

Tadschikistan ist die einzige unter den postsowjetischen Republiken Zentralasiens, in der eine islamische Partei im Parlament vertreten ist. Das hat historische Ursachen: 1992, kurz nach Auflösung der Sowjetunion, kam es zu einem heftigen Bürgerkrieg zwischen der alten Bürokratie und ihren Anhängern einerseits und islamistischen Kräften andererseits, der mehrere Jahre dauerte. Beide Seiten hatten in unterschiedlichen Landesteilen ihre Hochburgen. Die Kämpfe wurden Mitte der 1990er Jahre mit einem Kompromiss beendet. Dem von proislamischen Kräften dominierten Bündnis Vereinigte Tadschikische Opposition (VTO) wurde eine Regierungsbeteiligung versprochen. In den folgenden Jahren gelang es dem Regime jedoch, die VTO schrittweise von der Macht zurückzudrängen und schließlich auszuschalten.

Übriggeblieben ist die schon 1990 gegründete, mehrmals verbotene, aber seit 1998 wieder legale IWP. Sie ist zwar eine religiöse, aber keineswegs eine islamistische Partei. Die tadschikische Führung sieht in einem weitgehend kontrollierten Islam einen Damm gegen die reale Gefahr einer fundamentalistischen Radikalisierung von Bevölkerungsteilen, hauptsächlich von jugendlichen Arbeitslosen. Tadschikistan hat die höchste Geburtenrate aller postsowjetischen Staaten. Nicht nur der Chefmufti des Landes, sondern auch die Imame werden vom Staat ernannt. Predigttexte werden vorgegeben. Minderjährigen ist der Moscheebesuch verboten.

Neben der verfestigten Massenarbeitslosigkeit gehören extreme Energieknappheit – den Verbrauchern stehen täglich nur sechs Stunden Strom zur Verfügung – und der Zerfall der sozialen Infrastruktur, besonders des Gesundheitssystems, zu den größten Problemen des Landes. Negativ wirkt sich außerdem aus, dass die Zahl der Russen von 380.000 um 1990 auf 35.000 im Jahre 2010 gesunken ist: Sie stellten einen überdurchschnittlich großen Teil der Experten und Facharbeiter.

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. Februar 2015


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