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Anklage gegen die Regierung

Spitzenanwalt der oppositionellen Rothemden will Thailands Premier vor internationalen Gerichtshof bringen

Von Thomas Berger *

Thailands Regierungschef Abhisit Vejjajiva ist ein Mann in Bedrängnis. Immer wieder muß er sich mit internem Krach in der von seiner Demokratischen Partei (DP) geführten Koalition herumärgern, auch schon mal um die drohende Zwangsauflösung der DP bangen, hat einen sich wieder zuspitzenden Grenzkonflikt mit dem Nachbarn Kambodscha auszutragen und wird ständig neu von seinen wichtigsten Gegnern, der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung der sogenannten Rot­hemden, mit Massendemonstrationen unter Druck gesetzt. Nun droht dem einstigen Strahlemann noch ganz anderes Ungemach: Womöglich müssen Abhisit und weitere Mitglieder seines Kabinetts demnächst jenseits der Landesgrenzen vor den Kadi. Die Vereinte Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD), wie sich die vor allem aus der armen Landbevölkerung des Nordens und Nordostens rekrutierende Rothemdenbewegung offiziell nennt, bereitet eine Klage wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor.

Rund zehn Monate ist es her, daß die UDD im Herzen der Hauptstadt Bangkok zeitweise über 100000 Aktivisten versammelte, um die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Die Proteste legten das öffentliche Leben in Bangkok teilweise lahm, und schließlich verbarrikadierte sich der harte Kern der Oppositionellen im wichtigsten Geschäftsviertel. Nachdem sich das Militär eine Weile geweigert hatte, zum Handlanger der Politik bei einer gewaltsamen Auflösung der Blockade zu werden, kam es am 19. Mai doch noch zum blutigen Showdown. Insgesamt 91 Menschen kamen dabei ums Leben, die weitaus meisten waren UDD-Aktivisten.

Das gezielte Feuern in die Menge mit scharfer Munition sei ein Verbrechen gewesen, argumentieren die Rothemden. Hinzu kämen diverse Verhaftungen und weitere Verfolgungsakte. Die damalige Führung der Rothemden ist seit Juni 2010 mit einer Ausnahme komplett in Haft, einigen von ihnen sehen sich dem Vorwurf des Terrorismus ausgesetzt.

Nun jedoch hat die Bewegung prominenten Beistand. Expremier Thaksin Shinawatra, seit seinem Sturz beim unblutigen Militärputsch 2006 mit nur kurzer Unterbrechung an wechselnden Orten im Exil lebend, hat der ihm verbundenen UDD einen Spitzenanwalt von internationalem Rang besorgt. Der von London aus agierende Kanadier Robert Amsterdam hat derzeit neben seiner Beraterrolle für Thaksin noch mindestens einen weiteren namhaften Klienten: den in russischer Haft einsitzenden Michail Chodorkowski, einstiger Chef des mächtigen Ölkonzerns Yukos.

Einschließlich umfangreichen Anhangs ist der Klageantrag knapp 300 Seiten stark, den der Jurist im Auftrag der UDD verfaßt hat. Ob der Gerichtshof in Den Haag dem Vorstoß stattgibt und ein Verfahren einleitet, ist vorerst offen. Eine Hürde stellt dar, daß Thailand nicht zu den Unterzeichnern des Statuts von Rom als Basis der internationalen Gerichtsbarkeit gehört. Dennoch gibt es für die Klagewilligen eine gewisse Chance. Denn Amsterdam argumentiert, daß Premier Abhisit in Großbritannien aufwuchs und damit als Bürger des Vereinigten Königreiches in persona unter Jurisdiktion des Strafgerichtshofes falle.

Den Glauben an das einheimische Justizwesen jedenfalls haben die Rot­hemden weitgehend verloren. Viele von ihnen sehen in dem Vorhaben die einzige verbliebene Möglichkeit, die dramatischen Geschehnisse vor einem Dreivierteljahr von unabhängiger Seite aufarbeiten zu lassen. Schon die Zulassung einer Klage wäre für die Regierenden in Bangkok ein verheerendes politisches Signal.

* Aus: junge Welt, 2. Februar 2011


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