Das Lächeln ist Thailand vergangen
Angst in Bangkok: Versinkt das Land nach einem Richterspruch im Strudel der Gewalt?
Von Michael Lenz, Bangkok *
Am heutigen Dienstag (2. Dezember) hebt sich der Vorhang zum nächsten Akt in Thailands unfassbarem Politdrama. Das Verfassungsgericht könnte bewirken, was die Flughafenbesetzer von der »Volksallianz für Demokratie« (PAD) bislang vergeblich gefordert haben: den Rücktritt der
Regierung.
Das thailändische Verfassungsgericht wird darüber befinden, ob die größte Regierungspartei Phak
Palang Prachachon (Partei der Volksmacht – PPP) und ihre kleineren Koalitionspartner aufgelöst
werden. Mitglieder der PPP und anderer Parteien sind wegen Wahlbetrugs verurteilt worden, und
damit droht diesen Parteien laut der neuen Verfassung die Zwangsauflösung.
Thailand sieht dem Urteil, von dem man jedoch nicht weiß, ob es nach der letzten Anhörung bereits
heute verkündet wird, mit Besorgnis entgegen. Denn zu befürchten steht, dass der Richterspruch
den Machtkampf nicht beenden, sondern zusätzlich anheizen wird. Die beiden gegensätzlichen
politischen Lager haben sich ihr Urteil über das Urteil nämlich schon gebildet. Für die
regierungstreuen »Rot-hemden« ist eine Auflösung der Parteien ein »juristischer Putsch«, den sie
auf keinen Fall hinnehmen wollen. Sollte das Gericht die Parteien aber nicht auflösen oder die
Entscheidung auch nur vertagen, ist die Sache für die Gegenseite, die »Gelbhemden« der PAD,
eindeutig: Die Richter sind korrupt.
Beide Seiten mobilisieren seit Tagen ihre Anhänger mit kriegerischer Rhetorik: »Endkampf« nennen
sie die für heute geplanten Massendemonstrationen. Die »Rot-hemden« mobilisieren ihre Anhänger
in ihren Hochburgen im Norden Thailands, die »Gelbhemden« ihre Jünger im Süden. Die tiefe
politische Spaltung manifestiert sich auch geografisch. Für beide Seiten heißt Kampf nur noch
gewaltsamer Kampf.
Schon häufen sich Scharmützel und Provokationen in Bangkok, aber auch im nördlichen Chiang
Mai, wohin sich Thailands Regierung unter Ministerpräsident Somchai Wongsawat nach den
Flughafenbesetzungen geflüchtet hat. »Gelbhemden« schießen auf Taxifahrer, Straßenhändler und
Journalisten, die als Sympathisanten der »Rothemden« gelten. Unbekannte Täter beschießen
inzwischen fast jede Nacht die Besetzer des Regierungssitzes und des Flughafens Don Muang mit
Granaten. Das lässt nichts Gutes ahnen, sollten Gelbe und Rote in den Straßen aufeinandertreffen.
Blutige Straßenkämpfe aber werden unweigerlich das Militär auf den Plan rufen, das als Unterstützer
der »Gelbhemden« gilt. Aber nicht vollständig. Denn auch die »Rothemden« haben ein paar
Freunde in der Armee. Das schlimmste Szenario, das in diesem Tagen in Thailands Medien
diskutiert wird, heißt Bürgerkrieg. Thais schießen auf Thais.
Die Regierung von Ministerpräsident Somchai ist machtlos. Weder Armee noch Polizei haben
ernsthafte Versuche unternommen, den Flughafenbesetzungen ein Ende zu bereiten. Im Gegenteil,
wie ein Foto auf der Webseite der englischsprachigen Tageszeitung »The Nation« am Montag
zeigte: Zu sehen waren Bangkoks Polizeichef Suchart Muankaew und Chamlong Srimuang, der
Anführer und Scharfmacher der PAD, wie sie miteinander lachten und scherzten. Die beiden hätten
sich getroffen, um über die Sicherheit der Demonstranten zu verhandeln, schrieb das Blatt.
Die Mehrheit der Thais hofft, dass ein Blutbad in letzter Minute durch ein Machtwort König Bhumibol
Adulyadejs vermieden werden kann. Der von allen tief verehrte König feiert am Freitag seinen 81.
Geburtstag. Am Vorabend hält er traditionell eine Rede, in der er die Streitparteien ermahnen
könnte.
Weder Rot- noch Gelbhemden werden dem Monarchen das Fest vergällen wollen. Vielleicht wird der
Konflikt, der Thailand politisch und wirtschaftlich an den Rand des Abgrunds gebracht hat, während
der Geburtstagsfeierlichkeiten wenigstens ausgesetzt. Und vielleicht beruhigen sich die Gemüter
derweil, so dass dem Königreich der Absturz in Gewalt und Anarchie erspart bleibt. Vielleicht auch
geben die Gelben als »Geschenk« an ihren König den seit acht Tagen besetzten internationalen
Flughafen Suvarnabhumi wieder frei. 240 000 Thailandreisende sitzen inzwischen fest in dem Land,
dem das Lächeln vergangen ist.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Dezember 2008
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