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"Was sollen sie tun? Uns alle töten?"

Thailändische Demokratiebewegung lässt sich von Militärs und Ausnahmezustand nicht bremsen

Von Mark Teufel, Bangkok *

Der Machtkampf zwischen Regierung und Oppositionellen ist am Montag (13. April) in Bangkok in Straßenschlachten ausgeartet. Mindestens 90 Verletzte und eine unbekannte Zahl an Todesopfern sind zu beklagen.

Regierungschef Abhisit Vejjajiva ging am Montagnachmittag erneut auf Sendung und beschwor die Regierungsgegner, friedlich abzuziehen. Der Oberbefehlshaber, General Songkitti Chakkrabat, trat an die Öffentlichkeit und warnte, die Truppen würden »alle möglichen Mittel« anwenden, um den Frieden in der Hauptstadt wieder herzustellen. Nichts dergleichen geschah. »Wir werden uns dem Militär entgegenstellen«, sagte einer der Anführer, Jakrapob Penkair. »Wir bewegen uns keinen Schritt«, sagte der Steinmetz Chaiya Chaiwichayakul (33). »Was wollen sie tun? Uns alle töten?« Am Regierungsgelände hatte sich der harte Kern der Demonstranten, rund 10 000 Menschen, hinter Straßensperren verbarrikadiert.

Der Regierungschef hatte am Sonntag (12. April) den Ausnahmezustand verhängt, um dem Aufstand gegen seine Regierung ein Ende zu machen, den das Fehlverhalten der Sicherheitskräfte erst richtig in Fahrt gebracht hatte. Sie waren nicht willens, einen paramilitärischen, in blau gekleideten bewaffneten Mob davon abzuhalten, am 11. April Demonstranten der Rothemden von der Vereinigten Front für Demokratie und gegen Diktatur zu überfallen und zwei von ihnen anzuschießen, einen davon zu töten, und mindestens zehn weitere durch Steinwürfe teilweise schwer zu verletzen. Das brachte die sich bereits auf dem Weg in die Songkran-Ferien (das buddhistische Neujahr) befindenden Rothemden in Rage. Als die Sicherheitskräfte sich weigerten, die Blauhemden zu verhaften, nahmen die Roten das Gesetz in die eigene Hand und sprengten die Gipfelkonferenz der ASEAN-Staatengemeinschaft und trieben die Blauhemden nach einer kurzen Straßenschlacht in die Flucht. Eine Eskalation der Gewalt folgte dann unaufhaltsam, ohne angemessene Reaktion der Sicherheitskräfte. Und schließlich wurde nach Ausrufung des Ausnahmezustandes die Demokratiebewegung zum Feind des Staates erklärt, statt die blauen Aggressoren zu verhaften.

Tausende Demonstranten waren in das benachbarte Touristenziel Pattaya gefahren, um vor dem Royal Cliff Beach Resort zu demonstrieren, in dem das ASEAN- Gipfeltreffen stattfinden sollte. Thailand hat derzeit den Vorsitz des ASEAN, dem südostasiatisch-ozeanischen Pendant zur EU. »Wir wollen das Treffen nicht verhindern, sondern daran teilnehmen«, erklärte Chukiat Duangchana. Nachdem sie ein Protestschreiben übergeben hatten, befanden sie sich auf dem Rückweg, als sie von vermummten Blauhemden angegriffen wurden und die eigentliche Eskalation der Gewalt begann.

Der Ausnahmezustand wurde auf immer mehr Provinzen ausgeweitet, und die Demonstranten strömten von verschiedenen Einzelaktionen in Bangkok zurück an die Regierungsgebäude. Einige Mönche begleiten sie auf der Bühne, während sie die gewaltsame Niederschlagung der Bewegung an den Regierungsgebäuden erwarten. Und wieder wird die Weltöffentlichkeit – wie schon 1973, 1976 und 1992 – nicht erfahren, was wirklich passiert, da die Regierung den Oppositionssender zum Schweigen gebracht hat.

Die Rothemden haben in den letzten 15 Tagen Tabus gebrochen, indem sie endlich öffentlich die Namen der Hintermänner des Militärcoups vom 19. September 2006 nannten, was bisher niemand gewagt hatte. Als engste Berater des Königs galten sie als unantastbar. Dabei mussten die Demokratieaktivisten jedoch sorgsam darauf achten, den durch ein drakonisches Gesetz geschützten Monarchen von jeder Kritik auszusparen. König Bhumibol Adulyadej ist mit einem geschätzten Vermögen von 35 Milliarden US-Dollar einer der reichsten Männer und mit fast 63 Jahren Herrschaft auch der am längsten amtierende Monarch der Welt.

Diese Auseinandersetzung ist nicht mehr die der armen Landbevölkerung gegen die reichen Städter. Die Rothemden haben es mit ihrer Kampagne geschafft, alle gesellschaftlichen Kräfte in ihrer Bewegung zu vereinigen, die endgültig die Nase voll haben von Militärcoups, PuuYaismus – einer Art offizialisierte mafiöse Bevormundung durch »geschätzte ältere Persönlichkeiten« – und notorischer Beugung des Rechtsstaates. Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Thailand ist auf dem Weg, ein zweites Myanmar zu werden.

* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2009


Gipfelsturm und Panzer

Die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Thailand haben am Wochenende einen neuen dramatischen Höhepunkt erreicht. Nachdem am Sonnabend (11. April) der ASEAN-Gipfel in Pattaya nach nur einem halben Tag abgebrochen werden mußte, verhängte Premier Abhisit Vejjajiva, dessen Rücktritt die Zehntausenden Protestierenden auf den Straßen fordern, den Ausnahmezustand über die Hauptstadt und Teile von fünf angrenzende Provinzen. Erstmals seit dem Militärputsch von 2006 fuhren am Sonntag (12. April) in der Innenstadt von Bangkok wieder Panzer auf. Der wichtigste Anführer der außerparlamentarischen Opposition wurde festgenommen. Bei einem Schußwechsel während der Proteste wurde in der Hauptstadt ein Mensch getötet.

Wie Flüchtlinge mußten die Teilnehmer des ASEAN-Gipfels aus einem Edelhotel in Pattaya ausgeflogen werden, nachdem die »Rothemden« der Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD) nach dem Durchbrechen der Polizeiabsperrungen bis auf das Tagungsgelände vorgedrungen waren. Einige hatten schon nur mit Hindernissen das Hotel erreicht, und Abhisit war mit dem Hubschrauber zum Gipfel eingeflogen, der bereits mehrfach verschoben worden war und nicht in Bangkok, sondern in dem drei Fahrstunden entfernten Badeort Pattaya stattfand. Dennoch schafften es dort etwa 2000 UDD-Aktivisten, binnen kürzester Zeit den Polizeikordon zu durchbrechen. Für den Abbruch des Gipfels und die Verhängung des Ausnahmezustandes über Pattaya, bis die Tagungsteilnehmer nach einigen Stunden alle sicher die Stadt verlassen hatten, zeigten ausländische Diplomaten zumindest offiziell Verständnis.

Die Sicherheitskräfte hatten kurzzeitig auch das Signal eines TV-Satellitensenders unterbrochen, über den die Botschaften des 2006 beim Putsch gestürzten und nun im Exil lebenden Expremiers Thaksin Shinawatra übertragen werden. Schon ein paar Stunden später konnte dieser seine Anhänger aber erneut zum Durchhalten ermuntern. Die UDD werde ihre Proteste noch verstärken, kündigte er an, und stellte bei einer weiteren Verschärfung der Lage seine Rückkehr in Aussicht, um bei einem neuen Putsch oder einer sonstigen Eskalation selbst die Volksmassen anführen zu wollen.

Zu mindestens 74 Verletzten kam es, als am frühen Montag morgen gegen vier Uhr Ortszeit etwa 400 Sicherheitskräfte gegen 300 UDD-Aktivisten in der Nähe des Victory Monuments, einem Denkmal im Norden der Innenstadt, vorgingen. Von den Demonstranten nach Augenzeugenberichten mit Steinen und Tränengas attackiert, schossen die Polizisten und Soldaten ihrerseits über die Menge in die Luft. In einer Fernsehansprache in der Nacht zum Montag hatte sich der Premier mit allen wichtigen Regierungsmitgliedern sowie Militärchefs gezeigt, um Gerüchte über interne Streitigkeiten zu widerlegen.

** Aus: junge Welt, 14. April 2009


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