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"Justizrevolution" im Königreich Thailand

Richter wollen korrupten Machtapparat von Altpremier Thaksin zerschlagen

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Thailand steht Kopf. Staatsanwälte und Richter haben eine Reihe von Verfahren gegen einst unantastbare Kreise eröffnet und mutige Urteile gesprochen. Im Königreich ist schon von einer Justizrevolution die Rede.

In diesem Monat beginnt die Welle von Prozessen gegen den im September 2006 gestürzten Premier Thaksin Shinawatra. Damit ist das einst Undenkbare denkbar geworden. Nämlich dass Thaksin, der trotz der Beschlagnahme von rund zwei Milliarden US-Dollar noch immer zu den reichsten Thailändern gehört, mit einem Bein im Gefängnis steht. Richter haben ihm bereits das Verlassen des Landes verboten - er könnte sich absetzen, zum Beispiel in seine neue Wahlheimat Großbritannien, wo er den Fußballklub Manchester City kaufte. Doch nach britischem Recht müsste Thaksin auch seine Anteile an diesem Klub verkaufen, sollte ihn ein thailändisches Gericht für schuldig befinden.

Fast zwei Jahre dauerte es, bis die Gerichtsmühlen zu mahlen begannen. Noch letzte Woche reichte der Generalstaatsanwalt eine Anklage nach, die ins Jahr 2003 zurückreicht, als der damalige Regierungschef Thaksin Gesetze zu seinen Gunsten änderte, was seinem Telekom-Imperium Shin Milliarden an Mehreinnahmen bescherten. Thaksin kontrollierte sein Unternehmen weiter über Stellvertreter, obwohl ihm dies als Regierungschef verboten war. Zudem schickte Thailands Oberstes Gericht im letzten Monat drei Anwälte Thaksins direkt ins Gefängnis. Sie hattten den Gerichtshof auf linkische Weise zu bestechen versucht.

Inzwischen hat auch Innenminister Noppadon Pattama - der frühere Chefanwalt Thaksins - wegen eines diplomatischen Skandals seinen Rücktritt eingereicht. Kein halbes Jahr im Amt, steht Thailands neue Regierung von allen Seiten unter Druck - weil die Richter endlich tun, was sie seit jeher tun sollten: Recht sprechen. Reichtum gilt im Königreich zwar gemeinhin als Synonym für Immunität. Eine aktivere Justiz hat jetzt aber klar signalisiert, dass sie mit der »Schmutzpolitik« aufzuräumen gewillt ist - »ein Prozess, der langwierig und chaotisch sein wird«, wie die beiden Politologen Pasuk Phongpaichit und Chris Baker im »Wall Street Journal« ausführten. »Auf Dauer«, so ihre Einschätzung, »mag sich eine offenere und umfassendere Demokratie mit einer festeren Rechtsordnung behaupten.«

Die Richter haben erreicht, was weder die Opposition noch die seit Mai andauernden Straßenproteste gegen die Regierung schafften: die von Korruption und Machtmissbrauch gezeichnete Elite resolut an ihre Verpflichtungen aus der Verfassung zu erinnern. Volk und Medien scheinen sich einig, dass es der Justiz nicht allein darum geht, Thaksins Machtstrukturen ein für allemal zu zerschlagen. Der einst stolzen Vorzeigenation Südostasiens droht der Abstieg in die totale Unglaubwürdigkeit - wovor Thailands verehrter Monarch Bhumibol Adulyadej angesichts der endlosen politischen Wirren schon vor zwei Jahren warnte: »Wenn ihr (Richter) der Demokratie nicht helft sich zu entwickeln, bedeutet das den Niedergang des Landes«, sagte der König im April 2006 in einer Rede an die höchsten Richter des Landes, die ihren »Wissensreichtum« und ihr »Gespür für Moral« sprechen lassen sollten. Der Regierung unter Premier Samak Sundaravej, die als reine Stellvertreterregierung Thaksins und seiner aus der Politik verbannten Getreuen gilt, billigen Beobachter nur noch ein paar Amtsmonate zu.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2008


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