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Nach der Wahl in Thailand:

So sehen keine Sieger aus - Premier Thaksin in der Defensive

Nach der Wahl am 2. April ist die Lage im Land alles andere als klar. Premier Thaksin hat sich und seine Regierungspartei TRT ("Thais lieben Thais") zwar zum Wahlsieger erklärt, doch die Opposition weist auf die hohe Zahl von Stimmenthaltungen hin: Sie hatte zum aktiven Wahlboykott aufgerufen und viele Wähler sind dem Aufruf gefolgt. Wie viele es letztendlich waren und auf welche "Mehrheit" sich Thaksin im Land stützen kann, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Schon vor dem Wahlsonntag war eine Welle des Massenprotests durch das Land gegangen.
Wir dokumentieren im Folgenden drei Artikel aus der Tagespresse.



Thailand bleibt in der Krise

Bei den Wahlen folgten viele dem Boykottaufruf der Opposition

Von Daniel Kestenholz, Bangkok*


Trotz zahlreicher Denkzettel durch Protestwähler denkt Thailands Premier Thaksin nicht an Rücktritt. Eine unerwartet hohe Anzahl an Protestwählern hat den Rücktrittsdruck gegen Thailands umstrittenen Premier Thaksin Shinawatra verstärkt. Nach Auszählung von 85 Prozent der Stimmen habe Thaksins regierende »Thais lieben Thais«-Partei (TRT) lediglich 44,4 Prozent erhalten, berichteten Medien. Thaksin dagegen sprach von einem »zufriedenstellenden« Wahlergebnis mit 16 Millionen Stimmen für seine Partei gegenüber 10 Millionen Nein- und anderen Stimmen.

Die offiziellen Ergebnisse liegen noch nicht vor, doch Thaksin fordert bereits den Wahlsieg ein und die Nation rätselt: Wer spricht die Wahrheit? Vor den Neuwahlen am Sonntag hatte Thaksin den Rücktritt versprochen, sollte er weniger als die Hälfte der Stimmen erhalten. Doch welcher Stimmen? Von einem breit angekündigten Fernsehinterview Thaksins wurde schon eine Rücktrittserklärung des bedrängten Premiers erwartet.

Stattdessen legte Thaksin eigene Zahlen vor, wonach er nicht an einen Rücktritt denken könne, um seine 16 Millionen Wähler nicht zu enttäuschen. Als Kompromiss kündigte Thaksin die Bildung einer Versöhnungskommission an, doch mit seinen Ausflüchten und der Beteuerung, er verstehe nicht, weshalb er zurücktreten solle, goss er noch Öl ins Feuer der Opposition, die sich zu neuen Massenprotesten gegen den Milliardär sammelt, der sein Vermögen als Monopolist im Bereich der Telekommunikation machte. Thaksin werden massiver Machtmissbrauch und eine »Politik der Korruption« vorgeworfen. Er steht mit dem Rücken zur Wand, hatte er vor den Wahlen doch auch gesagt: »Wahlen sind wie Sport. Verlierer haben das Resultat zu akzeptieren.« Seine TRT hat zwar wie erwartet praktisch alle Sitze gewonnen, weil sie wegen des Wahlboykotts der Opposition gegen keine Gegner anzutreten hatte.

Doch ausgerechnet in der Hauptstadt Bangkok verpassten Protestwähler Thaksin eine denkwürdige Ohrfeige mit mehr Nein-Stimmen als Stimmen für Thaksins Kandidaten. TRT-Leute unterlagen den Stimmen der Protestwähler in 27 von Bangkoks 36 Wahlkreisen. Es muss Thaksin kränken, bei einer Wahl ohne Gegner als Verlierer dazustehen. Denn ohne Unterstützung der Hauptstadt fehle ihm das Mandat, weiterzuregieren, hieß es aus Oppositionskreisen.

TRT schloss auch im Süden, der traditionellen Hochburg der oppositionellen Demokraten, katastrophal ab, während der volkreiche arme Norden als die Festung des Populisten Thaksin bestätigt wurde. In Wahlkreisen, wo allein antretende TRT-Kandidaten nicht mindestens 20 Prozent der Stimmen erreichten, sollen umgehend Nachwahlen folgen, um ein vollständiges 500-köpfiges Unterhaus zu erhalten. Denn nur vor diesem kann eine neue Regierung eingeschworen werden.

Thaksin hat unterdessen mit einer härteren Gangart gegen Demonstranten gedroht, doch ohne Rückhalt in der Hauptstadt kann er diese auf Dauer weder regieren noch halten. Oppositionsführer Abhisit Vejjajiva von den Demokraten warnte Thaksin, die Masse an Nein-Stimmen sei eine »Warnung des Volkes« und »etwas Seltsames und Neues«, auf das er zu reagieren habe.

* Aus: Neues Deutschland, 4. April 2006


Leere Stimmzettel

Parlamentswahl in Thailand: Massenhafter Boykott. Schwere Niederlage von Premier Thaksin. Proteste gehen weiter. General droht mit Eingreifen der Armee

Von Raoul Wilsterer**


Die vorgezogene Parlamentswahl beendet die thailändische Krise nicht. Im Gegenteil. Der Urnengang vom Sonntag trug den Protest von der Straße in die Abstimmungslokale. Dort verweigerte ein Großteil der Wähler der regierenden Partei Thai Rak Thai (»Thailänder lieben Tailänder« – TRT) von Ministerpräsident Thaksin Shinawatra seine Stimme. Zum Boykott hatte die Opposition aufgerufen, deren Parteien nicht kandidierten. Und sie hatten Erfolg: Nach den am Montag von der Wahlkommission veröffentlichten Auszählungsergebnissen gaben in Bangkok 50,13 Prozent der Wahlberechtigten leere Stimmzettel ab.

Mit 60 Prozent fiel zudem die Wahlbeteiligung niedrig aus. Weil die Opposition keine Kandidaten aufgestellt hatte, traten die TRT-Vertreter in 278 von 400 Wahlkreisen allein an. Sie mußten laut thailändischem Wahlrecht zumindest 20 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen, damit das Ergebnis für gültig erklärt werden kann. Nach Angaben des Fernsehsenders Nation TV erreichten die TRT-Kandidaten in 38, vor allem im Süden liegenden Wahlbezirken den erforderlichen Stimmenanteil nicht. Die Wahlkommission müßte in diesen Wahlbezirken binnen 30 Tagen Nachwahlen abhalten. Unterstützt wurde Thaksin erwartungsgemäß von den Wählern im Norden des Landes, in den ländlichen Regionen Thailands. Dort erhielt die Regierungspartei eine sichere Mehrheit.

Der Premier sagte am Montag (3. April), er sei bereit, »jeden Vorschlag über einen Weg zur nationalen Versöhnung aufzugreifen«. Thaksin ist seit 2001 im Amt, erst im Februar vergangenen Jahres war er mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt worden. Die Opposition wirft ihm Korruption, Vetternwirtschaft und eine enge Verflechtung von Politik und dem Big Business vor. Thaksin habe die in der Verfassung vorgesehenen Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt und die demokratischen Institutionen des Landes korrumpiert, heißt es.

Der 56jährige hatte seinen Rücktritt angekündigt, falls er nicht mindestens die Hälfte der Stimmen bekommen sollte. Ob er Wort hält, blieb zunächst offen: Für Montag abend (nach jW-Redaktionsschluß) war eine TV-Ansprache Thaksins angekündigt. In thailändischen Zeitungen wurde darüber spekuliert, daß der Premier »aus Enttäuschung« über die weit verbreitete Stimmenthaltung seinem Stellvertreter die Amtsgeschäfte übertragen könnte, um die politische Situation zu entspannen.

So oder so steht Thailand inmitten einer schweren politischen Krise. Die Opposition rief zu weiteren Protesten auf. Zugleich mischte sich das Militär ein. Armeechef Sonthi Boonyaratglin warnte vor dem »Schüren neuer Massenproteste«. Der General wörtlich: »Politik muß durch Politik gelöst werden. Die Menschen sollten nicht versuchen, den König oder die Armee zum Eingreifen zu zwingen.«

** Aus: junge Welt, 4. April 2006


Für den König und sein System

Nach Audienz beim Monarchen appelliert Thailands Premier an Versöhnung und Einheit

Von Evamaria Haupt, Bangkok***

Der Premier ging, die Krise blieb. Am Dienstag abend kündigte Thaksin Shinawatras seinen Rücktritt an und übergab am Mittwoch dann auch tatsächlich die Amtsgeschäfte an seinen Stellvertreter Chitchai Wannasathit. Die Opposition begrüßte zwar die Entscheidung, erklärte jedoch, daß diese nur ein erster Schritt für die »notwendige Demokratisierung« sein könne. Sondhi Limthongkul, Sprecher der People's Alliance for Democracy (PAD), sieht die Forderungen der Demokratiebewegung nur »zu einem Viertel« erfüllt. Die für Freitag angekündigte Demonstration werde daher stattfinden.

Einige Mitglieder der Oppositionsparteien äußerten zudem Zweifel an der Ernsthaftigkeit von Thaksins Rücktritt. Der Premier hatte ihn unmittelbar im Anschluß an eine Audienz bei König Bhumibol Adulyadej bekanntgegeben, so daß die Einflußnahme des Monarchen auf der Hand lag. Seinen Verzicht auf eine weitere Kandidatur habe er »aus Respekt« vor dem König getroffen, meinte der Premier. Alle politischen Gruppierungen müßten ab sofort Kompromißbereitschaft zeigen und »aktiv an der Aussöhnung teilnehmen«. Am 9. Juni 2006 dann sollen die 62 Millionen Thais das 60jährige Thronjubiläum ihres Königs Bhumibol feiern. Die Zeremonie mit etwa 20 gekrönten Häuptern aus aller Welt verlange eine Nation, die vereint und in Liebe hinter ihrem König steht, so Thaksin. Sie sollte nicht durch eine innenpolitische Krise getrübt werden.

Bhumibol ist krisenerprobt; er überstand manche für ihn heikle Situation in dem südostasiatischen Land mit Geschick, wie 1992 nach der blutigen Niederschlagung von demokratischen Protesten mit Hunderten Toten. Bei der Entwicklung Thailands von einem semifeudalen Agrarstaat zu einem der asiatischen Tigerstaaten des Kapitals war der König eine omnipräsente Leitfigur. In der Wirtschaftskrise 1997 erinnerte er seine Landsleute unablässig an die buddhistischen Werte von Genügsamkeit und Bescheidenheit und forderte zu deren Einhaltung auf.

Bis heute ist der Monarch selbst in den entlegensten Teilen des Landes präsent. Die meisten Porträts zeigen den bebrillten Herrscher in stattlicher Uniform oder aber lächelnd in einer Menschenmenge, wie er gerade ein landwirtschaftliches Projekt besucht.

*** Aus: junge Welt, 5. April 2006


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