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Thailand: Neuwahlen? Nein, danke!

Regierungsgegner in Bangkok ziehen riskante Machtspiele der Demokratie vor

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Während Oppositionsgruppen in anderen Ländern für Wahlen demonstrieren, gehen Regierungsgegner in Thailand den entgegengesetzten Weg.

Nach wochenlangen Protesten gegen eine angebliche Marionettenregierung Thaksin Shinawatras, der aus dem Dubaier Exil groß angelegte Korruption und Misswirtschaft betreibe, hat Thaksins Schwester, Regierungschefin Yingluck Sinawatra, am Montag Neuwahlen ausgerufen. Sie befürchte eine Eskalation der Gewalt. »Ich gebe die Macht dem Volk zurück und lasse es durch Wahlen entscheiden«, erklärte sie.

Die Regierungsgegner wollen indes anderes, nämlich autokratische Strukturen mit handverlesener Führung und ernanntem »Volksrat«, aus dem der Thaksin-Clan und seine Verbündeten verbannt sind. Dies, obwohl die von Thaksin unterstützten Parteien alle Wahlen seit 2001 deutlich gewonnen haben. Am 2. Februar soll das Königreich also ein neues Parlament bestellen, doch für die rund 150 000, die am Montag durch Bangkoks Straßen in Richtung Regierungssitz strömten, hat der Kampf eben erst begonnen.

Protestführer Suthep Thaugsuban weiß nur zu gut, dass seine Demokraten dem Thaksin-Populismus auch im Februar unterliegen würden. Die »Diktatur der Mehrheit« sei nicht länger ertragbar, sagte Suthep zu seinen jubelnden Anhängern. Populismus werde per Verfassung verboten, sein »Demokratisches Reformkomitee des Volkes« (PDRC) rufe Volksvertreter dazu auf, in den Provinzen Polizisten zu ersetzen. Von Yingluck verlangt er die totale Kapitulation samt Verzicht auf die Übergangsführung.

Noch schweigen die Massen in den Provinzen dazu. Erheben sie sich, erhält der Konflikt eine ganz neue Dimension. Nach einem siebenstündigen »friedlichen 20-Kilometer-Marsch«, den der 64-jährige Suthep einen Weltrekord nannte, schwor er seine Getreuen darauf ein, dass der Protest weitergeht, bis ein »Volksrat« stehe. Hatte Suthep am Sonntag noch hoch und heilig versprochen, am Montag, dem »Tag der Entscheidung«, sei sicher alles vorbei, verlor er nun kein Wort über die Wahlen in sieben Wochen und forderte seine Leute dazu auf, vor dem belagerten Regierungssitz zu übernachten. Erst wenn das »Thaksin-Regime ausgerottet« sei, sei Thailand wieder bereit für Wahlen.

Erst Reformen, dann Wahlen, diese Formel wird auch von mächtigen thailändischen Industrieverbänden unterstützt, sonst bleibe das Land »in einer Krisenspirale« gefangen. Doch laut Kan Yuenyong von der denkfabrik »Siam Intelligence Unit« hat Suthep mit dem Segen der alten Bangkoker Elite die Mittelschicht in der Absicht mobilisiert, »ein Machtvakuum zu schaffen, damit sie für ein paar Jahre eine Übergangsregierung führen können«. Spricht man derzeit mit Bangkokern, scheint Demokratie geradezu ein Unwort und ein Synonym für Machtmissbrauch zu sein.

Diese Mittelschicht, die ihre Facebook-Seiten mit der thailändischen Landesflagge ziert, ist sauer, mit ihren Steuergeldern Vergünstigungen für die ärmere Bauernbevölkerung zu finanzieren, die keine Steuern zahlt. Hinzu kommen Vorwürfe einer eklatanten Korruption unter der Regierung Yinglucks.

Dabei tragen auch Sutheps Demokraten keinesfalls weiße Westen. Der sich anbahnende »Volkscoup« polarisiert die Bevölkerung nur noch mehr. Nach drei vergleichsweise ruhigen Jahren findet sich Thailand an einer ähnlichen Wegkreuzung wie im Jahr 2006, als sich die Demokraten weigerten, an Neuwahlen teilzunehmen, was schließlich zum Putsch führte. Die Militärführung versicherte am Montag, die Soldaten blieben in den Kasernen. Ein Putsch, auf den die Demokraten hoffen, sei ausgeschlossen, man solle die Regierung und die Beamten ihre Arbeit machen lassen.

Auch, dass der König Neuwahlen noch am Montag offiziell machte, ist klares Zeichen der höchsten, von Suthep immer wieder angerufenen Autorität im Land, den politischen Konflikt nach demokratischen Regeln auszutragen. Doch Suthep, auf dem Marsch von 100 Leibwächtern umgeben, ist auf dem besten Weg, das Land über die Klippe zu stoßen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 10. Dezember 2013


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