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Thailand im Wind der Veränderung

Eine Petition an den König beunruhigt die Regierung

Von Mark Teufel, Bangkok *

Eine Petition, die von über 6 Millionen Menschen - etwa 10 Prozent der Bevölkerung - unterschrieben wurde, erschüttert Thailands Politik bis in die Grundfesten. In Thailand und anderenorts ist von einem Amnestieantrag für den 2006 durch einen Militärputsch gestürzten und in Abwesenheit zu zwei Jahren Gefängnis verurteilten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra die Rede. Aber es steckt wesentlich mehr dahinter.

Der Legende zufolge regierte König Ramkhamhang (ca. 1237 bis 1298) in seinem Reich Sukhothai gerecht und großzügig. Jeder Untertan, der ein Anliegen hatte, konnte zum Palast kommen und eine eigens dazu bestimmte Glocke läuten, um eine Audienz beim König zu erhalten. Thailands heutige Monarchie berief sich in den vergangenen 60 Jahren auf eben diese Tradition. Viele tausend Menschen wandten sich daher mit Petitionen an den König, darunter Bauern, die um Wasser für ihre verdorrten Felder, oder verurteilte Kriminelle, die um Verringerung ihrer Strafe baten.

Entsprechend dieser Gepflogenheit verfasste Thailands oppositionelle Demokratiebewegung vor einigen Wochen eine Petition, die den Militärputsch von 2006 und die folgenden Entwicklungen als undemokratisch bezeichnet und die Rückkehr zu demokratischen Regeln erbittet. Außerdem wird König Bhumibol Adulyadej in der Petition gebeten, dem wegen Amtsmissbrauch verurteilten früheren Regierungschef Thaksin Shinawatra Absolution zu erteilen.

Das nun allerdings ist der Regierung Grund genug, die Petition als ungesetzlich zu bezeichnen. Sie wirft den Organisatoren vor, »unschuldige Menschen zu manipulieren«, und versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Unterschriften dem König vorgelegt werden. Sie droht gar mit Anklagen wegen Majestätsbeleidigung, die in Thailand mit 5 bis 15 Jahren Gefängnis bestraft wird. Organisatoren einer Demonstration gegen die vom Militär eingesetzte Regierung im Jahr 2007 werden vor Gericht gezerrt und die Streitkräfte wollen ab sofort »ein aufmerksames Auge auf das Petitionsprojekt« werfen.

Nachdem die Opposition bereits bei verschiedenen Nachwahlen erfolgreich war, sammelte die Vereinigte Front für Demokratie und gegen Diktatur (UDD) die über sechs Millionen Unterschriften nach eigenen Angaben innerhalb eines einzigen Monats. Die Aktion wurde Ende vergangener Woche mit einer Demonstration auf dem historischen Platz Sanam Luang in Sichtweite des Königspalastes beendet. Etwa 30 000 in Rot gekleidete Menschen nahmen daran teil. Derzeit werden die Unterschriften auf ihre Korrektheit geprüft. Einer der Aktivisten, der bei der Sammlung half, aber ungenannt bleiben will, sagte gegenüber ND: »Wir rechnen jeden Tag mit der Zerschlagung. Aber wir haben vorgesorgt. Wenn es passiert, werden wir die Unterschriften der UN zuleiten.« Ein Verwandter Thaksins, ehemaliger Oberkommandierender der Streitkräfte, warnte davor, einen Keil zwischen die Menschen und ihren König zu treiben. Das könne einen Gewaltausbruch provozieren.

Seit dem Sturz der Regierung Thaksins am 19. September 2006 streiten die »Roten« für demokratische Rechte. »Juristen (...) müssen zugeben, dass wir seit 2006 keinen Rechtsstaat haben, wie er für viele zivilisierte Länder üblich ist«, heißt es in der Petition.

Aus der ersten freien Wahl nach dem Militärputsch waren Ende 2007 wieder die Anhänger des gestürzten Ministerpräsidenten als Sieger hervorgegangen. Deren Regierung wurde jedoch durch monatelange gewalttätige Demonstrationen der vom Militär unterstützten »Gelbhemden« destabilisiert. Höhepunkt war die Blockade der internationalen Flughäfen Bangkoks. Schließlich verbot das Verfassungsgericht die damaligen Regierungsparteien mittels einer umstrittenen Verfassungsklausel.

Diese Klausel soll nun nach dem Willen aller Parteien geändert werden, denn sie gefährdet inzwischen auch die vom Militär gestützte »gelbe« Demokratische Partei des derzeitigen Ministerpräsidenten Abhisit Vejjajiva. Im Lande ist von einer »Thai-Stil-Demokratie« die Rede, in der die tatsächliche Macht nicht vom Parlament und den Parteien, sondern von den traditionellen repressiven Institutionen ausgeübt wird. Angesichts dessen fragte der unabhängige Analytiker M.L. Nattakorn Devakula in einem Artikel in »Asia Sentinel« bereits: »Ist Iran eine bessere Demokratie als Thailand?«

* Aus: Neues Deutschland, 4. August 2009


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