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Beide Seiten schuldig

Thailand: Abschlußbericht der Untersuchung zu Unruhen von 2010 vorgelegt

Von Thomas Berger *

Thailands Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRCT) hat nach zwei Jahren Arbeit am Montag ihren Abschlußbericht vorgestellt. Für die gewaltsamen Ausschreitungen im April und Mai 2010 in Bangkok sind danach die Armee und ihre politischen Auftraggeber sowie die sogenannten Rothemden gleichermaßen verantwortlich, ließen sich die insgesamt 351 Seiten in einem Satz zusammenfassen.

Nicht alle Fragen konnten von der Kommission geklärt werden, teilweise werden die Ergebnisse von verschiedenen Seiten auch heftig kritisiert. Ausgangspunkt der Einschätzung des Gremiums ist die Konfrontation der beiden großen politischen Lager, die seit dem Putsch 2006 und der damaligen Entmachtung von Premier Thaksin Shinawatra ein politischer Dauerbrenner wurde. Nach früheren Eruptionen wie der Besetzung von Regierungsviertel und Hauptstadt-Flughäfen im späten Frühjahr 2010 gab es bereits am 10. April die ersten Toten, als die Armee im Auftrag der Regierung gegen die Rothemden der oppositionellen Ver¬einten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD) vorging, die sich an einer zentralen Straßenkreuzung versammelt hatten. Dabei kam als prominentestes Opfer auch ein General ums Leben. Wer genau die Granate warf, die ihn tötete, konnte die Kommission nicht ermitteln.

Ihren Höhepunkt erreichten die Zusammenstöße dann am 19. Mai. Im vollen Bewußtsein, welche Folgen eine solche Entscheidung haben könnte, ordneten Premier Abhisit Vejjajiva und sein Sicherheitskabinett an, das von den UDD-Aktivisten seit Tagen besetzte Geschäftsviertel rund um den Shoppingkomplex Central World im südöstlichen Stadtzentrum Bangkoks durch die Armee stürmen zu lassen. Dutzende Opfer waren zu beklagen, insgesamt wird die Zahl der Toten in der Zeitspanne zwischen den beiden schwarzen Tagen mit mindestens 92 angegeben.

Die Politik, kritisiert die Kommission sehr deutlich die damalige Regierung Abhisit von der Demokratischen Partei (DP), habe die Soldaten mit scharfen Waffen und Kriegsmunition gegen die Oppositionellen in Marsch gesetzt. Auf diese Weise habe sie bewußt in Kauf genommen, daß es zu Toten kommen könnte. Umgekehrt wird auch den Rothemden vorgeworfen, bei den Reden während der Demonstrationen die Situation massiv angeheizt zu haben. Zudem habe es die »Männer in Schwarz« gegeben, die gezielt auf Sicherheitskräfte geschossen hätten. Ob diese mysteriösen Teams, die bei verschiedenen Gelegenheiten gesichtet worden sein sollen, aber tatsächlich in den Diensten von UDD-Chefstratege General Khattiya Sawatdiphol standen, konnte nicht eindeutig belegt werden. Khattiya selbst war am 13. Mai 2010 in der Nähe einer U-Bahn-Station getötet worden. Somchai Homlaor, Chef der Ermittlergruppe der TRCT, sagte bei der Pressekonferenz, daß der Aktivist von einem Areal aus erschossen wurde, das sich seinerzeit unter Kontrolle der Armee befand.

Expremier Abhisit und sein damaliger für Sicherheitsfragen zuständiger Vize Suthep Thaugsuban müssen nach dem Bericht der Kommission mit ei¬ner Mordanklage rechnen. Es geht um einen 44jährigen Taxifahrer, der am 14. Mai 2010 als unbeteiligter Passant erschossen wurde, als Militärs das Feuer auf einen Minibus eröffneten. Sollte tatsächlich offiziell Anklage gegen die beiden namhaften Politiker der heutigen Opposition erhoben werden, wäre das ein Signal für weitere Verfahren. Denn es gab in jenen Wochen noch 35 andere Todesfälle, die mutmaßlich durch behördliches Handeln verursacht wurden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. September 2012


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