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Hoher Blutzoll in Thailand

Konflikt im Süden des Landes forderte zahlreiche Tote im vergangenen Jahr

Von Thomas Berger *

Die bewaffneten Auseinandersetzungen im äußersten Süden Thailands haben sich im Jahr 2012 wieder intensiviert. Eine zum neunten Jahrestag des Aufstandsbeginns am 4. Januar 2004 von der Regierung herausgegebene Statistik weist für die zurückliegenden Monate 1450 gewaltsame Vorfälle in den drei UnruheprovinzenYala, Pattani und Narathiwat sowie in Teilen des benachbarten Songhkla aus. Das ist zwar immer noch deutlich weniger als auf dem Höhepunkt des Konfliktes 2007 mit 2475 Vorfällen oder rund 2000 in den beiden Jahren davor. Gemessen an 2011, als mit 1085 der niedrigste Stand seit 2004 vermeldet werden konnte, haben die Morde, Bombenanschläge und Überfälle aber wieder um rund ein Drittel zugenommen.

Die politischen Verantwortungsträger in Bangkok reagierten mit einer Aufstockung der Mittel zur Aufstandsbekämpfung im Haushalt für 2013. Hatten die Ausgaben für Militärpräsenz im Süden sowie gezielte Entwicklungsprojekte in der Region im Vorjahr noch bei 16 Milliarden Baht (400 Millionen Euro) gelegen, sind nun 21 Milliarden geplant. Insgesamt hat der Konflikt den Staat bereits stolze 182 Milliarden Baht (4,55 Milliarden Euro) gekostet.

Vor allem aber ist es ein hoher Blutzoll, den in erster Linie die Zivilbevölkerung entrichtet hat. 3380 Todesopfer und 8388 Verletzte weist die Statistik für den Gesamtzeitraum aus. Unter den Opfern waren aber nur 378 Soldaten, 278 Polizisten und 250 mutmaßliche Untergrundkämpfer. 2316 unbeteiligte Männer, Frauen und Kinder – also mehr als zwei Drittel – wurden demnach Opfer von Anschlägen und Schießereien, beispielsweise als auf belebten Marktplätzen Sprengsätze explodierten. Extra ausgewiesen sind auch noch sieben buddhistische Mönche und 157 Angehörige von Bildungseinrichtungen – sie gelten den Aufständischen, die gegen eine kulturelle Bevormundung und »Überfremdung« durch den Norden und das staatliche Bildungssystem kämpfen, als sogenannte »weiche Ziele«. Wer als Lehrer in der Unruheregion arbeitet, tut dies also gewissermaßen unter latenter Lebensgefahr.

Daß man es nicht nur mit einer »Bande von Banditen« zu tun hat, wie der frühere Premier Thaksin Shinawatra ganz zu Anfang noch abwehrend meinte, ist in politischen wie militärischen Führungskreisen inzwischen angekommen. Von knapp 10000 Rebellen und Sympathisanten geht die aktuelle Statistik aus – woher diese Zahl kommt, wird nicht gesagt, und sie darf wie andere »Erkenntnisse« zumindest angezweifelt werden. Denn im Grunde weiß die Staatsmacht kaum, wer ihr da eigentlich die Herrschaft über das Gebiet, das als vormals selbständiges Sultanat erst vor einem Jahrhundert dem thailändischen Königreich einverleibt wurde, streitig zu machen versucht. Der Gegner blieb in all den neun Jahren ein Schatten. Und auch die Vermittler aus dem benachbarten Malaysia konnten nur zu den eher inaktiven »traditionellen« separatistischen Gruppen, nicht aber zu den neuen Aufständischen Kontakte aufbauen.

Seit dem als Beginn des Aufstands geltenden Überfall auf ein Armeelager Anfang Januar 2004 sind die Rebellen auch mit keinem konkreten Forderungskatalog an die Öffentlichkeit getreten. Prinzipiell streben sie die Wiederherstellung des alten Sultanats an. Auch weil ein direkter Verhandlungspartner fehlt, hat die Regierung bis heute kein tragfähiges Lösungskonzept entwickelt, das beispielsweise autonome Strukturen für das Unruhegebiet vorsehen könnte. Yala, Pattani und Narathiwat mit ihrer überwiegend muslimischen Bevölkerung gelten im mehrheitlich buddhistisch geprägten Thailand bis heute als Fremdkörper. Die dortigen Einwohner haben kulturell mehr mit ihren Nachbarn in Malaysia gemein als mit ihren Landsleuten aus dem Norden. Mangelnde Sensibilität gegenüber den regionalen Eigenheiten ist bis heute weit verbreitet, und so fremd sich die in den genannten Provinzen stationierten Soldaten fühlen, werden sie umgekehrt oft als Besatzungsmacht empfunden.

* Aus: junge Welt, Samstag, 5. Januar 2013


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