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Thailand: Erste Wahlen nach dem Militärputsch

Ex-Premier Thaksin Shinawatra triumphiert - Bevölkerung fordert Teilhabe am Reichtum des Landes

Mehr als ein Jahr nach dem Militärputsch in Thailand sind etwa 45 Millionen Thailänder aufgerufen, am Sonntag ein neues Parlament zu wählen. Große Veränderungen werden allerdings nicht erwartet – das Land teilt sich nach wie vor in Anhänger und Gegner des gestürzten Expremiers Thaksin Shinawatra. Die besten Chancen hat die Partei der Volksmacht (PPP), in der sich die Mitglieder von Thaksins Partei Thai Rak Thai (Thailänder lieben Thailänder) nach deren Verbot neu formierten. Umfragen zufolge könnte sie auf mehr als 210 der 480 Sitze im Parlament kommen, während der Demokratischen Partei mehr als 120 Mandate zugetraut werden.
Soweit die Vorhersage. Wie die Wahlen ausgegangen sind, darüber informieren die folgenden Artikel.



Niederlage der Generäle

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Er mag korrupt und umstritten sein, doch nun konnte der im September 2006 vom Militär weggeputschte Ex-Premier Thaksin Shinawatra seinen Machtanspruch in Thailand erneuern. Bei den Parlamentswahlen, die das Land zurück zur Demokratie führen sollten, verfehlten seine politischen Erben von der People Power Party (PPP) die absolute Mehrheit nur knapp. Die großen Verlierer sind die Putschisten, die sich als Hüter und Retter der Nation ausgaben – und durch ihre Unfähigkeit an der Macht den exilierten Thaksin zum Märtyrer erhoben und seiner Stellvertreter-Partei daheim zum Erdrutschsieg verhalfen. Selbst Korruptionsverfahren gegen den schwerreichen Geschäftsmann kamen zum Stillstand. Mit Panzern aufzufahren war wohl doch viel einfacher als effizient zu regieren und die Wirtschaft anzukurbeln.

Allerdings braucht die PPP zum Regieren Koalitionspartner. Wenn sich ihr keine der kleineren Gruppierungen anschließt, droht in Bangkok sogar eine Zitterkoalition aus einem halben Dutzend Parteien. Selbst die von den Militärs favorisierten Demokraten hoffen trotz klarer Wahlniederlage als zweitstärkste Partei auf ein Bündnis mit den sogenannten Dritten Kräften, Kleinparteien mit oft nur wenigen Abgeordneten. Wenigstens, so werden sich die Generäle zu trösten versuchen, kann Thaksin nicht selbst Premier werden. Dafür haben sie mit einer neuen Verfassung gesorgt, die vorschreibt, dass der Regierungschef auch Abgeordneter zu sein hat. So oder so, 2008 wird wieder kein gutes Jahr für Thailand. Nach 15 Monaten unter Kriegsrecht und Generälen bleibt das Königreich trotz Wahlen weiter instabil.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2007 (Kommentar)


Thaksin-Erben gewinnen Wahl

Gestürzter Expremier will nach Thailand zurückkehren. Festnahme angedroht

Von Thomas Berger **


Der Mann, der sich vielleicht am meisten über den Ausgang der thailändischen Parlamentswahl vom Sonntag freut, sitzt gegenwärtig noch im Londoner Exil und war zur Beobachtung des Ereignisses in sein Hongkonger Luxusappartment geflogen. Expremier Thaksin Shinawatra kündigte nach den Wahlen vor der Presse seine Heimkehr für 14. Februar an. In Thailand droht ihm allerdings die Festnahme. Das Gericht und die Polizei hätten die Haftbefehle schon ausgestellt, sagte am Donnerstag Samphan Sarathana, ein Mitarbeiter des Justizministeriums. Gegen Thaksin liegen etliche Klagen wegen Korruption im Zusammenhang mit seiner sechsjährigen Amtszeit vor, die im September 2006 durch einen Militärputsch beendet wurde.

Der Expremier hatte erklärt, er strebe kein politisches Amt mehr an, könne sich aber eine Rolle als Berater einer Regierung unter Führung seiner Partei der Volksmacht vorstellen. Diese war aus der Parlamentswahl als stärkste Partei hervorgegangen und bereitet sich auf die Bildung einer Regierung vor.

Die meisten Analysen hatten eher ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Demokratischen Partei (DP) prognostiziert. Diese landete mit lediglich 165 Mandaten aber recht abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Vor allem im Süden und der Hauptstadtregion, in der Vergangenheit klare DP-Bastionen, mußten die Demokraten spürbar Federn lassen. Allerdings konnte die DP in Bangkok die meisten Wahlkreise halten. Sieben der angetretenen gut 30 Parteien werden im künftigen Parlament vertreten sein, wobei nun zwei Gruppierungen das Zünglein an der Waage sein können. Die siegreiche PPP muß entweder die konservative Chart Thai (CT) mit 37 oder die Puea Pandin mit 25 Sitzen auf ihre Seite ziehen, um eine stabile Regierung bilden zu können. CT-Chef Banharn Silpaarcha soll dafür angeblich den Premiersposten gefordert haben. Der altgediente Politiker, der dieses Amt früher schon einmal innehatte, ist ein Fuchs, der keine Probleme damit hat, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen, wenn der Preis stimmt.

Exarmeechef und Putschführer Sonthi Boonyaratglin hat eigenen Aussagen zufolge kein Problem damit, die Geschäfte an eine demokratisch legitimierte PPP-Regierung zu übergeben, sofern diese nicht bestimmte Maßnahmen aus der Post-Coup-Ära annulliert. »Der Putsch ist tot«, hatte Wahlsieger Samak verkündet.

Abhisit Vejjajiva, der Spitzenkandidat der Demokraten, hat zwar die Niederlage bei der Abstimmung eingestanden, spekuliert aber noch immer auf den Premiersposten. Dazu müßte er jedoch nicht nur mit Chart Thai und Puea Pandin, sondern auch mit zwei Miniparteien im Parlament eine Einigung erzielen. Dabei hoffen die Thais gerade auf eine starke Regierung, die die Wirtschaft wieder auf Vordermann bringt, für nationale Aussöhnung sorgt und vor allem im islamisch dominierten Süden nach vier Jahren Gewalt Frieden schafft.

** Aus: junge Welt, 28. Dezember 2007


Paradigmenwechsel in Thailand

Gesellschaft im Wandel: Unterschichten stellen Forderungen. Schwache Linke

Von Gunter Willing, Chiang Mai ***


Die thailändische PPP, die Pak Phalang Prachachon (Partei der Macht des Volkes), hat die Wahlen vom 23. Dezember deutlich gewonnen. Die Anhänger des gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra errangen 233 der 480 Parlamentssitze und verfehlten damit knapp die absolute Mehrheit.

Die Wahlen waren Bestandteil des Planes einer Militärregierung, die sich am 19. September 2006 an die Macht geputscht hatte. Thaksin, der sich an diesem Tag in London aufhielt, wurde für abgesetzt erklärt und mit einem Einreiseverbot belegt. Er war seit 2001 Premier und hatte auch 2005 die Wahlen souverän gewonnen. Bevor er seine politische Laufbahn begann, kannte man ihn als einen der reichsten und skrupellosesten Kapitalisten Asiens. Nach dem Putsch wurden Thaksin und seine Familie der schweren Korruption und Steuerhinterziehung angeklagt und seine Partei TRT, Thai Rak Thai (Thais lieben Thais), verboten. Die neuen Machthaber meinten, daß Thaksin danach nur noch eine peinliche Fußnote der neueren thailändischen Geschichte abgab. Sie irrten, denn der Wahlsieger PPP war eine Parteineugründung ehemaliger TRT-Mitglieder, die sich im Wahlkampf offen für Thaksins Rückkehr einsetzten.

Das Phänomen Thaksin wird mit der bloßen Etikettierung »Populismus« nicht erfaßt. Nach seinem Wahlsieg 2001 hatte Thaksin sofort damit begonnen, die Nachfrage im ländlichen Raum zu stimulieren. Dorthin flossen Gelder für den Ausbau der dörflichen Infrastruktur und für die Vermarktung der regionalen Produkte armer Bauern und kleiner Gewerbetreibender. Neue Arbeitsplätze entstanden nun auch außerhalb Bangkoks. Mit dieser Wirtschaftspolitik hatte sich Thaksin vor allem in Thailands bevölkerungsreichem und immer noch armem Nordosten, dem Isan, eine zahlenmäßig starke politische Basis verschafft. Thaksins Popularität bei den puu noi, den kleinen Leuten in Stadt und Land, erhöhte sich weiter, als er durchsetzte, daß jedem Thai eine bezahlbare medizinische Grundversorgung zusteht. Und genau diese Gesellschaftsgruppen bildeten dann die Grundlage für den Wahlerfolg der PPP.

Der Staatsstreich vom 19. September 2006 war argumentativ durch die neoliberalen Mittelschichten Bangkoks vorbereitet worden. Sie denunzierten die Ausgaben für die armen Bevölkerungsteile als Vergeudung öffentlicher Mittel. Zu den Thaksin-Gegnern gehörten auch Teile der alten Eliten, die in Konkurrenz zu Thaksins Konglomerat standen. In die reaktionäre Anti-Thaksin-Front reihten sich weiterhin einige Gewerkschaftsführer ein, die sich selbst eher als Linke sahen. Sie kritisierten die Korruption unter Thaksin, der sein politisches Amt tatsächlich ohne Skrupel zur Stärkung seines eigenen Firmenimperiums eingesetzt hatte. Für andere Linke war es dagegen ein fataler politischer Fehler, mit dem Argument der Korruption das Militär zu unterstützen, welches im Interesse der Reichen geputscht hatte.

Die gesellschaftliche Situation in Thailand ist auch Ergebnis der strukturellen Schwäche der thailändischen Linken. Anfang der 1980er Jahre zerfiel die Kommunistische Partei Thailands in rivalisierende Fraktionen und löste sich schließlich auf. Heute fehlt eine landesweite linke Bewegung als Interessenvertretung der armen Volksmassen in Stadt und Land. Die puu noi wählten – in Ermangelung einer besseren Alternative – erst Thaksin und dann PPP. Klar geworden ist aber auch, daß in Thailand ein politischer Paradigmenwechsel stattgefunden hat: Jene Zeiten sind vorbei, in denen die subalternen Klassen und Schichten einfach nur ihre Stimme abgaben und dann warteten, wieviel ihnen von den Bangkoker Eliten zum Leben zugestanden wurde. Jetzt werden Wahlentscheidungen immer auch mit der Forderung nach einer gerechten Teilhabe am Reichtum des Landes verbunden.

*** Aus: junge Welt. 2. Januar 2008

Meldungen

Anhänger Thaksins bereiten sich auf Regierung vor

Mittwoch, 26. Dezember

Die thailändische Wahlkommission hat den Sieg der Partei der Volksmacht (PPP) bei der Parlamentswahl amtlich bestätigt. Die Anhänger des gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra bereiteten sich daraufhin auf die Übernahme der Regierung vor. Der im Exil lebende Thaksin erklärte am Dienstag, er werde zwischen Mitte Februar und Ende April nach Thailand zurückkehren. Er strebe kein politisches Amt mehr an, könne sich aber eine Rolle als Berater einer PPP-Regierung vorstellen.

Nach dem am Dienstag (25. Dez.) vorgelegten vorläufigen Endergebnis errang die PPP 233 der 480 Parlamentssitze und verfehlte damit knapp die absolute Mehrheit. Die Demokratische Partei gewann 165 Mandate, die Partei Chart Thai 37. Des weiteren ziehen einige kleinere Gruppierungen ins Parlament ein. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 74,45 Prozent einen Rekordwert.

Die Sitzverteilung könnte sich noch verändern, falls Abgeordnete wegen Unregelmäßigkeiten disqualifiziert werden. Die Wahlkommission schloss bereits drei gewählte PPP-Kandidaten unter dem Vorwurf des Stimmenkaufs von der Wahrnehmung ihres Mandats aus. Das Ergebnis in ihrem Wahlkreis wurde annulliert. Der Kommission zufolge dürften noch mindestens 20 weitere Kandidaten ausgeschlossen werden. Es habe landesweit hunderte Beschwerden wegen Stimmenkaufs und anderer Unregelmäßigkeiten gegeben.

Die siegreiche PPP erklärte, sie habe sich bereits mit drei kleineren Parteien auf eine Koalition geeignet. Man wolle diese Basis aber nach Möglichkeit noch verbreitern. Wer die künftigen Partner sein würden, teilte Generalsekretär Surapong Suebwonglee nicht mit. Man wolle zunächst das endgültige Ergebnis am 3. Januar abwarten.

Quelle: AP


Wahlergebnis in Thailand noch nicht bestätigt

Donnerstag, 3. Januar

Die Wahlkommission in Thailand untersucht nach der Parlamentswahl vom 23. Dezember in dutzenden Fällen Einzelergebnisse. Von den 83 Wahlsiegern, deren Ergebnis überprüft wird, gehören 65 zur Partei der Volksmacht (PPP), die den gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra unterstützt und die Wahl gewann. Den meisten der Betroffenen werde Stimmenkauf vorgeworfen, erklärte der Generalsekretär der Wahlkommission, Suthiphon Thaveechaiyagarn, am Donnerstag (3. Januar).

Bei der Wahl errang die PPP 233 der 480 Sitze im Unterhaus von Bangkok. Die Demokratische Partei gewann 165 Mandate, sechs davon werden nun überprüft. In der vergangenen Woche hatte die Wahlkommission bereits erklärt, drei Wahlsieger der PPP seien wegen des Vorwurfs von Stimmenkäufen disqualifiziert worden.

Quelle: AP


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