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Protest nach Feierabend

Thailand: Radikale Oppositionelle setzen Kampagne für Sturz der Regierung fort. Eindrücke aus einem Camp im Lumpini-Park

Von Thomas Berger, Bangkok *

Wer in Thailands Hauptstadt Bangkok aus der Metrostation Silom kommt, steht bereits mittendrin: Am Lumpini-Park haben die Aktivisten des »Volksdemokratischen Reformkomitees« (PDRC) ihr größtes Camp aufgeschlagen. Seit Monaten kämpfen sie für den Sturz der Regierung, der sie Korruption und Amtsmißbrauch vorwerfen. Auch Neuwahlen lehnen sie ab und wollen die für Juli angesetzten Parlamentswahlen boykottieren. Die erneute Abstimmung war nötig geworden, nachdem ein Gericht den letzten Urnengang im Februar für ungültig erklärt hatte. Auch dieser war von der Opposition boykottiert worden. Am Mittwoch wurden Regierungschefin Yingluck Shinawatra und neun ihrer Minister vom Verfassungsgericht abgesetzt, doch ihren Gegnern reicht das nicht.

Es ist Freitag mittag. Helfer bereiten Essen zu, in riesigen Töpfen kochen Reis und Beilagen. Vorn am »Tresen« wird mit der Kelle Portion um Portion auf die zugereichten Teller geladen. An einem anderen Stand ist gerade ein Lkw vorgefahren. Männer räumen Dutzende Sammelpackungen Trinkwasser von der Ladefläche. Wieder ein Stück weiter sind es dicke Toastbrotscheiben, die mit Butter bestrichen ausgegeben werden. Die Oppositionellen haben ihr Camp bestens durchorganisiert: Es gibt Abnahmestellen für leeres Geschirr und extra aufgehängte Säcke für Abfälle, die regelmäßig auf ein Müllfahrzeug verladen werden.

Täglich am späten Nachmittag, nach Feierabend, füllt sich das Areal. Gelb, die Farbe der Monarchie, herrscht vor. T-Shirts mit Aufdrucken wie »Change« oder »Shutdown Bangkok« kosten 200 Baht, gut vier Euro. Spendensammler stehen an einer, Verkäufer von Büchern der Protestbewegung an der anderen Seite des Weges. Eine junge Frau hat sogar ihre Bulldogge in ein Protestshirt gesteckt. Einige, wie ein Quartett Frauen Ende 40, sind erstmals hier, doch die meisten finden sich mindestens regelmäßig ein – so wie Wichi, ein Mittzwanziger, der Computerfachmann ist und sein Büro nebenan in der Silom Road hat. Mit seiner Freundin verfolgt er die abendlichen Ansprachen führender Aktivisten. Dazwischen erklingen Gebete und die Nationalhymne, bei der alle Bewegung auf dem Platz für wenige Minuten völlig einfriert. Die hier gegen die frei gewählte Regierung protestieren, sind unbedingt königstreu – und verkörpern eine Mischung aus urbaner Mittelschicht und Vertretern der traditionellen Eliten.

Daß man in anderen Landesteilen, gerade im armen Norden, freiwillig für die regierende Pheu Thai Party stimmt, ist für Leute wie Wichi nicht vorstellbar. »Die ganzen letzten Wahlen waren manipuliert. Deswegen brauchen wir Reformen, bevor es einen neuen Urnengang gibt«, rattert er die gleiche Begründung herunter, mit der vor allem PDRC-Wortführer Suthep Thaugsuban von einem zeitnahen neuen Wählervotum nichts hält. Auch die Tatsache, daß Yingluck nun abgesetzt ist, ist für den jungen IT-Experten und all die anderen hier nicht genug.

Dafür haben sich die Oppositionellen am Freitag morgen zu einer neuen Großdemo aufgemacht. Tausende Teilnehmer marschieren in acht Säulen durch die Straßenzüge der Innenstadt und treiben den üblichen Dauerstau auf neue Spitzen. Vom Lumpini-Park gestartet, sind Regierungssitz, Parlamentsgebäude und fünf Fernsehstationen das Ziel. Nicht nur Suthep marschiert mit. Als Prominenter ist Generalmajor a.D. Chamlong Srimuang dabei, der schon 2006 die Proteste gegen den damaligen Premier Thaksin Shinawatra, den später per Militärputsch gestürzten und heute im Exil lebenden Bruder Yinglucks, mit angeführt hat.

Vor dem Regierungssitz im Zentrum Bangkoks fordert Suthep dann bei einer Kundgebung den Obersten Gerichtshof und den Vorsitzenden des Senats auf, eine neutrale Interimsregierung einzusetzen – andernfalls werde das PDRC die Sache in wenigen Tagen »selbst in die Hand nehmen«, droht er. Gleichzeitig eskaliert die Situation, es gibt vier Verletzte. Gemeinsam mit weiteren Unterstützern hat Luang Pu Buddha Issara, ein buddhistischer Mönch, der mit an der PDRC-Spitze steht, eine Absperrung vor einem vom paramilitärischen »Zentrum zur Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung« (CAPO) genutzten Gebäude überwunden und drohte mit einer Besetzung des Hauses. Polizisten drängen die Eindringlinge mit Tränengas zurück.

* Aus: junge Welt, Samstag, 10. Mai 2014


Urteil gegen Yingluck - Prressestimmen **

Neue Zürcher Zeitung, Schweiz:
Die Rolle des Königs
Was die Saubannerzüge königstreuer Radikaler nicht zu erreichen vermochten, hat nun das Verfassungsgericht vollbracht: Thailands Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra ist abgesetzt. So funktionieren in Thailand Demokratie und Rechtsstaat. Wenn der Putsch auf der Straße nicht gelingt, dann hat die royalistische Elite und selbsternannte Intelligenzia immer noch das Militär oder eben die Justiz zur Hand. Urnengänge sind ein rotes Tuch für das gelbe Lager der Royalisten, solange diese keine Gewähr für einen Sieg haben. Sie ziehen es vor, mit einer Interimslösung, die sie mitbestimmen können, weiterzuwursteln. So werden sie wohl mit dem Verfassungsgericht im Rücken versuchen, eine Regierung herbeizuzwingen, die von einem Ministerpräsidenten geführt wird, der dem Thaksin-Clan nicht nahesteht oder gar ihrer eigenen Seite zuneigt. Ein Feilschen um eine interimistische Regierung ist jedenfalls programmiert. Dadurch werden die klaffenden Gräben in der thailändischen Gesellschaft nicht geschlossen, sondern vertieft. (…) Die Monarchie steht trotz der allgegenwärtigen Verehrung von König Bhumibol vor einer ungewissen Zukunft. Der Monarch ist sehr alt und gebrechlich, und sein Sohn ist nicht über alle Zweifel erhaben. Die Rolle des Königshauses bedarf einer neuen Definition.


Bangkok Post, Thailand:
Strafe passt nicht zur Tat
Eine Strafe muss in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen. Hätte sich die Regierung der Korruption schuldig gemacht, müsste sie nicht nur abgesetzt sondern eingesperrt werden. Dasselbe würde gelten, wenn man ihr Wahlbetrug nachweisen könnte. Doch im gestrigen Urteil ging es nur um die Versetzung eines Staatsdieners. Hier passt die Strafe nicht zur Tat, sondern sie spielt nur der Opposition in die Hände.


Der Standard, Österreich:

Lage wird weiter verschärft
Wenn in einer solide verankerten Demokratie das Verfassungsgericht ein Urteil ausspricht, so gilt das zumeist als unumstößliche und vor allem als fundierte Wahrheitsfindung. Der aktuelle Spruch des Verfassungsgerichts in Thailand, der zur Amtsenthebung der – zugegebenermaßen – umstrittenen Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra führte, lässt aber Zweifel aufkommen. Mit diesem Vorgang wurde die politische Lage im Land noch weiter verschärft, und das sicher bewusst und vielleicht sogar mit Kalkül. Die Situation war ohnehin seit Monaten schon sehr instabil. Nun ist alles wieder möglich: von regulären Demonstrationen bis hin zu ausgewachsenen Unruhen mit Toten. Der thailändische Gerichtshof steht seit längerem im Ruf, durchaus parteiisch zu agieren. Das ist freilich nur schwer zu beweisen, aber Hinweise darauf gibt es mehrere: Nachdem im Jahr 2006 der damalige Ministerpräsident Thaksin Shinawatra gestürzt worden war, traf es schon zwei Jahre später zwei weitere Regierungschefs, die Thaksin nahestanden. In Thailand scheint Justitia also doch zu sehen: zumindest auf einem Auge.


Nihon Keizai Shimbun, Japan:
Spaltung vertieft
Nun drohen neue Proteste und damit eine weitere Ausbreitung des Chaos. Thailand ist seit Jahren gespalten zwischen den wohlhabenden Städten und den armen ländlichen Gebieten. Die Politiker, deren Aufgabe eigentlich der Ausgleich wäre, haben diese Spaltung immer wieder vertieft. Sowohl die Regierung als auch die Opposition sollten nun zum Wohle des Landes versuchen, einen Weg aus dem Chaos zu finden.


Jinghua Shibao, China:
Es drohen heftige Stürme
Die Gegner der thailändischen Regierungschefin Yingluck haben alles versucht, sie aus dem Amt zu jagen. Monatelang besetzten die Gelbhemden die Straßen in Bangkok, Yingluck jedoch blieb. Die Gegner bemühten sich dann um das Militär für die eigene Sache, doch das blieb neutral. Nun hat die Justiz die Amtsenthebung der Ministerpräsidentin bewirkt. Zweifellos ist dies ein Teilerfolg für die Opposition. Allerdings ist ein Ende des erbitterten Kampfes zwischen beiden Seiten noch lange nicht in Sicht. Im Gegenteil: Es drohen noch heftigere politische Stürme.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 10. Mai 2014

Thailands Opposition fordert Rücktritt der ganzen Regierung

Auch nach Absetzung von Thailands Premierministerin Yingluck Shinawatra hat die Opposition ihre Proteste fortgesetzt. Am Freitag gingen mehrere Tausend Oppositionsanhänger auf die Straße und forderten den Rücktritt der übrigen Regierungsmitglieder. Anführer Suthep Thaugsuban rief seine Anhänger auf, Fernsehstationen zu belagern. Als eine Gruppe von Demonstranten versuchte, sich Zugang zu einem Polizeigelände zu verschaffen, reagierten die Beamten mit Wasserwerfern und Tränengas. Es gab mehrere Verletzte. Yingluck war am Mittwoch wegen Amtsmissbrauchs von Thailands Verfassungsgericht des Amtes enthoben worden. Ihre Anhänger sprachen von einem »Putsch der Richter« gegen die gewählte Regierung. Oppositionsführer Suthep kämpft seit Monaten darum, eine eigene Regierung zu bilden und das Parlament durch einen nicht gewählten »Volksrat« zu ersetzen.
(nd, 10.05.2014)




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