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Symbolträchtiges Urteil

Seenomaden im Süden Thailands gewinnen im Landrechtsstreit. Lebensweise der Minderheit bedroht

Von Thomas Berger *

In einem seltenen Fall haben von Vertreibung bedrohte Seenomaden in Thailand Recht erhalten. Sie gewannen vor einem speziellen Gremium der Sonderermittlungsbehörde DSI in Kooperation mit dem Zentralinstitut für Forensik in ihrem Kampf gegen Geschäftsleute. In dem Verfahren wurde das Urteil einer niedrigeren Instanz kassiert und der ethnischen Minderheit das Recht an dem Land zugesprochen, auf dem sie seit Generationen siedeln. Es handelt sich um eine Fläche von knapp fünf Hektar.

Zu einem weiteren, beinahe ebenso großen Areal steht eine endgültige Entscheidung noch aus. Die Dorfbewohner am Strand von Rawai auf der beliebten Ferieninsel Phuket hoffen, auch den zweiten Teil ihres Kampfes zu gewinnen. Von den 1.042 Einwohnern der Siedlung waren bislang 101 von Vertreibungsklagen bedroht. Auch dort sind ihre Gegner Geschäftsleute, die auf dem Land touristische Einrichtungen bauen wollen. Sie sind vorerst gescheitert. Exhumierungen auf dem lokalen Begräbnisplatz haben ohne Zweifel erwiesen, dass die Ahnen der jetzigen Bewohner wenigstens seit 100 Jahren dort gesiedelt haben. Eine solche wissenschaftliche Untersuchung war zur Zeit eines ersten Gerichtsurteils noch nicht möglich. Die aktuelle Entscheidung bedeutet zwar noch keinen generellen Wandel in dem langen Konflikt zwischen der bisher weitgehend rechtlosen ethnischen Minderheit im Süden Thailands und den ökonomischen Interessen jener, die Landflächen im Küstengebiet kommerziell nutzen wollen. Es scheint aber, dass in den letzten Jahren bei der Regierung das Bewusstsein über das Problem zugenommen hat.

Ungefähr 20.000 Seenomaden leben in der Region. Sie sind traditionell Fischer, die ohne moderne Technik im flachen Wasser nach Meerestieren tauchen. Ihre Dörfer befinden sich an Land, einige aber auch auf Pfählen im Wasser. Die Familien haben ihre eigenen Traditionen – die jedoch bedroht sind. Zum einen sind jüngst Teile ihrer Gebiete unter Naturschutz gestellt und der Fischfang verboten worden, was den Menschen ihre wirtschaftliche Existenz und Nahrungsgrundlage raubt. Zudem haben es die »Investoren« auf fast jede freie Fläche der idyllischen Strände abgesehen, um mit Tourismus Geld zu machen. Bei dem Konflikt hat die Minderheit die schlechteren Karten. Sie hat keine Urkunden, die ihren Besitz belegt. Die Seenomaden folgen dem Konzept des Gemeineigentums an Land, das in modernen Staaten wie Thailand nicht vorgesehen ist.

Seit 2010 gibt es nach langer Zeit einen Schritt der Veränderung: Die Regierung beschloss damals, die ethnische Gruppe mehr zu fördern. Auch sollten ihre Kultur und ihre Traditionen besser geschützt werden. Narumon Arunotai, Sozialwissenschaftlerin an der renommierten Chulalongkorn-Universität in Bangkok, hat sich mit der Umsetzung des Kabinettsbeschlusses befasst. Sie betonte seinerzeit gegenüber der Tageszeitung Bangkok Post: »Es ist ein Fortschritt, dass wir das Prinzip der Koexistenz anerkennen. Wir leben in der gleichen Welt, also müssen wir Rücksicht auf andere nehmen, dürfen sie nicht an den Rand drängen.« Trotzdem fühlen sich viele Seenomaden noch immer von der Mehrheit marginalisiert und bedroht.

* Aus: junge Welt, Samstag, 8. November 2014


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