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Thailand hat gewählt – die Krise dauert an

Rufe nach hartem Durchgreifen werden lauter, aber die Streitkräfte halten sich nach wie vor zurück

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Am Tag nach den Wahlen in Thailand, deren Ausgang in der Hand der Justiz liegen dürfte, ließen Regierung und Opposition keinen Zweifel daran, dass sie beide einen Zwischensieg für sich beanspruchen.

Thailands bedrängte Premierministerin Yingluck Shinawatra zeigte sich zufrieden über die Stimmbeteiligung von knapp 50 Prozent und den friedlichen Verlauf des Wahltags, der abgesehen von ein paar Provokationen verhüllter Regierungsgegner störungsfrei verlief. Im Norden und im Nordosten des Landes, den Hochburgen der »Rothemden«, lag die Wahlbeteiligung nach Angaben der Kommission bei 54 bis 56 Prozent. Thida Thavornseth, die Vorsitzende der Vereinigten Front für Demokratie und gegen Diktatur (UDD) hatte die Regierungsanhänger jedoch ausdrücklich gebeten, an den Tagen vor und nach den Wahlen auf das Tragen roter Kleidung zu verzichten, um den Gegnern keinen Anlass für Provokationen zu bieten.

Die größte Oppositionspartei, die Demokraten (DP), die den Wahlgang boykottiert hatte, beklagte dagegen eine niedrige Wahlbeteiligung von 20 Prozent in der Hauptstadt Bangkok und nannte die Wahlen »weder frei noch fair noch verfassungskonform«. So sagte es jedenfalls der ehemalige Premierminister Abhisit Vejjajiva, der Führer der Demokraten, die seit Jahren keine Wahlen mehr gewonnen haben.

Die DP will vor Gericht eine Annullierung der Wahlen erstreiten, was im Land hämische Kommentare auslöste, weil es die Regierungsgegner waren, die den Urnengang seit Wochen systematisch zu sabotieren versucht hatten. Tatsächlich musste jedes zehnte Wahllokal mangels Kandidaten oder infolge von Störaktionen der Opposition geschlossen bleiben, was zu einer Flut von Beschwerden gegen die Demonstranten und die Wahlbehörde führte. Wie könne eine demokratische Partei funktionieren, wurde Abhisit von einer Interviewerin gefragt, ohne den demokratischen Prozess zu respektieren. Angesichts des politischen Klimas im Land könnten Wahlen nicht frei und fair sein, entgegnete Abhisit selbstredend.

Ein offizielles Wahlergebnis lag am Montag angesichts der vielen Boykott- und Störmaßnahmen naturgemäß nicht vor. Die regierende Partei »Puea Thai« (Für Thais) rechnet mit rund 300 Sitzen im 500-köpfigen thailändischen Unterhaus. Doch es wird noch monatelang unklar bleiben, ob die Wahl und ihr Ergebnis rechtskräftig sind. Auch mit bis zu drei Nachwahlen in problematischen Wahlbezirken wird wohl kaum die Beschlussfähigkeit des Parlaments erreicht werden können, die mindestens 475 Abgeordnete erfordert.

Wenigstens die Uniformierten haben deutlich gemacht, dass sie sich aus der politischen Krise heraushalten. Das könnte eine tektonische Verschiebung der Machtverhältnisse signalisieren. Vor ein paar Jahren noch hätte die Armee bei ähnlichen Spannungen längst in den Konflikt eingegriffen. Derzeit aber stehen unbewaffnete Soldaten im Einsatz und ranghohe Kommandeure der Streitkräfte kamen am Sonntag ihrer Stimmpflicht nach, was die Hoffnungen der zunehmend bedrängten Opposition auf einen Putsch weiter dämpfte.

Am Montag lösten die Regierungsgegner überdies zwei Protestlager auf – aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. In Wahrheit scheint es ihnen vielmehr an Geld und Unterstützung zu mangeln. Die Reihen der Demonstranten lichten sich und der Protest verschlingt jeden Tag rund eine halbe Million Dollar. Doch die hartgesottenen Gegner des »Regimes« marschieren weiter, als gehöre ihnen Bangkok, auch wenn der Masse der Bevölkerung langsam aber sicher der Kragen platzt infolge der Wirtschaftsausfälle, der Behinderungen und der lauernden Gefahren. So wurde ein nichts ahnender Autofahrer, der eine Straßensperre übersah, von schwarz gekleideten Bodyguards der Demonstranten angeschossen. Er kam glücklicherweise mit einem Streifschuss am Kopf und dem Schrecken davon.

Im Volk werden derweil Rufe nach hartem Durchgreifen der Regierung lauter, die bisher auf Zermürbung und Krisenmanagement aus der Distanz setzt. Der für den Ausnahmezustand zuständige Arbeitsminister Chalerm Yubamrung wartet zudem auf gültige Haftbefehle gegen die Anführer der Protestbewegung. Das Gericht, das die Sache bearbeitet und offenkundig gemeinsame Sache mit den »Demokraten« macht, ziert sich immer noch, die Papiere auszustellen – »mangels Beweisen«, wie es heißt.

Bei der Wahl 2011 hatten 75 Prozent der knapp 50 Millionen Wahlberechtigten abgestimmt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 4, Februar 2014


Wahl ohne Ergebnis

Thailand: Regierungsgegner verhindern reguläre Abstimmung zu neuem Parlament **

An der von Blockaden und Störaktionen gekennzeichneten Parlamentswahl in Thailand haben sich nach Angaben der Wahlkommission so wenig Wähler wie nie zuvor beteiligt. Selbst in den Hochburgen der Regierung hätte nur gut die Hälfte der Berechtigten ihre Stimmen abgegeben, teilte die Kommission am Montag mit. Bei der Wahl 2011 lag die Beteiligung noch bei 75 Prozent.

Ein Ergebnis lag am Montag nicht vor, weil regierungsfeindliche Demonstranten die Stimmabgabe in neun Provinzen und zahlreichen Wahllokalen verhindert hatten. Dort müssen zuerst Nachwahlen organisiert werden. Nach Behördenangaben störten oder verhinderten Demonstranten die Stimmabgabe landesweit in 127 von 375 Wahlbezirken. Allein in Bangkok konnten 488 der 6673 Wahllokale nicht öffnen.

Die thailändische Opposition setzte ihre Proteste gegen die Regierung am Montag fort. In der Hauptstadt Bangkok versammelten sich Hunderte Menschen zu einer Kundgebung gegen Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra. Protestsprecher Akanat Promphan forderte eine Annullierung der Wahl, da sie nicht innerhalb eines Tages stattgefunden habe. Am Vorabend der Abstimmung hatten Explosionen und Schußwechsel Bangkok erschüttert.

Die Opposition hatte zum Boykott der Abstimmung aufgerufen, weil sie die Wiederwahl der insbesondere auf dem Land und bei ärmeren Stadtbewohnern beliebten Yingluck befürchtet. Die Regierungsgegner fordern statt Wahlen die Einsetzung eines nicht gewählten sogenannten Volksrats, der eine Reihe von Reformen umsetzen soll. Durch Gewalt vor der Wahl waren in den vergangenen Monaten mindestens zehn Menschen getötet worden.

Die Proteste gegen die Ministerpräsidentin hatten sich im vergangenen November an einem von der Regierung befürworteten Amnestiegesetz entzündet, das Yinglucks Bruder, dem früheren Regierungschef Thaksin Shinawatra, eine Rückkehr aus dem Exil erlaubt hätte. Yinglucks Regierung ließ das Amnestievorhaben inzwischen fallen. Thaksin war im Jahr 2006 vom königstreuen Militär entmachtet und später wegen Korruption verurteilt worden.

Die Regierungsgegner kündigten weitere Proteste an. »Wer länger aushält, gewinnt«, sagte der Sprecher des Demokratischen Reformkomitees des Volkes (PDRC), Akanat Promphan.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 4, Februar 2014


Thailands Zermürbungskrieg

Detlef D. Pries über das Demokratieverständnis sogenannter Demokraten ***

Selbst ernannte Demokraten prangern Thailands Wahl als unfrei und unfair an, nachdem sie selbst deren Freiheit und Fairness durch Boykott, Blockaden und Einschüchterungsversuche behindert haben. Absurd? Nach der Logik der thailändischen Opposition durchaus nicht. Für sie sind die Reisbauern im Norden und Nordosten des Landes und die unteren Schichten in Bangkok schlicht zu dumm, als dass man ihnen ein demokratisches Wahlrecht zugestehen könnte. Deshalb wollen die Pseudodemokraten weder freie noch faire, sondern gar keine Wahlen. Die haben sie in den vergangenen Jahren nämlich regelmäßig verloren – trotz tatkräftiger Beihilfe von Justiz und Militär. Stattdessen fordern sie einen »Volksrat« eigener Wahl, der ihnen dauerhafte Dominanz garantiert.

Auch Thaksin Shinawatra, der angeblich seine regierende Schwester aus dem Exil lenkt, mag kein lupenreiner Demokrat sein. Eigener Hände Arbeit auf Thailands Reisfeldern entspringt sein Reichtum gewiss nicht. Was Korruptionsaffären angeht, ist Protestführer Suthep Thaugsuban allerdings durchaus kein unbeschriebenes Blatt. Leider fehlt es in Thailand an ehrlichen politischen Alternativen. So treiben die »Demokraten« das Land nach eigenen Worten in einen »Zermürbungskrieg«, in dem »gewinnt, wer länger aushält«. Die Gefahr, dass daraus ein Bürgerkrieg wird, ist nach wie vor akut.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 4, Februar 2014 (Kommentar)


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