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Präsidentschaftswahlen in Tschad vom Krieg überschattet: Déby klammert sich an die Macht

Weltbank gießt Öl ins Feuer. Zum Hintergrund eines gefährlichen Konflikts - Zwei Berichte und ein Kommentar

Krieg im sudanesischen Darfur: Déby klammert sich an die Macht

Präsidentschaftswahlen in Tschad vom Krieg überschattet / Clanwirtschaft dominiert das Staatsgebilde

Von Anton Holberg*

Tschads Präsident Idriss Déby will sich heute [3. Mai 2006] für eine dritte Amtszeit wählen lassen. Der Wahlen werden von einer anhaltenden Rebellion gegen den Präsidenten überschattet. UNO-Generalsekretär Kofi Annan befürchtet gar einen Domino-Effekt.

Mit der Regierung Sudans in Khartum liegt Idriss Déby hoffnungslos über Kreuz. Das war nicht immer so. 1990 stürzte Déby mit einer mit Billigung von Khartum im sudanesischen Darfur zusammengezogenen Rebellenarmee und mit Unterstützung Frankreichs, der USA und Libyens – aber auch des Großteils der Bevölkerung – den Diktator Hissène Habré. Der wiederum hatte seinerseits 1982 mit französischer und US-amerikanischer Unterstützung, aber gegen Libyens Willen, die Regierung von Goukouni Oueddei gestürzt.

Wie fest Déby im Sattel sitzt, lässt sich schwer sagen. Der gescheiterte Putschversuch Mitte April war ihm sicher ein neuerliches Warnsignal. Sicher ist, dass Déby heute die Präsidentschaftswahlen gewinnt und sich eine dritte Amtsperiode sichert. Um sich so lange an der Macht zu halten, hatte er nicht nur seit 1996 verschiedene Wahlen mit zumindest überaus zweifelhaften Mitteln gewinnen, sondern auch die Verfassung ändern müssen. Die Umstände dieser vergangenen »Wahlen« und überhaupt die Tatsache, dass er in den Jahren seiner Herrschaft rund 25 000 Tschader zu Tode gebracht hat, haben die Opposition im Land dazu veranlasst, die heutigen Wahlen zu boykottieren.

Militante Opposition

Gefährlicher als die zivile Opposition ist für Déby die militante Opposition. Am 9. April eröffneten die Rebellen des im März 2004 gegründeten Oppositionsbündnisses Vereinigte Front für den demokratischen Wandel (FUC) vom Südosten des Landes aus eine Offensive, die sie am 19. des Monats bis in die Hauptstadt N’Djaména führen sollte, wo sie allerdings unter großen Verlusten zusammenbrach. Dafür scheint die direkte militärische Intervention Frankreichs, das mit seiner Exkolonie seit 1975 durch ein Militärabkommen verbunden ist, ausschlaggebend gewesen zu sein. Welche Rolle Libyens Unterstützung für Déby gespielt hat, ist unklar. Immerhin wird berichtet, dass am 23. April bei Kousseri ein libysches Flugzeug mit Waffen an Bord und auf dem Weg nach N’Djaména abgestürzt sei.

Die Offensive der FUC reiht sich ein in die lange Geschichte von Aufständen in einem seit etwa 1963 andauernden Bürgerkrieg. Nach dem Sturz des von der Kolonialmacht bei der »Unabhängigkeit« 1960 hinterlassenen Marionettenregimes von François Tombalbaye fanden die bewaffneten Auseinandersetzungen mit ständig wechselnden Fronten in erster Linie zwischen Repräsentanten der muslimischen Volksgruppen des Nordens und des Ostens statt.

Auch im unabhängigen Tschad wurde die Staatsmacht nie als Mittel des sozialen Ausgleichs verstanden, sondern systematisch für autoritäre Zwecke, Günstlingswirtschaft und Bereicherung eingesetzt – überwiegend zum Vorteil des Clans oder der Nachkommen des jeweiligen Führers. Wie in vielen afrikanischen Staaten fand eine »Reprivatisierung« der staatlichen Macht statt.

Ehemalige Verbündete wie Goukouni und Habré oder eben Idriss Déby und Habré fielen übereinander her, in erster Linie, weil sie ihre Macht und damit verbundene Pfründe in einem der ärmsten Länder der Welt für sich und ihre jeweilige ethnische Gruppe verteidigen wollten.

Paris stützt Déby

Das Gros der heutigen polit-militärischen Opposition, wie sie in der FUC zusammengeschlossen ist, rekrutiert sich aus Unterstützern Débys bei seinem Kampf gegen Habré. Sudan war wegen der diesseits und jenseits der Westgrenze siedelnden Völker seit jeher von den Entwicklungen in Tschad betroffen. Die FUC scheint die direkte Unterstützung Sudans zu genießen. Vermutlich ist das der wesentliche Grund dafür, dass sich Frankreich ebenso wie die USA auf die Seite Débys gestellt haben. Dem Chef der FUC, Mahamat Nour, wird vorgeworfen, Angehörige seines auch in Darfur siedelnden Volks der Tama rekrutiert zu haben, um auf Seiten der sudanesischen Regierung in Darfur zu kämpfen. Sicher ist, dass keine Rebellenbewegung irgendeine Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie nicht von Nachbarn oder über Nachbarländer zumindest mit Waffen und durch die Gewährung von Rückzugsbasen unterstützt wird.

In das Zentrum der Aufmerksamkeit anderer ausländischer Akteure ist Tschad jedoch durch die Entdeckung von Erdöl gerückt. Afrika ist seit einigen Jahren wegen der dort entdeckten Erdölressourcen zu einem Objekt der Begierde vor allem der USA und der Volksrepublik China geworden.Die FUC war bei ihrer jüngsten Offensive weitgehend mit chinesischem Kriegsmaterial ausgerüstet. Wie sie daran gekommen ist, ist nicht bekannt, und natürlich leugnet sie solche Verbindungen ebenso wie die erwähnte Rolle im Darfur-Krieg. Der Verdacht reicht aber allemal, um sowohl Frankreich wie auch die USA an der Seite Débys zu halten, auch wenn seine Methoden alles andere als eine Garantie für die Stabilität im Land sind, die im Interesse ökonomischer Nutzung von diesen Staaten ebenso wie von der Weltbank gefordert wird.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2006


Weltbank-Pipeline heizt den Konflikt an

Ethnische Loyalitäten und Zugriff auf das Erdöl bestimmen den Bürgerkrieg in Tschad

Von Martin Ling**

Der Bürgerkrieg in Tschad wird von zwei Motoren angetrieben: Zum einen springt der Darfur-Konflikt aus dem Nachbarland Sudan über, zum anderen ist ein Kampf um den Zugriff auf Tschads Erölvorräte entbrannt.

Ethnische Loyalitäten stehen in Afrika hoch im Kurs. Tschads Präsident Idriss Déby ist Zaghawa, Zaghawa leben auch im benachbarten Sudan, vornehmlich in Darfur. Dort hat sich im März 2003 die sich hauptsächlich auf das Volk der Fur stützende Darfur-Befreiungsfront (DLF) in Sudanesische Befreiungsarmee (SLA) umbenannt, in der sich neben den Fur auch afrikanische Völker wie die Masalit, Zaghawa und Berti finden. Die SLA wehrt sich nach eigenen Angaben gegen die »ethnische Vertreibung« afrikanischer Stämme aus Darfur durch arabische Milizen. Unterstützung erhält die SLA mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Kreisen tschadischer Militärs – bei denen die Zaghawa die dominierende Rolle spielen –, ob mit ausdrücklicher oder stillschweigender Billigung von Déby, ist spekulativ.

Sudan stößt die vermutete Unterstützung der SLA durch Déby selbstverständlich sauer auf, konnte man doch lange auf Débys Loyalität vertrauen, dem Khartum 1990 einst zur Macht verholfen hatte. Doch Déby musste zwischen zwei Loyalitäten wählen – der politischen und der ethnischen – und entschied sich aufgrund des Drucks seiner eigenen Machtbasis, der Zaghawa, für die ethnische. Umgekehrt sieht sich Sudans Regierungschef Omar al-Baschir nicht nur dem Vorwurf ausgesetzt, den arabischen Janjawid-Milizen, die in Darfur Jagd auf die schwarzafrikanische Zivilbevölkerung machen, freie Hand zu geben und überdies mit der sudanesischen Armee wichtige Unterstützerdienste zu leisten, sondern nun auch in die Auseinandersetzungen in Tschad involviert zu sein.

Gegründet wurde das tschadische Oppositionsbündnis Vereinigte Front für den demokratische Wandel (FUC) 2004 nämlich in Darfur – angeblich griff die sudanesische Armee dabei mit Waffen und Logistik unter die Arme.

Regionalisiert war der Darfur-Konflikt ohnehin schon durch die rund 200.000 Flüchtlinge aus Darfur, die in Tschad in Lagern leben. Durch das Durchdrücken der Wahlen in Tschad und das Scheitern der Darfur-Friedensverhandlungen ist eine weitere regionale militärische Eskalation zu befürchten. Zumal Déby sein Finanzproblem beilegen konnte.

Nach vier Monaten Pause soll Tschad nun wieder Kreditzahlungen der Weltbank erhalten und Zugang zu seinen eingefrorenen Öleinnahmen bekommen. Noch im Januar wurden diese Sanktionen von Weltbank-Präsident Paul Wolfowitz im Zuge der ausgelobten Korruptionsbekämpfung veranlasst, weil die Regierung mit den Öleinnahmen nicht wie versprochen die Armut bekämpfte. Offenbar glaubt die Weltbank nun, dass die Regierung, die noch zur Jahreswende ohne Absprache den Zukunftsfonds auflöste, vermutlich um Waffen zu kaufen, sich an ihr neuerliches Versprechen hält, einen Großteil der Öleinnahmen zur Armutsbekämpfung zu verwenden. Dabei berichten Nichtregierungsorganisationen von zahlreichen gebrochenen Versprechen gegenüber der Bevölkerung entlang der Fördergebiete. Und es ist kein Geheimnis, dass die mangelnde breitenwirksame Verteilung des Ölreichtums ein zentrales Aufstandsmotiv ist.

Seit 2003 fließt tschadisches Öl durch eine 1.000 Kilometer lange Pipeline, die ohne die Mitfinanzierung der Weltbank undenkbar gewesen wäre. Fast 400 Millionen Dollar flossen laut Weltbank bis Ende 2005 in das bitterarme Land. Déby hatte vor der Einigung mit der Weltbank damit gedroht, den Ölexport ganz einzustellen. Eine überzeugende Erklärung der Weltbank, warum sie eingelenkt hat, steht aus. Geld für neue Waffen gibt es nun jedenfalls reichlich.



** Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2006

Weltbank fehlt der Durchblick

Von Martin Ling

Die Fortschritte der Weltbank beschränken sich auf die Problemanalyse. Ob sie Afrika als Sorgenkind bei der weltweiten Armutsbekämpfung ausmacht oder auf ihrer Frühjahrstagung Milliardenbedarf für die Energieversorgung armer Länder voraussagt – an den richtigen Einsichten fehlt es der Weltbank nicht. Nur die Schlussfolgerungen und vor allem die nach wie vor praktizierte Politik sind fragwürdig.

Noch in den 90er Jahren hielt die Weltbank Atomenergie für arme Länder für gänzlich ungeeignet – zu kapitalintensiv und nicht den Erfordernissen angemessen. Doch in ihrer neuesten Studie wird die Förderung der Atomenergie erwogen. Als ob sich an den Erfordernissen im Süden oder den Risiken der Nukleartechnologie irgendetwas geändert hätte. Sicher leben 1,8 Milliarden Menschen ohne Strom, doch mit zentralen Ansätzen ist dieser Unterversorgung nicht beizukommen. Darauf weist schon die Weltbankstatistik selbst hin, die beschreibt, dass 2,4 Milliarden Menschen Holz, Agroabfälle und Fäkalien zum Heizen und Kochen nutzen. Das schreit geradezu nach dezentralen Ansätzen wie Biogas und Solarkollektoren. Zumal wenn man weiß, dass 80 Prozent der Bevölkerung Afrikas auf dem Land wohnen und durch eine zentrale Stromerzeugung realistischerweise über-haupt nicht zu erreichen sind. Auch wenn erneuerbare und dezentrale Ansätze nicht für ganze Volkswirtschaften ausschließlich in Frage kommen, bei der ländlichen Entwicklung führt an ihnen kein vernünftiger Weg vorbei.

Die Praxis der Weltbank ist aber nach wie darauf orientiert, lukrative Großkredite für Infrastrukturmaßnahmen zu vergeben. Nur Infrastruktur, die nicht an tragfähige dezentrale Strukturen anknüpfen kann, verpufft wirkungslos. Armutsbekämpfung ist so nicht zu schaffen.

Aus: Neues Deutschland, 25. April 2006




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