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Öl im Blick

Millionen Euro für Tschads Diktator

Von Gerd Schumann *

Am vergangenen Sonntag (3. Mai) unterzeichneten die ostafrikanischen Nachbarn Tschad und Sudan eine Vereinbarung. Sie wollten ihre »Beziehungen normalisieren«. Am Dienstag (5. Mai) war das Papier Makulatur. Rebellen seien von sudanesischem Boden aus, konkret: der Westprovinz Darfur, ins Land »eingefallen«, verlautete aus der tschadischen Hauptstadt N’Djamena. Am Freitag (8. Mai) meldeten die Weltagenturen »mehr als 140 Tote« bei Kämpfen zwischen Armee und Aufständischen. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich verurteilte umgehend »den Angriff tschadischer Rebellen auf den Tschad«. Sie steht weiter auf seiten ihres Statthalters in N’Djamena, Idriss Déby. Diesem hatte Paris in den vergangenen anderthalb Jahren bereits zweimal den Kopf gerettet und 1500 französische Legionäre – vor allem aber ihre Kampfflugzeuge – gegen die Aufständischen eingesetzt.

Der Putschgeneral und autokratische Herrscher Déby, der den Ressourcenreichtum des bettelarmen Landes zugunsten seiner Privatschatulle im Westen vermarktet, ist besser aufgestellt denn je – zumindest, was die Unterstützung von außen betrifft. So fließen aus Brüssel – Menschenrechte hin oder her – riesige Summen: Noch 311 Millionen Euro »Entwicklungshilfe« zahlt die EU bis 2013 direkt an das Militärregime. Dessen selbsternannter Präsident hat eine gewisse Erfahrung im Umgang mit westlichem Sponsoring. Einen Weltbankkredit nutzte er bis 2005 für ein ganz spezielles Anliegen: Damit »hat Déby seinerzeit moderne Kampfhubschrauber gekauft« (tagesschau.de, 8.5.).

Damals wie heute leiten USA und EU in Sachen Tschad das elementare Interesse an einer noch zu erringenden uneingeschränkten Vorherrschaft im flächenmäßig riesigen Dreiländergebiet Sudan, Tschad, Zentralafrikanische Republik: als geostrategisch unverzichtbarer Teil einer West-Ost-Achse vom Atlantik zum Pazifik einerseits, als rohstoffreiche Region andererseits. Wichtigstes Objekt der Begierde: das Öl des Südsudan. Derzeit vertraglich China zugesichert, ist es allerdings für die Regierung in Khartum offenbar nicht verhandelbar. Folglich muß die sudanesische Hauptstadt fallen – und nicht etwa die tschadische.

Den wichtigsten Hebel zur Kapitulation Khartums stellt das für 2011 vereinbarte Referendum über eine Eigenstaatlichkeit Südsudans dar. Bis dahin gilt es, die besten Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Das bedeutet in erster Linie, auf allen denkbaren und undenkbaren Feldern den Einfluß der derzeitigen sudanesischen Regierung zurückzudrängen. Eine Ruhe an der Darfur-Front wäre hierfür derzeit ebenso kontraproduktiv wie die Beendigung der Flüchtlingsdramen in den unendlichen Weiten des Grenzgebietes zwischen Sudan, Tschad und ZAR. Motto: Khartum muß unter Druck bleiben.

Und Sudans Regierungschef Omar Al-Baschir ist – als erster Präsident überhaupt – international zur Fahndung ausgeschrieben. Nicht Idriss Déby. Der steht auf der richtigen Seite.

* Aus: junge Welt 2009


Schwere Kämpfe im Tschad

140 Tote bei Vormarsch auf N’Djamena. Aufständische wollen Diktator Déby stürzen **

Bei schweren Kämpfen zwischen Rebellen und Regierungstruppen sind im ostafrikanischen Tschad mehr als 140 Menschen getötet worden. Wie die Konfliktparteien übereinstimmend bestätigten, gab es am Freitag etwa hundert Kilometer südlich der Stadt Abéché im Osten des Landes schwere Gefechte. Die Angaben über die Kämpfe waren zunächst widersprüchlich. Im Bereich Harouich seien 60 Fahrzeuge der Rebellen »neutralisiert« worden, berichtete das tschadische Fernsehen unter Berufung auf Regierungsangaben aus N’Djamena. Die Rebellen wiesen dies zurück. Bei den Kämpfen habe es auf Armeeseite »mehrere Dutzend Tote und Verletzte« gegeben, hieß es in einer Erklärung.

Bei den Aufständischen soll es sich – so die Nachrichtenagentur AFP – um die »Vereinigten Streitkräfte für den Widerstand« (UFR) handeln. In ihr haben sich neun Rebellenorganisationen zusammengeschlossen. Diese seien am Wochenanfang aus der benachbarten westsudanesischen Krisenprovinz Darfur in den Tschad eingedrungen, verlautete aus tschadischen Regierungskreisen.

Mit den erneuten Kämpfen dürfte ein Abkommen hinfällig sein, das der Sudan und der Tschad vergangenen Sonntag in Katar geschlossen hatten. Beide Seiten verpflichteten sich darin, keine Rebellengruppen auf dem eigenen Territorium zu unterstützen. Der Sudan war in der Vergangenheit davon ausgegangen, daß der Tschad – und die hinter dessen diktatorisch regierendem Präsidenten Idriss Déby stehenden westlichen Kräfte – mit der JEM (Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit) die größte Darfur-Rebellenbewegung unterstützt.

Wegen der Auseinandersetzungen brachten mehrere Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter in Sicherheit, die in dem Grenzgebiet zum Sudan rund 450000 Flüchtlinge betreuen. Die Aufständischen wollten nach eigenen Angaben ihren Vormarsch auf die tschadische Hauptstadt N’Djamena fortsetzen. Bereits im Februar hatten dort Rebellen versucht, Déby zu stürzen. Damals hatten im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik stationierte französische Soldaten auf seiten Débys eingegriffen und die Angriffe gestoppt. Nach den USA verurteilten auch die EU und die Afrikanische Union (AU) die Angriffe der Rebellen. Der UN-Sicherheitsrat kündigte für Freitag (nach jW-Redaktioonsschluß) eine Sondersitzung zur Lage im Tschad an. (AFP/AP/jW)

** Aus: junge Welt 2009


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