Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Feuerpause in N'Djamena

Rebellen geben sich bedingungslos geschlagen und arbeiten an nächster Offensive

Von Martin Ling *

Auch wenn die Rebellen in Tschad am Dienstag eine bedingungslose Waffenruhe akzeptierten, ist dies nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Sowohl der Darfur-Konflikt im benachbarten Sudan als auch der Kampf um den Zugriff auf Tschads Erdöl sorgen weiter für Sprengstoff in und um N'Djamena.

Muammar al-Gaddafi ist mal wieder gefragt. Der libysche Revolutionsführer wurde von der Afrikanischen Union zusammen mit dem Präsidenten der Republik Kongo, Denis Sassou-Nguesso, mit einer Mission beauftragt, die zu einer »friedlichen Verhandlungslösung« im Tschad führen soll. Dass die Wahl auf Gaddafi fiel, hat gute Gründe. Immerhin schaffte er es Ende Oktober 2007, ein Friedensabkommen in Tschad zu vermitteln. Allerdings mit begrenzter Haltbarkeitsdauer: Schon Ende November wurde der Krieg fortgesetzt.

Für Gaddafi spricht auch, dass er als Vermittler beim Darfur-Konflikt im Nachbarland Sudan tätig ist. Bisher hat die im Oktober im libyschen Sirte gestartete internationale Darfur-Konferenz jedoch keine Ergebnisse gebracht. Doch dass der Konflikt in Tschad mit dem im angrenzenden Darfur im Westen Sudans eng verflochten ist, ist unbestritten, denn ethnische Loyalitäten stehen in Afrika hoch im Kurs. Tschads Präsident Idriss Déby gehört der Ethnie der Zaghawa an. Zaghawa stellen im benachbarten Darfur mit der Rebellengruppe Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) die inzwischen militärisch stärkste der vielen Rebellenbewegungen im seit März 2003 anhaltenden Bürgerkrieg.

Verflechtung mit Darfur-Konflikt

Sudan stößt die vermutete Unterstützung der JEM durch Déby selbstverständlich sauer auf, konnte man doch lange auf Débys Loyalität vertrauen, dem Khartum 1990 einst zur Macht verholfen hatte. Doch Déby musste zwischen zwei Loyalitäten wählen -- der politischen und der ethnischen -- und entschied sich aufgrund des Drucks seiner eigenen Machtbasis, den Zaghawa, für die ethnische. Umgekehrt sieht sich Sudans Regierungschef Omar al-Baschir nicht nur dem Vorwurf ausgesetzt, den arabischen Janjawid-Milizen, die in Darfur Jagd auf die schwarzafrikanische Zivilbevölkerung machen, freie Hand zu geben und überdies mit der sudanesischen Armee wichtige Unterstützerdienste zu leisten, sondern auch in die Auseinandersetzungen in Tschad involviert zu sein -- unter anderem als Rückzugsbasis für die Sammlung der Kräfte für den Wandel (RFC).

Der Machtkampf zwischen der RFC und Déby hat familiäre Züge. Geführt wird die RFC von zwei Neffen Débys, den Brüdern Timan und Tom Erdimi, die lange Zeit als Stützen des Regimes agiert hatten. Timan war Chef des Präsidialbüros und Tom Direktor der staatlichen Erdölfirma. Zum Zerwürfnis kam es im November 2003, als Déby mit einer Verfassungsänderung seine auf zwei Amtszeiten begrenzte Präsidentschaft auf unbegrenzte Zeit ausdehnen wollte. Ein Allmachtsanspruch, der offenbar auch innerhalb der Zaghawa-Elite auf Widerspruch stieß. Der Kampf um die Pfründe entbrannte. Nicht von ungefähr 2003. Seit diesem Jahr fließt tschadisches Öl durch eine 1000 Kilometer lange Pipeline, die ohne die Mitfinanzierung der Weltbank undenkbar gewesen wäre. Fast 400 Millionen Dollar flossen laut Weltbank allein bis Ende 2005 in das bitterarme Land. Die von Déby der Weltbank zugesagte Armutsbekämpfung fiel indes aus.

Widerstand gegen Präsident Déby wächst

Die wachsenden Begehrlichkeiten und die ausbleibende Beteiligung der Bevölkerung an den sprudelnden Öleinnahmen haben die Widerstände gegen Déby verstärkt. Schon im Mai 2004 putschte seine eigene Leibgarde -- erfolglos. Ein Fehlschlag, der sich im Oktober 2005 wiederholte. Die Geschlagenen wurden jedoch von den loyalen Gardisten nicht ermordet, sondern durften Richtung Darfur abziehen.

Doch nicht die RFC, sondern das tschadische Oppositionsbündnis Vereinigte Front für den demokratische Wandel (FUC) unter Mahamat Nour startete im April 2006 den ersten Versuch, die Hauptstadt N'Djamena im Handstreich zu übernehmen und wurde erst an den Stadtgrenzen gestoppt. Französische Soldaten hatten damals den Regierungstruppen logistische Hilfe geleistet.

Dieser Hilfe bedurfte es auch jetzt, denn die Rebellen sind so stark wie nie. Trotz aller ethnischen und politischen Differenzen haben sich die drei wichtigsten Rebellengruppen im Dezember 2007 mit dem Ziel geeint, Idriss Déby zu stürzen. Zur RFC der Gebrüder Erdimi gesellte sich die Union der Kräfte für Demokratien und Entwicklung (UFDD), eine multiethnische Gruppe um Mahamat Nouri, die den Machtanspruch der Zaghawas grundsätzlich infrage stellt und die Union der Kräfte für Demokratie und Entwicklung (UFDD-F) von Abdelwahid Makaye, der die Kämpfer der FUC in seine Reihen aufgenommen hat.

Dass sie bei ihrer Offensive nicht gänzlich erfolgreich waren, lag an Frankreich. »Die Herrschaft über den Flughafen ist entscheidend«, sagt der französische Oberkommandeur Paul Perié. Von dort starteten unter den Augen der Franzosen die Kampfhubschrauber der Regierungstruppen, denen die Rebellen nichts entgegenzusetzen hatten. Auch wenn Déby den jüngsten Ansturm überstanden hat: Mehr als eine Feuerpause ist es nicht -- der nächste Angriff kommt bestimmt.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Februar 2008

"Ein Schritt zu einer Militärmacht Europa"

EU-Abgeordneter: Tschad-Mission "absurd"

Neues Deutschland: Ist die EU-Mission in Tschad durch die jüngste Krise vom Tisch?

Pflüger: Eigentlich könnte man das meinen. Aber der EU-Außenbeauftragte Solana hat erklärt, dass der Militäreinsatz trotzdem stattfinden soll. Bezeichnend dabei ist, dass insbesondere Frankreich Einheiten für den Einsatz bereitstellt, andererseits französische Soldaten auf Seite von Präsident Déby stehen, die allerdings bislang nicht in die Kämpfe eingegriffen haben sollen. Ich halte die Durchführung der EU-Mission inzwischen für absurd und in ihrer eigenen Logik nicht schlüssig. So warten in Tschads Hauptstadt österreichische Soldaten auf ihren Einsatz, den sie wegen des Kriegs nicht beginnen können.

Allerdings will Wien die EUFOR-Vorhut auch nicht zurück holen.

Das Interesse der beteiligten Staaten an dem Einsatz ist natürlich groß. Schließlich ist er ein wichtiger Schritt zur Herausbildung einer Militärmacht Europa, er läuft ausschließlich über die EU und ihre einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Strukturen, so nutzt die EU Militärbasen der EU-Mitgliedstaaten. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat in einer Studie kritisiert, dass die Logistik des Militäreinsatzes nicht funktioniere und dieser sehr gefährlich sei.

Das ist mehr eine technische als inhaltliche Einschätzung. Offiziell sollte es darum gehen, die Darfur-Flüchtlinge zu schützen. Das Anliegen ist doch nicht schlecht.

Richtig, aber die Frage bleibt, ob das mit diesem Einsatz umsetzbar ist. So sollen die Truppen im Grenzgebiet zwischen Tschad und Sudan stationiert werden. Ich habe mehrfach nachgefragt, wo sich das Operationsgebiet genau befindet. Darauf habe ich keine vernünftige Antwort bekommen. Offensichtlich hat Déby der EU nicht definitiv zugesagt, dass sie im Grenzgebiet operieren darf. Zudem befindet sich ein Teil der Flüchtlinge ohnehin auf sudanesischem Territorium. Ich halte es für zentral, dass die Infrastruktur für die Flüchtlingshilfe entscheidend verbessert wird und die Lieferungen wirklich bei den Betroffenen ankommen.

Gerade Europa mit seiner Geschichte müsste sich bei der Konfliktlösung stärker engagieren.

Ja, aber ein militärisches Vorgehen macht keinen Sinn. Gerade am Beispiel Tschad zeigt sich, dass eine Vermischung postkolonialer Politik mit dem heutigen Kurs der EU stattfindet. Im Tschad hat insbesondere Frankreich postkoloniale Interessen, andernorts sind es auch andere EU-Staaten.

Ihre Forderung würde bedeuten, die Militarisierung der EU-Außenpolitik zurückzudrängen. Ist das überhaupt noch möglich?

Das ist eine schwierige Frage, weil die Entwicklung tatsächlich sehr weit gediehen ist. Der internationale Ruf der EU hängt nicht zuletzt mit ihrem zivilen Engagement aus der Vergangenheit zusammen. Noch vor einiger Zeit hieß es, die EU befinde sich an der Weggabelung zu einer zivilen oder militärischen Macht. Diese Entscheidung ist inzwischen gefallen -- die EU ist eine Militärmacht. Je mehr das Militärische in den Vordergrund gestellt wird, desto mehr ähnelt die EU-Politik jener der USA. Aber es ist noch möglich, diese Weichenstellung zu ändern. Dazu bedarf es allerdings des entsprechenden politischen Willens, den ich derzeit bei einer großen Mehrheit weder in der EU noch in ihren Mitgliedstaaten sehe. Das gilt es zu ändern.

Fragen: Uwe Sattler

* Aus: Neues Deutschland, 6. Februar 2008



Paris bereit zum Angriff im Tschad

Grünes Licht für ehemalige Kolonialtruppen. Rebellen mit Frankreichs Hilfe aus N'Djamena vertrieben **

Zum »militärischen Eingreifen bereit« präsentiert sich die französische Armee in Tschad. »Wenn Frankreich seine Pflicht tun muß, wird es das tun«, sagte Staatspräsident Nicolas Sarkozy am Dienstag (5. Februar) in La Rochelle auf die Frage nach einer möglichen Beteiligung an den Kämpfen. »Daran sollte niemand zweifeln.«

Sarkozy behauptete zugleich, daß sich seine Truppen bislang »mit einer Ausnahme« nicht an den Kämpfen zwischen tschadischen Regierungstruppen und drei aufständischen Guerillagruppen beteiligt hätten. Dem widersprach Rebellenführer Mahamat Nouri entschieden. Französische Kampfflugzeuge hätten von Sonntag abend bis Dienstag morgen seine Kämpfer unter Beschuß genommen. Nun sei man für eine neue Offensive bereit und könnte die Hauptstadt einnehmen -- wenn die französischen Soldaten nicht da wären.

Auch Experten, wie Dr. Paul-Simon Handy vom südafrikanischen Institut für Sicherheitsfragen, gehen davon aus, daß es am Sonntag »ohne die Hilfe der vor Ort stationierten französischen Truppen« nicht möglich gewesen wäre, die Rebellen aus der Hauptstadt N'Djamena zurückzudrängen. »Frankreich stellte die Luftkapazität bereit, so konnte die reguläre Armee die Truppen aus der Luft bombardieren«, so Handy gegenüber der Wiener Zeitung (4.2.).

Der UN-Sicherheitsrat hatte am Montag abend den Rebellenangriff auf die Hauptstadt verurteilt und die Mitgliedsstaaten »autorisiert«, der Regierung von Präsident Idriss Déby »militärisch zu helfen«. Frankreich hat in Tschad etwa 1500 Soldaten stationiert. Das Regime des seit 17 Jahren herrschenden Putschoffiziers Déby, ein ehemals in Frankreich ausgebildeter Kampfpilot, gilt als treuer Verbündeter der vormaligen Kolonialmacht. Die Rebellen, denen vom Tschad eine Nähe zur sudanesischen Regierung unterstellt wird, hatten vor einer Woche eine Offensive gegen Déby gestartet -- offensichtlich in Reaktion auf die geplante Stationierung von EU-Truppen im Grenzgebiet zu Darfur auf tschadischer Seite. (AFP/AP/jW)

** Aus: junge Welt, 6. Februar 2008


Zurück zur Tschad-Seite

Zurück zur Homepage