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Verstärkung für Frankreich

UN-Sicherheitsrat billigt europäische Truppen im Tschad und Zentralafrika

Von Raoul Wilsterer *

Sudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik (ZAR) heißen die Einsatzorte des größten Blauhelmkontingents in der Geschichte der Vereinten Nationen. Es besteht aus annähernd 40000 Soldaten: 10000 bereits im Südsudan Stationierten (UNMIS), 26000 der vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen UNAMID-Truppe für die westsudanesische Krisenprovinz Darfur sowie 3000 EU-Spezialkämpfer. Für deren Entsendung in die tschadischen und zentralafrikanischen Grenzregionen zum Sudan erteilte der UN-Sicherheitsrat am Montag abend grünes Licht, als er Ban Ki Moons Vorschlag dazu billigte.

Am Dienstag dann untermauerte der Washington-freundliche UN-Generalsekretär seinen Kurs, den Druck auf den »Schurkenstaat« Sudan weiter zu erhöhen: Er werde in der nächsten Woche persönlich vor Ort »prüfen«, ob die sudanesische Regierung eine »zügige« Blauhelmstationierung in der westsudanesischen Krisenprovinz »ausreichend unterstütze«. Nicht erwähnend, daß Khartum seine Zustimmung bisher von einer führenden Rolle Afrikas bei dem UN-Einsatz abhängig macht, er selbst jedoch durchaus eine mächtige NATO-Präsenz erwägt, behauptete Ban: »Ich will den Grundstein für anhaltende Sicherheit und Frieden legen.« Dazu gelte es nunmehr, Khartum zu mahnen, die Resolutionen des Sicherheitsrats umzusetzen, meinte er weiter, und spielte darauf an, daß seiner Meinung nach die sudanesische Regierung auch die Vereinbarungen zum Südsudan nicht einhält. Angeblich hätte sie die einstige Rebellenarmee der SPLA nicht angemessen finanziell und politisch an Machtausübung und Öleinnahmen beteiligt. Ban kündigte außerdem an, daß er neben Darfur und Libyen auch Flüchtlingslager im Tschad besuchen wolle.

Derzeit sind im Tschad wie in der ZAR etwa 1500 französische Soldaten präsent. Paris hatte in der Vergangenheit den der ehemaligen Kolonialmacht treu verbundenen Präsidenten Francois Bozizé (ZAR) und Idriss Déby (Tschad) schon mehrfach militärisch aus der Bedrouille geholfen. Nun erhalten die Pariser Truppen EU-Verstärkung. Die 3000 Soldaten sollen ab Ende der Regenzeit im Oktober unter französischem Kommando über weite Flächen der an Bodenschätzen reichen Grenzregionen zum Sudan wachen. Zwischen dem äußersten, libyennahen Nordost-Tschad mit seinen umfangreichen Uranvorkommen und dem Diamantengebiet um die zentralafrikanische Stadt Birao leben nach Angaben aus der UN-Zentrale in New York etwa 600000 Menschen, die aus der sudanesischen Westprovinz Darfur sowie aus Gebieten des Tschad und der ZAR fliehen mußten. Diese seien häufig Rebellenangriffen ausgesetzt – vor allem von sudanesischem Gebiet aus.

Offiziell fungieren die Soldaten also als »Schutztruppe«. Allerdings wird dies nicht möglich sein, ohne auch gegen aufständische Gegner von Déby und Bozizé, gegen kriminelle Gruppierungen und sogar jeweilige Regierungstruppen zu agieren. Welche europäischen Länder außer Frankreich sich daran beteiligen werden, ist derzeit unklar. Lediglich Polen erklärte sich bisher bereit, und aus skandinavischen Ländern wurde Interesse signalisiert. London orientiert offensichtlich auf eine maßgebliche Einflußnahme beim geplanten UN-Einsatz in Darfur selbst und wird sich entsprechend bei der jüngsten Begegnung zwischen Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy und Großbritanniens Premier Gordon Brown abgestimmt haben.

Die Reaktion der deutschen Regierung schwankte bisher zwischen Skepsis und Ablehnung: Offensichtlich fühlte sie sich von der Interventionsinitiative Frankreichs überfahren. Zumindest war sie seitens der Initiatoren in Paris weder konsultiert oder informiert worden. Ob Berlin allerdings bei seiner militärischen Zurückhaltung bleibt, wird sich in den kommenden Wochen herausstellen. Mitte September beraten die EU-Außenminister über das UN-Mandat. Dann wird sich herausstellen, wer wie mitmischt im großen Pokerspiel neokolonialer Interessenten.

* Aus: junge Welt, 30. August 2007


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