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Haß auf Roma

Tschechien: Mit Sozialkürzungen und Ausgrenzung erschafft sich der Antiziganismus seine "Zigeuner"

Von Tomasz Konicz *

Der in ganz Europa rasch anschwellende Antiziganismus hat sich auch in Tschechien zu einem Alltagsphänomen entwickelt. Seit Monaten gibt es immer wieder Ausschreitungen gegen die verhaßten »Zigeuner«. Das Muster wiederholt sich: Ein einziger Konflikt zwischen Roma und Tschechen reicht mitunter aus, um gewöhnliche Bürger und Neonazis auf gemeinsamen Demonstrationen gegen »Zigeunerkriminalität« zusammenzuführen, die oft in Übergriffen auf die lokalen Roma oder Gegendemonstranten münden. Die aus der verbotenen Nazigruppe Arbeiterpartei (DS) hervorgegangene Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit (DSSS) ist inzwischen führend an der Organisation und Durchführung dieser antiziganischen Umtriebe beteiligt, die im vergangenen August ihren Ausgang in der nordböhmischen Grenzregion zu Deutschland, im sogenannten Schluckenauer Zipfel, genommen haben.

Die rechtsextremen Schläger können hierbei oftmals auf Sympathien aus Teilen der Bevölkerung und Nachsicht seitens der Justiz zählen. So sprach beispielsweise am 8. Dezember ein Gericht 13 Neonazis vom Vorwurf der Körperverletzung frei, obwohl der Gruppe nachgewiesen wurde, im Anschluß an eine Demonstration der DSSS in Nový Bydžov drei Roma zusammengeschlagen zu haben. Die Begründung: Es könne nicht eindeutig nachgewiesen werden, welche Gruppenmitglieder den Angriff durchgeführt haben. Milde ließ die Justiz auch gegenüber den Pogromteilnehmern in Nordböhmen walten, die im Sommer und Herbst mehrmals darangingen Roma-Häuser zu stürmen. Diesen offenen Pogromversuchen ging eine Anschlagsserie in den vergangenen Jahren voran, bei der etliche Roma zum Teil schwer verletzt wurden.

Der lockere Umgang der tschechischen Justiz mit Nazitätern kontrastiert mit den Bemühungen, Roma wegen »rassistisch motivierter Gewalttaten« zu verurteilen. Ende November wurden drei fünfzehnjährige Roma angeklagt, tschechische Jugendliche aus rassistischer Motivation heraus in Novy Bor angegriffen zu haben. Wie angespannt die Lage in der Region inzwischen ist, wird allein daran ersichtlich, daß nach dieser Jugendschlägerei Polizeiverstärkungen in die nordböhmische Kleinstadt verlegt werden mußten. Die Rufe »Zigeuner ins Gas«, die seit Monaten durch Tschechiens Städte hallen, bleiben hingegen ungesühnt.

Dabei handelt es sich bei der tatsächlich gegebenen Ghettobildung und Elendskriminalität, die Neonazis wie empörte Kleinbürger den Roma vorwerfen, um Folgen der umfassenden Marginalisierung von Roma in Tschechien wie auch in ganz Osteuropa. Die Zigeunerhasser werfen den Roma die sozialen Folgen ihrer Diskriminierung vor und erklären diese zu Auswüchsen der angeblichen rassischen Eigenschaften der »Zigeuner«. Dabei trägt die tschechische Rechtsregierung um Premier Petr Necas mit ihrer sozialen Kahlschlagpolitik zur Zuspitzung der Lage bei. Der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Jiri Paroubek brachte den jüngsten Verelendungsschub innerhalb der Roma Tschechiens mit der Reform der Sozialhilfe in Verbindung, die im ersten Quartal 2011 viele Fami­lien dieser Bevölkerungsgruppe ohne jegliche Finanzmittel zurückließ, was zum massiven Anstieg von Zwangsräumungen verschuldeter Roma und verstärkter Ghettobildung führte.

Die Folgen ihrer Politik wurden der Regierung Necas Anfang Oktober im Rahmen eines Berichts zur Lage der Roma in Tschechien vor Augen gehalten, laut dem ein »großer Teil der Roma in sozialer Exklusion lebt«. Die Chancen der Roma-Kinder auf ein besseres Leben seien aufgrund der Diskriminierung »sehr gering«. Der Report konstatiert eine apartheidähnliche gezielte Separationspolitik in vielen Gemeinden Tschechiens: »Einige Dörfer und Städte haben funktionierende Unterbringungssysteme und sozialpolitische Mechanismen, die es ermöglichen, unangepaßte Personen an den Rand oder außerhalb der Grenzen der Gemeinde zu drängen.« Soziale Probleme wie »Arbeitslosigkeit, Wohnungsunsicherheit und ein niedriges Bildungsniveau« würden demnach »als ein Ergebnis lokaler Politik« in den sich nun formierenden Roma-Ghettos konzentriert. Die repressive Politik gegenüber den Roma wirkt somit in Wechselwirkung mit dem grassierenden Antiziganismus dahingehend, die rassistischen Stereotype des »unangepaßten und arbeitsscheuen Zigeuners« zu realisieren. Diese werden dann von den Nazis der DSSS bei ihren Attacken gegen »Zigeunerkriminalität« instrumentalisiert. Der Antiziganismus erschafft sich somit seine »Zigeuner«.

* Aus: junge Welt, 14. Dezember 2011


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