Der Untote von Prag
Bei der tschechischen Präsidentenwahl steht die nationale Souveränität auf dem Spiel
Von Werner Pirker *
Die beiden für die am Freitag und Sonnabend stattfindende Endrunde der Präsidentenwahlen in der Tschechischen Republik qualifizierten Kandidaten haben eine nationale Kontroverse ausgelöst, wie sie zugespitzter kaum noch ausgetragen werden könnte. Auf der einen Seite der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Milos Zeman, ein volkstümlicher Politiker, der hinsichtlich der Aussiedlung der Sudetendeutschen und den ihr zugrundeliegenden Benes-Dekreten zu keinerlei Zugeständnissen an den liberalen Zeitgeist in Form einer Aufweichung der nationalen Position bereit ist. Auf der anderen Seite Fürst Karl zu Schwarzenberg, deutschgesinnter Außenminister der Tschechischen Republik, der die Benes-Dekrete lieber heute als morgen für aufgehoben erklären will.
Wes Geistes Kind der Nachkomme eines böhmischen Adelsgeschlechtes, das für Jahrhunderte deutscher Fremdherrschaft über die tschechischen Länder steht, ist, beweist sein Vergleich der Benes-Dekrete mit Fällen, die vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal verhandelt werden. Bei der »völkerrechtswidrigen« Aussiedlung der Sudetendeutschen sei das Prinzip der Kollektivschuld angewandt worden, lautet seine den historischen Tatsachen widersprechende Behauptung. Im Dekret des tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes vom 2. August 1945 wurden ausdrücklich »Bürger deutscher Nationalität« von Sanktionen ausgenommen, die nachweisen konnten, »daß sie der Tschechoslowakischen Republik treu waren, sich niemals am tschechischen und slowakischen Volk vergangen haben und sich entweder aktiv am Kampf für ihre Befreiung beteiligten oder unter dem nazistischen oder unter dem nazistischen Terror gelitten haben«.
Auch wenn die Praxis der Aussiedlung der Sudetendeutschen, die mehrheitlich mit der Nazi-Fremdherrschaft kollaboriert hatten, nicht immer in Übereinstimmung mit diesem Dekret erfolgt ist, ist es eine Falschbehauptung, daß das Prinzip der Kollektivschuld bereits in den Benes-Dekreten angelegt gewesen sei. Andernfalls wäre ja auch die Fürstenfamilie, die wie viele andere Angehörige des deutsch-österreichischen Adels gegen die Nazis war, aus Prag ausgewiesen worden. Deren freiwillige Auswanderung nach Österreich erfolgte aber erst nach der kommunistischen Machtübernahme 1948.
Karl Schwarzenberg war ein Revanchist aus ganzer Seele. Das betraf sowohl die revanchistischen Sache der sudetendeutschen Landsmannschaften als auch alle Bestrebungen, Revanche an den sozialistischen Umgestaltungen in Osteuropa zu nehmen. In der Paneuropa-Union des verhinderten österreichischen Thronfolgers Otto von Habsburg, deren »Europa-Picknick« an der österreichisch-ungarischen Grenze 1989 den Beginn des Zerfalls des sozialistischen Grenzregimes markierte, fand er die ihm würdige politische Heimat. Paneuropäisch ist der feine Herr Karl auch geblieben. Ein »Mitteleuropäer« aus Böhmen, kein Tscheche. Ganz so, wie man sich in Berlin einen tschechischen Außenminister wünscht.
Kein Wunder, daß Milos Zeman, inzwischen Vorsitzender einer kleinen sozialistischen Partei, seinen Rivalen einen »Sudetak« nennt. Vaclav Klaus, um dessen Nachfolge als Präsident es geht, hat sich öffentlich auf Zemans Seite gestellt. Für einen Neoliberalen eher untypisch tritt er für »weniger Europa«, vor allem aber für weniger deutsche Dominanz über Europa ein. Ein Deutsch-Böhme als Herr der Prager Burg scheint Klaus ein unerträglicher Gedanke zu sein. Und dennoch hat es der Fürst in die Stichwahl gebracht, bei der ihm durchaus Außenseiterchancen eingeräumt werden. Vor allem in der neoliberal indoktrinierten und eher germanophil gestimmten jüngeren Generation gilt Schwarzenbergs nationale Unzuverlässigkeit mehr als Vor-, denn als Nachteil. Es ist schon seltsam, daß die Untoten des Feudaladels zu Leitfiguren des modernen Europas geworden sind.
* Aus: junge Welt, Freitag, 25. Januar 2013
Zeman und Schwarzenberg Kopf an Kopf
Heute und morgen wird in einer Stichwahl der neue Präsident Tschechiens bestimmt
Von Olaf Standke **
Mit einem letzten großen Fernsehduell
zwischen Milos Zeman und Karel
Schwarzenberg, den beiden verbliebenen
Kandidaten für das Amt des
tschechischen Staatschefs, endete am
Donnerstagabend der Wahlkampf vor
dem entscheidenden Urnengang heute
und morgen. Es dürfte ein enges
Rennen werden.
Ginge es nach dem scheidenden
tschechischen Präsidenten Vaclav
Klaus, der nach fast zehn Jahren
im Amt nicht mehr antreten darf,
würde der gegenwärtige Prager
Außenminister Karel Schwarzenberg
nicht sein Nachfolger werden.
Staatsoberhaupt müsse jemand
sein, »der zu diesem Land
gehört und hier sein Leben in
schweren, guten, den besten und
den schlechteren Zeiten verbrachte
«. Die Familie des Fürsten
hatte die einstige Tschechoslowakei
1948 verlassen und bis zur sogenannten
samtenen Revolution
1989 vor allem in Wien gelebt. In
der zweiten Runde der erstmaligen
Direktwahl des tschechischen
Präsidenten trifft der Kandidat der
konservativen Partei TOP09 nun
auf Milos Zeman, einen begnadeten
Populisten, der für die Sozialdemokraten
vier Jahre lang (1998-
2002) eine Minderheitsregierung
führte – die CSSD später aber verließ,
nachdem 27 Abgeordnete aus
den eigenen Reihen im Parlament
2003 seinen ersten Versuch boykottiert
hatten, auf der Prager Burg
Einzug zu halten. Jetzt tritt er für
die von ihm gegründete Partei der
Bürgerrechte (SPO) an, die bei den
jüngsten Wahlen den Einzug ins
Parlament knapp verpasste.
Jan Fischer, der im ersten
Wahlgang ausgeschiedene parteilose
Kandidat der bürgerlichen
Mitte, hat zuletzt überraschend für
den 68-Jährigen geworben. Der
einstige Wahlfavorit kam in der
ersten Runde nur auf 16,35 Prozent
der Stimmen und lag damit
hinter Zeman (24,2 Prozent) und
Schwarzenberg (23,4 Prozent). Mit
seiner Präferenz fand er sich an
der Seite des Gewerkschaftsdachverbandes
(CKMOS) wieder, für
den der fürstliche Außenminister
als Vizechef einer Regierung des
sozialen Kahlschlags ein inakzeptabler
Präsident wäre.
Auch die Kommunistische Partei
(KSCM), die auf einen eigenen
Kandidaten verzichtet hatte, sagte
Zeman Unterstützung in der
Stichwahl zu. Schwarzenbergs
Anhänger wiederum werfen dem
Meister des derben Bonmots vor,
nur ein ironischer Selbstdarsteller,
aber kein wirklicher Staatsmann
zu sein.
In der letzten Phase des Wahlkampfs
gab es keine großen Straßenveranstaltungen
mehr, die Bewerber
konzentrierten sich auf
Medienauftritte, wobei der Ton
zwischen ihnen deutlich schärfer
wurde. Sogar das Schicksal der
Sudetendeutschen wurde fast sieben
Jahrzehnte nach Kriegsende
wieder zum Streitpunkt. Die bis
dahin meisten Zuschauer gab es
am Mittwochabend, 1,5 Millionen
Menschen verfolgten das Fernsehstreitgespräch
zwischen Zeman
und Schwarzenberg. 8,4 Millionen
Stimmberechtigte werden
heute ab 14 Uhr in den Wahllokalen
über den Nachfolger von Vaclav
Klaus entscheiden. Meinungsforscher
haben ein Kopf-an-Kopf-
Rennen vorausgesagt, sehen aber
Zeman mit 53 Prozent knapp vorn.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 25. Januar 2013
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