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Tschetschenien fast "befriedet"

Moskau hebt Ausnahmeregelungen für die Republik im Nordkaukasus auf

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Seit Donnerstag ist es amtlich, was bisher nur gemunkelt wurde: Russland erklärt die »Anti-Terror-Operation« in Tschetschenien für beendet.

Das Anti-Terror-Komitee des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB teilte am Donnerstag mit, dass das »Anti-Terror-Regime« in Tschetschenien seit Mitternacht aufgehoben sei. Laut Medienberichten ist mit dieser Entscheidung auch der Abzug von 20 000 russischen Soldaten verbunden.

Die »Anti-Terror-Operation auf dem Gebiet der Tschetschenischen Republik« und die »Vereinigung aller Streitkräfte und Einheiten im Nordkaukasus« war im September 1999 per Dekret von Russlands damaligem Präsidenten Boris Jelzin angeordnet worden. Faktisch war das der Beginn des zweiten Tschetschenien-Kriegs, mit dem die Republik, die sich 1991 von Moskau losgesagt hatte, von russischen Truppen wieder unter das Dach der Verfassung gezwungen wurde. Der militärische Teil der Operation wurde bereits 2001 für abgeschlossen erklärt, doch verblieb Tschetschenien unter besonderer Verwaltung des Inlandsgeheimdienstes FSB.

Tschetscheniens Präsident Ram-san Kadyrow hatte Moskau mehrfach gedrängt, die Notstandsregelungen aufzuheben, denn sie schränkten die ihm zugesagte Autonomie erheblich ein. Kadyrow störte vor allem, dass der Flughafen der Hauptstadt Grosny für internationale Flüge gesperrt war. Daher gab es dort auch keine Zollstation, deren Einkünfte für die Chefs anderer Regionen eine zusätzliche Einnahmequelle sind. Um Moskau zu mehr Tempo bei der Abschaffung eines Zustands zu drängen, den er als persönliche Diskriminierung empfand, erklärte Kadyrow schon im März, das »Zentrum« werde die Ausnahmeregelungen am 31. März aufheben.

Damit brachte er Präsident Dmitri Medwedjew in Schwierigkeiten. Der nämlich bat das Anti-Terror-Komitee, das dem FSB untersteht, Kadyrows Vorschlag zu prüfen. Er handelte sich jedoch – in der jüngeren russischen Geschichte einmalig – eine mehr oder minder höflich formulierte Absage ein: Die Situation, so FSB-Chef Alexander Bortnikow, sei dafür noch nicht reif, gegenwärtig seien lediglich Lockerungen möglich.

Es war vor allem wohl ein spektakulärer Mord, der den Geheimdienst bewog, die Aufhebung des Ausnahmezustands um zwei Wochen zu verzögern. Im Emirat Dubai war Sulim Jamadajew erschossen worden. Dieser hatte ein aus Tschetschenen bestehendes Bataillon befehligt, das schon auf Seiten Moskaus kämpfte, als die Kadyrows noch auf Seiten der Separatisten standen. Nach dem Frontenwechsel Ahmed Kadyrows – Vater und Amtsvorgänger Ramsans – entbrannte zwischen den Clans ein Kampf um Macht und Pfründe. Moskau ließ Jamadajew und dessen Brüder fallen und überließ damit Kadyrow und seinen Racheplänen das Feld.

Eben dieser Mord, so offenbar das Kalkül der FSB-Führung, stehe der offiziellen Version entgegen, wonach Tschetschenien zur Normalität zurückgefunden hat. Ganz falsch ist diese Version indes nicht: Der bewaffnete Widerstand tendiert gegen null, in den Bergen sind nach Aussagen Kadyrows höchstens noch 100 Kämpfer aktiv. Moskau hat viel Geld in den Wiederaufbau der Republik gepumpt. In Grosny, so der Kaukasus-Experte Iwan Suchow, fühle er sich nach Einbruch der Dunkelheit heute viel sicherer als anderswo im Nordkaukasus. Der seit Jahrhunderten schwelende Konflikt der Kaukasier mit dem Zentrum hat sich nämlich in die Nachbarregionen verlagert. Auch weil die von Moskau eingesetzten Provinzfürsten von der Bevölkerung nur unzureichend oder gar nicht unterstützt werden. Kenner plädieren daher dafür, die Chefs der Regionen wieder direkt wählen zu lassen. Andernfalls wäre längerfristig der Bestand der Russischen Föderation in ihren gegenwärtigen Grenzen gefährdet.

* Aus: Neues Deutschland, 17. April 2009

Terror vorbei

Von Detlef D. Pries **

»Kein Krieg in Tschetschenien seit drei Jahren. Ist schon vorbei.« Es war im Dezember 2004, als Wladimir Putin, damals noch russischer Präsident, mit diesen Worten deutsche Demonstranten abfertigte, die ihn mit der Forderung »Stoppt den Krieg in Tschetschenien!« konfrontiert hatten. Aber es vergingen noch knapp viereinhalb Jahre, bis Russland das »Regime der Anti-Terror-Operation« in Tschetschenien aufhob. Durch diesen Beschluss sollten »die Bedingungen für die weitere Normalisierung der Lage« gesichert werden, heißt es in der offiziellen Mitteilung. Was ja wohl bedeutet, dass von Normalität noch nicht die Rede sein kann.

In Tschetschenien mag es inzwischen sogar ruhiger sein als etwa in Inguschetien oder Dagestan. Das zerschossene Grosny ist nahezu wieder aufgebaut, die Zahl der Untergrundkämpfer schwindet, der großen Mehrheit der Tschetschenen ist der Wunsch nach Unabhängigkeit unter den gleichermaßen brutalen Schlägen von Terror und Gegenterror vorerst vergangen. Ihre Sehnsucht heißt Leben in Frieden und bezahlter Arbeit. Dennoch wird auch die Republik am Terek immer wieder von Anschlägen und Morden heimgesucht. Derart »normaler« Terror soll indes künftig die Sorge Ramsan Kadyrows sein, der sein Reich mit eiserner Hand regiert. Offenbar zur Zufriedenheit des »Zentrums« in Moskau, dem der Unterhalt einer vieltausendköpfigen Sondertruppe in Tschetschenien überdies einfach zu teuer geworden ist.

** Aus: Neues Deutschland, 17. April 2009 (Kommentar)


Anti-Terror-Kampf in Tschetschenien geht auch nach offiziellem Kriegsende weiter ***

Der Anti-Terror-Kampf in Tschetschenien geht auch nach dem offiziellen Kriegsende in der einstigen Unruherepublik weiter.

"Anti-Terror-Operationen werden aber auf konkreten Territorien nur anhand glaubwürdiger Informationen über verschanzte Extremisten und Terroristen durchgeführt", sagte Russlands Vize-Innenminister Arkadi Jedelew am Donnerstag (16. April) dem Kanal Westi des russischen Fernsehens.

Der Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB und Chef des Nationalen Anti-Terror-Komitees, Alexander Bortnikow, hatte am Donnerstag im Auftrag von Präsident Dmitri Medwedew den Befehl außer Kraft gesetzt, mit dem das Territorium der Teilrepublik Tschetschenien zu einer Anti-Terror-Zone erklärt worden war. Der Ukas zur Aufstellung der Vereinigten Gruppierung der Streitkräfte im Nordkaukasus und zur Vorbereitung einer Anti-Terror-Operation auf dem tschetschenischen Territorium wurde am 23. September 1999 vom damaligen Präsidenten Boris Jelzin erlassen.

Jedelew bestätigte, dass mit der Aufhebung des Anti-Terror-Regimes in Tschetschenien auch die bislang gültigen Einschränkungen für Journalisten abgeschafft wurden. "Ausländische Journalisten werden keine Sonderakkreditierungen mehr brauchen, um nach Tschetschenien zu reisen", sagte der Minister.

*** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 16. April 2009




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