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Drohgebärden an der Grenze zu Irak

Berichte über türkischen Truppenaufmarsch / Generalstabschef will hart gegen PKK vorgehen

Von Jan Keetman, Istanbul *

AP verbreitete die Nachricht, Tausende türkische Soldaten hätten die Grenze zu Irak überschritten. Unverzüglich kamen jedoch Dementis.

Am selben Tag, an dem der Einmarsch angeblich stattfand, hatte sich Ankaras UN-Vertreter vergeblich darum bemüht, einen Termin bei Generalsekretär Ban Ki Moon zu bekommen, um mit ihm über die Bedrohung der Türkei durch die in Nordirak stationierte PKK zu sprechen. Ebenfalls am Mittwoch (7. Juni) wurden sieben türkische Soldaten beigesetzt, die bei einem Überfall auf einen Militärposten gestorben waren. Offenbar fand da jemand, es sei an der Zeit, die Weltöffentlichkeit wachzurütteln.

Indes stellt sich die Frage, ob die Türkei in dieser Angelegenheit derzeit überhaupt handlungsfähig ist. Auf einer Pressekonferenz hatte im April Generalstabschef Yasar Büyükanit gesagt, ein Militärschlag gegen Stützpunkte der PKK in Nordirak sei notwendig und er glaube, dass er erfolgreich sein werde. Dazu brauche es aber eine Entscheidung des Parlamentes, und es fehle der politische Wille. Damit war der Schwarze Peter zunächst bei der Regierung Erdogan. Doch der erklärte, wenn das Militär eine Vollmacht brauche, werde es sie erhalten. Büyükanit möge einen schriftlichen Antrag stellen. Dieser aber weigert sich, zu Papier und Feder zu greifen.

Die kommunikativen Luftlöcher zwischen Regierung und Militär sind nur vor dem Hintergrund des Streites über die Besetzung des Präsidentenamtes zu verstehen. Zudem ist das Parlament in den Ferien oder vielmehr im Wahlkampf. Um ein Mandat für einen Einmarsch zu bekommen, müsste man die Abgeordneten zurückholen, was nicht ohne Risiko ist, denn die Parteiführer haben bei der Kandidatenaufstellung das übliche Massaker unter den zu wenig angepassten Parlamentariern veranstaltet. Niemand weiß, wie Hunderte zurückgewiesene oder auf schlechte Listenplätze gesetzte Abgeordnete reagieren würden.

Außenpolitische Gründe sprechen ebenfalls gegen einen Einmarsch. Washington fürchtet, dass damit auch noch der Norden Iraks im Chaos versinkt, und ist deshalb strikt dagegen.

An der Grenze hat die türkische Armee angeblich 80 000 Soldaten und eine große Menge schwerer Waffen stehen. Dagegen werden die Kräfte der PKK in Irak auf 4000 Männer und Frauen geschätzt, und dies dürfte eher zu hoch gegriffen sein. Ein Spaziergang wird es trotzdem nicht. Die PKK hatte viele Jahre Zeit, ihre Stützpunkte mit unterirdischen Tunnelsystemen zu sichern. Sie verfügt mittlerweile über alle Raffinessen des modernen Guerillakrieges, insbesondere ferngezündete Bomben, die auch den Amerikanern das Leben in Irak schwer machen. Gegen eine Operation in Nordirak spricht auch die Erfahrung der 90er Jahre. Bei jedem Großeinsatz der türkischen Armee gelang es schließlich dem Gros der PKK, sich abzusetzen. Ist der erste Schlag aber erst einmal geführt, so stellt sich die Frage, wie es weitergehen könnte. Zieht sich die türkische Armee zurück, so wird sich die PKK in ihrem Rücken wohl erneut sammeln. Bleibt sie, so droht ihr ein nicht zu kalkulierender Guerillakrieg.

Auch werden Iraks Kurden fürchten, Ankara ginge es in Wirklichkeit nur um die Verhinderung des für Jahresende geplanten Referendums über die Zugehörigkeit der ölreichen Provinz Kirkuk zum autonomen kurdischen Gebiet. Sich da einzumischen, eventuell bis hin zur Errichtung einer protürkischen turkmenischen Verwaltung von Kirkuk, ist tatsächlich eine Versuchung. Andererseits könnte gerade dies die Fußangel sein, die die Türkei endgültig in den irakischen Sumpf zieht. Alles in allem spricht vieles dafür, dass die Drohgebärden gegen Irak einerseits zum innenpolitischen Schwarzer-Peter-Spiel gehören, andererseits Druck auf die USA erzeugen sollen, damit diese etwas gegen die PKK in Nordirak unternehmen.

Angesichts der Instabilität in Ankara und möglicher spektakulärer Aktionen der PKK könnte das an die Grenze gerollte Pulverfass aber auch bei einer Kurzschlussreaktion hochgehen.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juni 2007


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