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Neue Wege

Ankara blockiert Israels Teilnahme an NATO-Militärmanöver und forciert Kontakte zu Nachbarländern in der Region

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Das Militärmanöver »Anatolischer Adler« in der Türkei ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Ursprünglich war geplant, daß vom 10. bis 23. Oktober die Luftwaffen der Türkei, der USA, Italiens, weiterer NATO-Mitglieder und auch Israel ihre »Kampffähigkeit« erproben. Doch lud der türkische Gastgeber die israelische Airforce kurzfristig wieder aus, woraufhin Washington die Teilnahme seiner Kampfflieger absagte. Mittlerweile hat die Türkei mit Syrien, einem der Erzfeinde Israels, gemeinsame Manöver vereinbart. Bereits im Frühjahr hatten Soldaten beider Staaten gemeinsam geübt, nun werde man eine zweite Runde starten, sagte der syrische Verteidigungsminister Ali Habib am Mittwoch (14. Okt.) in Aleppo.

In der Region ist derzeit deutlich spürbar, daß die Türkei in ihren regionalen Beziehungen neue Wege eingeschlagen hat. Dafür ist sicherlich auch die europäische Hinhaltetaktik in Sachen EU-Beitritt verantwortlich. In Ankara erinnert man sich an die Zugehörigkeit zur muslimischen Welt und nutzt vor allem den Handel mit Lebensmitteln, Textilien und im Baubereich, um bis in den fernen Osten und in die Golfstaaten hinein Präsenz zu zeigen. Jüngstes Beispiel ist die Aufnahme der Beziehungen zu Armenien. Regelmäßige Treffen mit irakischen und iranischen Regierungsvertretern sind an der Tagesordnung.

Derzeit werden die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Syrien durch ein bilaterales Forum mit hochrangigen Delegationen in Aleppo weiter ausgebaut. Erstes Ergebnis ist, daß die Visumspflicht zwischen der Türkei und Syrien aufgehoben wurde. Zudem nimmt die Türkei neuerdings häufig die Rolle einer Mittlerin ein: zwischen dem Westen und dem Iran, zwischen der irakischen Regierung und den Kurden im Nordirak.

2008 fungierte Ankara zudem als Vermittler inoffizieller Gespräche zwischen Syrien und Israel – und scheiterte. Der Gaza-Krieg begann. Israel müsse endlich verstehen, wie frustriert und wütend man in Ankara über die unversöhnliche Haltung Tel Avivs gegenüber den Palästinensern ist, hieß es am Mittwoch im Editorial des Daily Star in Beirut. Der Weiterbau illegaler Siedlungen auf palästinensischem Boden sei nicht hinnehmbar. Warum sollten die Palästinenser mit Israel verhandeln, »wenn ihr zukünftiger Staat durch israelische Kolonien dezimiert wird?«, fragt die Zeitung.

Die Manöverausladung ist ein neuer Eckpunkt der neuen Wege der Türkei in der Region, schließlich sind Ankara und Tel Aviv seit Jahren durch Handels- und Militärabkommen verbunden. Auch im geheimdienstlichen Bereich wird eng zusammengearbeitet. Historisch betrachtet war die Türkei der erste islamisch geprägte Staat, der Israel 1949 anerkannte. Seit 1996 besteht das Militärabkommen: Tel Aviv liefert dem Vertragspartner Waffen, und dieser räumt im Gegenzug der israelischen Luftwaffe Überflugs- und Übungsrechte ein. So gelangten Tel Avivs Kampfjets im Februar 2008 über türkisches Territorium für ihren völkerrechtswidrigen Angriff in Nordsyrien. Dort bombardierten sie eine Baustelle, auf der Damaskus angeblich einen Atomreaktor errichtete.

Seit 2003 die islamisch orientierte AK-Partei in Ankara regiert, hat sich das israelisch-türkische Verhältnis deutlich abgekühlt. In Folge des Gaza-Kriegs im Winter 2008/2009 kam es zur öffentlichen Konfrontation: Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos im Januar 2009 verließ der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan empört das Podium, als man ihm eine Erwiderung auf Ausführungen des israelischen Präsidenten Shimon Peres zum Gaza-Krieg »aus formalen Gründen« verweigerte. Der ungewöhnlich deutliche Protest Erdogans gegen das israelische Massaker im Gazastreifen wurde in der muslimischen Welt und in der Türkei gefeiert.

Am Donnerstag (15. Okt.)nun bestellte Israel den türkischen Botschafter ein, um gegen eine türkische Fernsehserie über eine palästinensische Familie zu protestieren, in der israelische Soldaten – teilweise in Zeitlupe – gezeigt werden, die palästinensische Kinder erschießen. Die Sendung stifte zum »Haß gegen Israel an und habe nichts mit der Wirklichkeit zu tun«, sagte Außenminister Avigdor Lieberman.

* Aus: junge Welt, 16. Oktober 2009

Siehe auch:
Ankaras Manöver mit geteiltem Echo
Militärische Kooperation mit Israel belastet / Syrien fordert Rückgabe der Golan-Höhen (15. Oktober 2009)


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