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Uniformen für Israel

Business as usual: Trotz politischer Differenzen zwischen Ankara und Tel Aviv boomen die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder

Von Nick Brauns *

Ungeachtet neuer diplomatischer Spannungen vor dem Start der zweiten Hilfsflotte für die Bewohner des Gazastreifens boomt die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Israel. Die Tageszeitung Hürriyet Daily News schreibt in der vergangenen Woche gar von einer »goldenen Ära des Handels« beider Länder.

So ist die Türkei gegenwärtig Israels wichtigster Partner in der Region und der zweitwichtigste nach den USA. Bereits zwischen 2009 und 2010 wuchs das bilaterale Handelsvolumen um 25 Prozent. Im ersten Quartal 2011 stiegen Importe und Exporte weiter und erhöhten sich um 40 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. In Zahlen belief sich der Warenaustausch 2010 auf umgerechnet rund 3,4 Milliarden US-Dollar gegenüber 2,6 Milliarden im Vorjahr. Die türkischen Ausfuhren summierten sich dabei nach Angaben des staatlichen Statistikinstituts auf rund zwei Milliarden Dollar.

Angewachsen ist insbesondere der Export von Chemie- und Metallprodukten. Weiter verkaufte die Türkei nach Angaben der israelischen Handelskammer Automobilteile, Öl, Erzeugnisse der Elektrotechnik, Baumaterial und Textilprodukte. Ankara hat nicht nur mit verschiedenen arabischen Staaten, sondern auch mit Israel ein Freihandelsabkommen geschlossen.

Offiziell gibt es Spannungen zwischen beiden Regionalmächten. Aber während der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit Worten das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser scharf verurteilt, liefern Firmen seines Landes Ausrüstung für die israelischen Truppen. »Die Türkei kleidet die israelische Armee ein, insbesondere durch den Export von Armeestiefeln«, sagte ein Manager des führenden türkischen Ausrüstungsproduzenten YDS in Ankara der Hürriyet Daily News. Auch nach dem Angriff des israelischen Militärs auf die Free-Gaza-Flotte im vergangenen Jahr habe es keine Unterbrechung der Geschäfte gegeben.

Im Juni 2010 hatte die türkische Regierung noch die Unterbrechung aller bilateralen Rüstungs- und Militärbeziehungen mit Israel angekündigt, solange sich Tel Aviv nicht für die Toten auf dem von israelischen Spezialeinheiten gestürmten Handeslschiff »Mavi Marmara« entschuldigt. Doch die türkische Armee bezieht aus Israel auch weiterhin High-Tech-Waffensysteme wie Aufklärungsdrohnen, die gegen die PKK-Guerilla im Nord­irak zum Einsatz kommen.

Offenbar aus politischen Gründen verweigerte das israelische Außenministerium allerdings in den letzten Monaten rund 1000 türkischen Bauarbeitern eine Visaverlängerung. Deren Chef, der türkische Baulöwe und ehemalige Funktionär der faschistischen »Grauen Wölfe«, Ahmet Reyiz Yilmaz, fühlt sich dabei von der Erdogan-Regierung in Stich gelassen. Die »Yilmazlar-Gruppe« ist seit 17 Jahren im israelischen Baugeschäft tätig und hat Projekte wie das dortige Verteidigungsministerium im Gesamtwert von umgerechnet zwei Milliarden Dollar realisiert. Selbst bei voller Unterstützung der USA wäre die Zusammenarbeit mit Ankara »ein wesentliches Instrument, um eine Isolation Israels in der Region zu verhindern«, kommentierte Yilmaz. Von daher sei es für Israel von »von strategischem Interesse«, gute Beziehungen »mit der Türkei als Freund und Verbündetem zu unterhalten«, so der Bauunternehmer weiter.

Trotz der gegenwärtigen politischen Mißtöne zeigte sich der Präsident der Handelskammer von Tel Aviv und Zentralisrael, Uriel Lynn, zuversichtlich. Gegenüber Hürriyet Daily News betonte er, daß die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten weiterhin stärker würden. »Türken und Israelis befinden sich nicht in einem Kampf – der Handelsboom zwischen beiden Ländern beweist das.«

In der öffentlichen Meinung der Türkei wird das Szenario des »Business as usual« freilich nicht mehrheitlich unterstützt. So hatten sich in einer Erhebung des Zentrums für Strategische und Soziale Forschung »Metropoll« in Ankara 63 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, die Beziehungen zu Israel einzufrieren.

* Aus: junge Welt, 6. Juni 2011


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