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Erdogan spielt die kurdische Karte

Der türkische Premier traf sich mit regionalem irakischen Führer Massud Barsani

Von Jan Keetman *

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonnabend den Kurdenführer in Irak, Massud Barsani, erstmals im südosttürkischen Diyarbakir zu einem Gespräch empfangen.

Es war schon ein besonderer Augenblick, als der irakische Kurdenführer Massud Barsani in Diyarbakir auf offener Bühne eine Rede auf Kurdisch hielt und anschließend auf Türkisch rief: »Es lebe die Brüderlichkeit des türkischen und des kurdischen Volkes!« Vor zwanzig Jahren hatte die kurdische Abgeordnete Leyla Zana in umgekehrter Reihenfolge den Eid auf die türkische Verfassung auf Türkisch geleistet und dann diese Worte auf Kurdisch folgen lassen, ein paar Bänder mit den kurdischen Farben trug sie auch noch im Haar. Die Folge war, dass man ihr das Mikrofon abstellte, die Immunität entzog und sie zu 15 Jahren Gefängnis verurteilte. Die Zeiten haben sich geändert, nun reiste der Präsident der autonomen Region Kurdistan zu einem zweitägigen Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan über die Grenze nicht nach Ankara, sondern in die heimliche kurdische Hauptstadt Diyarbakir. Begleitet wurde Barsani von dem berühmten kurdischen Sänger Sivan Perwer, lange Zeit eine Persona non grata in der Türkei und beide sangen auf der Bühne ein Duett, natürlich auf Kurdisch.

Erdogan, selbst mit mehreren Ministern aus Ankara angereist, nahm es nicht übel. In Diyarbakir schüttelte er die Hände kurdischer Politiker, darunter auch Leyla Zana, gegen die noch immer einige Verfahren laufen. Erdogan versprach, dass die Kämpfer in den Bergen zurückkehren, da der Kurdenkrieg dauerhaft aufhören wird und auch die in den Gefängnissen »so Gott will« freikommen werden. Schließlich sprang er sogar über seinen Schatten und begrüßte Barsani als »Präsident der Regionalregierung Irakisch-Kurdistan«. Alleine das Wort Kurdistan zu gebrauchen, wenn auch in einem ganz speziellen Zusammenhang, erfordert aus türkischer Sicht enorme Überwindung. Derweil wehten die kurdischen Fahnen neben den türkischen friedlich auf den Straßen Diyarbakirs, als hätte es da nie ein Problem mit einigen Bändern im Haar von Leyla Zana gegeben.

Wer so etwas noch vor ein paar Jahren prophezeit hätte, wäre wohl als Träumer und Trunkenbold abgetan worden.

Bisher hat Erdogans AKP jedoch keinen Anlauf genommen, die türkische Verfassung im Sinne einer Lösung der Kurdenfrage zu ändern. Das wäre schwierig, aber mit den eigenen Stimmen und den Stimmen der Kurden in einem Referendum nicht unmöglich. Auch mit der oppositionellen CHP könnte man vielleicht darüber sprechen. Stattdessen wird vornehmlich mit dem gefangenen PKK-Führer Abdullah Öcalan gesprochen, Gleichzeitig werden Militärwachen im türkischen Kurdengebiet ausgebaut und hat die türkische Regierung bis vor Kurzem Al Qaida nahestehende Gruppen unterstützt, die in Syrien gegen den PKK-Ableger PYD kämpfen. Erst nachdem US-Präsident Barack Obama Erdogan am Telefon ins Gebet nahm, wurde die Unterstützung für die Islamisten wohl eingestellt. PYD ist mit Hilfe von aus der Türkei abgezogenen PKK-Kämpfern nun zunehmend erfolgreich.

Das gute Verhältnis zu Barsani hat vor allem ökonomische und außenpolitische Dimensionen. Die von Schiiten dominierte Regierung in Bagdad bestreitet den Kurden das Recht, über die Ölvorkommen in ihrem Gebiet so zu verfügen, als wären sie ein souveräner Staat. Die Türkei profitiert jedoch davon und außerdem haben sich Ankara und Bagdad völlig miteinander überworfen. Barsani profitiert von dem Streit zwischen Ankara und Bagdad, doch letztlich bleibt er der Gefangene der Verhältnisse. Es würde die Türkei einiges kosten, ihn fallen zu lassen, doch wenn es hart auf hart kommt, ist sein Staat ohne das Wohlwollen der Türkei verloren.

* Aus: neues deutschland, Montag, 18. November 2013


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