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Reise zu gefährlichen Patrioten

Eine "hohle Demonstration von Bündnissolidarität"

Von Roland Etzel *

Lautstärke und Stil, in denen Ankara und Berlin auch auf Regierungsebene miteinander verkehren, sind häufig etwas rustikaler, als man es vom Umgangston mit anderen Verbündeten gewohnt ist. Dies verweist auf den Konfliktstoff in den deutsch-türkischen Beziehungen. Beim Merkel-Besuch werden freilich die Harmoniefelder gepflegt.

Die Zeit, da Kanzlerreisen in die Türkei stets mit einem gewissen Entwicklungshilfe-Habitus untermalt waren, sind vorbei. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat aber nicht nur deshalb nichts mit dem »Kranken Mann vom Bosporus« gemein, weil er von Ankara aus regiert. Die Türkei protzt mit wirtschaftlichen Wachstumsraten, um die sie alle anderen Europäer beneiden, woraus ein beinahe überbordendes Selbstbewusstsein erwächst

Das reflektieren bereits politische Randnotizen dieser Tage. Wer hätte wohl zu Beginn des Jahrtausends, als die Türkei dem Staatsbankrott nahe war, für möglich gehalten, dass ein Dutzend Jahre später die Belegschaft einer bekannten deutschen Tageszeitung bangen Blickes Richtung Türkei schaute, ob von dort ein Retter naht? Aber es ist tatsächlich so: Der türkische Verleger Burak Akbay bemühte sich um den Kauf der insolventen »Frankfurter Rundschau« und hätte im Erfolgsfall neben seiner eigenen in Deutschland erscheinenden türkische Tageszeitung »Sözcü« sogar zwei Blätter auf dem hiesigen Markt. So können sich Vorzeichen ändern.

Erdogan und sein Gast Angela Merkel haben aber wohl Größeres im Blick, vor allem den militärischen Bereich. Die Kanzlerin kommt direkt vom Besuch der Bundeswehr-Raketentruppe in Kahramanmaras an der türkischen Grenze zu Syrien.

Bislang gilt die offizielle Sprachregelung, dass die von Deutschen, Niederländern und US-Soldaten unter deren Regie stationierten »Patriot«-Systeme dem »Schutz der Türkei vor Angriffen aus Syrien« dienen, wie es laut Bundestagsbeschluss heißt - was man nur als grotesk bezeichnen kann. Syrien war schon vor seinem Bürgerkrieg nicht in der Lage, die Türkei zu bedrohen, und ist es jetzt erst recht nicht.

Umgekehrt träfe das schon eher zu, da die Türkei den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad offiziell zum Regierungsziel erklärt hat. Den syrischen Rebellen an der 900 Kilometer langen gemeinsamen Grenze hält Ankara deshalb Nachschub- und Rückzugswege offen. Wenn syrische Truppen in Richtung Grenze flüchtende Rebellen verfolgten, haben sie dabei des öfteren im Wortsinne übers Ziel hinausgeschossen. Das muss die Türkei nicht hinnehmen. Was allerdings »Patriots« da bewirken sollen, ist militärisch nicht glaubwürdig zu begründen.

Es sei denn, man hat anderes im Sinn. Das begreift jedes Kind bei einem Blick auf die Karte, wird aber hierzulande dennoch ehrfürchtig beschwiegen. Klartext sprach allerdings US-Senator John McCain, der zu Monatsbeginn auf der Münchener Sicherheitskonferenz in kruder Hemdsärmeligkeit forderte, mit den »Patriots« in der Türkei die syrische Luftwaffe zu zerstören. Wozu seien sie sonst da? Zusätzlich könne man dort taktische Marschflugkörper (Cruise Missiles) stationieren, um startende syrische Kampfjets abzuschießen.

Doch die deutsche Politik, Rot und Grün eingeschlossen, weigerte sich, dies zur Kenntnis zu nehmen. Dem SPD-Mitglied im Verteidigungsausschuss Hans-Peter Bartels fiel zwar keine vernünftige Begründung für die Zustimmung seiner Fraktion zum Türkei-Abenteuer ein, aber, so erklärte er der Hallenser »Mitteldeutschen Zeitung«, es gehe eben kaum anders, wenn ein Bündnispartner um Hilfe bitte.

Einzig die LINKE ließ sich auf diese Blauäugigkeit nicht einschwören. Ihr verteidigungspolitischer Sprecher im Bundestag, Paul Schäfer, bezeichnete die Verlegung deutscher »Patriots« an die türkische Grenze zu Syrien als »hohle Demonstration von Bündnissolidarität«. Die Bundesregierung nehme in Kauf, dass Deutschland tiefer in den Konflikt hineingezogen werde. Die Reihe hohler Demonstrationen wird in diesen Tagen wohl Fortsetzung finden.

Die Konfliktfelder liegen anderswo. Die verbalen Ruppigkeiten gegeneinander konzentrierten sich in der vergangenen Woche auf die schier unendliche Geschichte des Annäherungs- (und Abstoßungs)-Prozesses zwischen EU und Türkei - siehe unterer Beitrag. Ein Feld ständiger Klage der türkischen Gemeinde in Deutschland ist zudem der von ihr ausgemachte Alltagsrassismus.

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. Februar 2013


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