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Rätselraten um Pariser Morde

AKP-Politiker warnt vor weiteren Verbrechen gegen Kurden auch in Deutschland

Von Nick Brauns *

Während weiterhin jede offizielle Stellungnahme der französischen Ermittlungsbehörden zur Ermordung von drei kurdischen Politikerinnen vor anderthalb Wochen in Paris fehlt, hat ein türkischer Regierungspolitiker vor weiteren derartigen Morden gewarnt. »Ich befürchte, daß ähnliche Vorfälle sich in den nächsten Tagen in Deutschland ereignen können«, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der islamisch-konservativen AK-Partei Mehmet Ali Sahin am Sonntag abend laut einem Bericht des Nachrichtensenders NTV. Der Abgeordnete ließ im unklaren, ob er Kenntnis von konkreten Anschlagsplanungen hat. Die Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Sakine Cansiz, die Diplomatin Fidan Dogan und die Jugendaktivistin Leyla Söylemez waren in der Nacht zum 10. Januar in den Räumen des Pariser Kurdistan-Informationsbüros von professionellen Killern regelrecht hingerichtet worden. Wenige Tage später wurde in Moskau der 76jährige kurdischstämmige Mafia-Pate Aslan Ussojan von einem Heckenschützen vor einem Luxusrestaurant erschossen. Der als Waffenhändler tätige »Opa Hassan« soll auch die PKK zu seinen Kunden gezählt haben.

Am Freitag hatte die französische Polizei zwei Tatverdächtige festgenommen, von denen einer am Montag wieder aus der Haft entlassen wurde. Bei einem der kurdischstämmigen Männer soll es sich um den Fahrer von Sakine Cansiz handeln. Türkischen Medienberichten zufolge geht der französische Geheimdienst von einem »Inside Job« der PKK aus. Dabei könnten »ausländische Mächte« Differenzen innerhalb der Organisation angeheizt und frustrierte PKK-Mitglieder als Attentäter benutzt haben, heißt es in der Hürriyet Daily News unter Berufung auf »Behörden«. »Es schaut aus, als habe die PKK diesen Schlag selber ausgeführt«, zitiert die Zeitung Sundays Zaman in diesem Zusammenhang einen anonym bleibenden Geheimdienstler, der fortfährt: »Aber der Anschlag wurde von einem Nachrichtendienst eines unbekannten Landes in Auftrag gegeben.«

Die Föderation kurdischer Vereine in Frankreich FEYKA kritisierte unterdessen die Einseitigkeit der im Schatten politscher Kooperation zwischen Paris und Ankara geführten Ermittlungen, bei denen eine Täterschaft des türkischen Geheimdienstes ausgeschlossen wurde. Unterdessen wies die Vorsitzende der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP), Gültan Kisanak, auch auf Iran hin. »Ich setzte Iran auf die Liste der Verdächtigen, ein Land, das solche politischen Morde gegen Kurden in Europa und kurdische politische Akteure bereits mehrfach begangen hat«, erklärte die Abgeordnete des türkischen Parlaments gegenüber Hürriyet Daily News in Anspielung auf die Ermordung des Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistans-Iran Abdul Rahman Ghassemlou 1989 in Wien sowie von vier weiteren kurdische Politikern im Berliner Restaurant Mykonos 1992 durch den iranischen Geheimdienst. Ein Ableger der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan PJAK, kämpft im Iran für Autonomierechte.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 22. Januar 2013


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