Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streit um Öcalans Hemd

Vor 20 Jahren wurde die kurdische PKK in Deutschland verboten

Von Vor 20 Jahren wurde die kurdische PKK in Deutschland verboten

Von Velten Schäfer *

Wie viele Bilder von PKK-Chef Abdullah Öcalan sind auf einer Kundgebung legal? Bis heute verfolgen Sicherheitsbehörden kurdische Aktivisten mit großem Elan. Am Samstag wird dagegen demonstriert.

Was heute zum Kurdenthema im türkischsprachigen Boulevardgiganten »Hürriyet« stehen dürfte, wurde auf der gestrigen Pressekonferenz zum 20-jährigen Jubiläum des deutschlandweiten Verbotes der kurdischen PKK schnell klar: Was man denn über Unterdrückung jammere? Schließlich dürfe man eine Demo veranstalten und dazu noch eine Pressekonferenz! Derlei ließ zumindest die Frage des Kollegen von der »Hürriyet« vermuten.

Freundlich ist das nicht – doch hat das Verhältnis von Türken und Kurden in Deutschland schon schlechtere Tage gesehen. Vor 20 Jahren zum Beispiel war der Tonfall weit dramatischer. Damals kündigte Ankara unter Ministerpräsidentin Tansu Ciller noch öffentlich an, die PKK »auslöschen« zu wollen, wobei die Regierung von Helmut Kohl durch das Verbot der Exilabteilung half. Kurden liefen zu Zigtausenden Sturm, in deutschen Städten prügelten sich kurdisch- und türkischstämmige Jugendliche, später kam es zu Selbstverbrennungen. »Hürriyet« aber machte zynisch mit »Danke schön, Herr Kohl« auf.

Inzwischen habe sich das Verhältnis gewissermaßen umgekehrt, meint Elmar Millich vom Bündnis »Tatort Kurdistan«, das heute 15 000 Teilnehmer zu einem Protestmarsch am Berliner Alexanderplatz erwartet: Während die türkische Regierung inzwischen mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan verhandle, halte Berlin an einer überholten Dämonisierung fest.

Bis heute, klagt Millich, befassten sich deutsche Gerichte etwa mit so absurden Fragen wie der, wie viele Porträts des PKK-Chefs auf Demonstrationen nun mitgeführt werden dürften oder »welche Farbe das Hemd von Öcalan auf mitgeführten Plakaten oder T-Shirt haben darf und welche der Bildhintergrund«. Sind es nämlich die falschen Farben, könnten Plakate oder Demo-T-Shirts in ihrer Gesamtanmutung an die verbotene PKK-Fahne erinnern, was nach herrschender Gesetzeslage wiederum einen Grund für polizeiliche Zugriffe darstellt.

Gerade bei der Bekleidungskontrolle legt die Polizei einen abwegigen Eifer an den Tag. Auf einer Berliner Kundgebung im Jahre 2011 etwa trug der Moderator ein traditionelles Gewand – das die Polizei als »Guerillauniform« identifizierte. Anschließend wurde seine Wohnung gestürmt, um die Beweistextilie zu sichern.

Wenn es nach der türkischen Parlamentsabgeordneten Gültan Kisinak ginge, hätte derlei bald ein Ende. Die Journalistin, die u. a. für eine Kampagne gegen das Verbot des öffentlichen Gebrauchs als kurdisch identifizierter Buchstaben bekannt wurde, war als Kovorsitzende der Partei BDP nach Berlin gereist. Die Bewegung habe sich verändert, das Verbot sei anachronistisch. Wenn Europa Frieden wolle, müsse es die Kurdenorganisationen von der »Terrorliste« streichen – und, wie Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft / Vereinigte Kriegsgegner (DFG/VK) fordert, den Verkauf von Waffen in die Türkei aussetzen.

Wie ernst dagegen die Bundesregierung die Verfolgung der links-nationalen Bewegung weiterhin nimmt, zeigt die offizielle Einschätzung des Innenministeriums: »Nach eigenem Bekunden« setze die PKK zwar auf eine »friedliche Lösung«, heißt es da aktuell. Doch verfolge sie »eine Doppelstrategie der bewaffneten Auseinandersetzung im türkisch-irakischen Grenzgebiet sowie ein weitgehend friedliches, wenn auch in letzter Zeit in wachsendem Maße mit Militanz unterlegtes Vorgehen in Europa«. Die Sicherheitsbehörden sehen »seit geraumer Zeit eine zunehmende Zahl gewalttätig verlaufender Demonstrationen, Brandanschläge und Besetzungsaktionen im Kontext mit Aktivitäten der PKK« – genauer geht es offenbar leider nicht.

Bis heute geben die PKK und sogenannte Nachfolgeorganisationen das Paradebeispiel für den sogenannten Ausländerextremismus ab; bis heute werden die Verfahren gegen Verdächtigte nach dem Paragrafen 129 geführt, der sich gegen »terroristische« und »kriminelle« Organisationen richtet. Bei solchen Verfahren, daran erinnert Demoanmelder Millich, müssen Beschuldigten keine individuellen Taten vorgeworfen werden; es könnten »alle angeblichen Straftaten der betroffenen Organisation dem oder der Einzelnen zur Last gelegt werden«.

Laut Innenministerium habe sich »innerhalb des Funktionärskörpers der PKK« 1993 eine »terroristische Vereinigung« gebildet, die in Deutschland »bis August 1996« für Gewalt (gegen Sachen) verantwortlich gewesen sei. Seither gelten die Kurdengruppen als »kriminell«.

Die insgesamt 40 Millionen Kurden haben das historische Unglück der falschen Unterdrücker. Stünden sie nicht gegen die NATO-Regionalmacht Türkei, gälten sie hierzulande womöglich als Opfer – und hätten, wie etwa die nicht einmal zwei Millionen Kosovo-Albaner, längst einen eigenen Staat. Dass die Dämonisierung in Deutschland so tief sitzt, hat freilich auch zeithistorische Gründe. In der rassistischen Grundstimmung der frühen 1990er Jahre übernahmen die »Asylanten« die Rolle der »Schmarotzer«, und »die Kurden« wurden als eine innere Gefahr gehandelt, die Deutschland ganz direkt bedrohe.

Offenbar hatte die Dämonisierung Erfolg: Während 1993 noch der Grünen-Bundesvorstand erklärte, das PKK-Verbot sei ein »Ablenkungsmanöver von der direkten deutschen Verantwortung und Beteiligung an der Kriegsführung der Türkei«, rufen heute nur noch vereinzelte grüne Jugendgruppen zu der Demonstration auf. Im Bundestag kritisiert die Linkspartei die Verbotspraxis.

Etwas anders sieht es inzwischen bei manchen deutschen Gerichten aus. In mehreren Fällen wurden in den vergangenen Jahren Auslieferungsersuchen der Türkei gegen inhaftierte Kurdenaktivisten zurückgewiesen. Man hatte es nicht für gewährleistet gehalten, dass die dortigen Verfahren fair sein würden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 16. November 2013


Erdogans Spekulationen gingen fehl

Die PKK und ihr Führer Öcalan können von der Zentralregierung in Ankara weniger denn je ignoriert werden

Von Roland Etzel **


Die türkische Regierung in Ankara hatte ein Vorgehen Deutschlands und der EU gegen die PKK und hoffte damit auf deren politisches Aus. Davon kann heute keine Rede sein, im Gegenteil.

Nach dem Verbot der PKK in Westeuropa 1993 gingen der kurdischen Bewegung für Selbstbestimmung auch in ihrer Region entscheidende politische Aktionsfelder verloren. Das nordostsyrische Grenzgebiet zur Türkei, in dem ebenfalls eine kurdische Minderheit existiert, war bis dahin von der PKK als militärischer Rückzugsraum, Trainingslager und nicht zuletzt Exilsitz für ihren Führer, Abdullah Öcalan, genutzt worden.

Nun aber drohte Ankara Damaskus militärische Schläge und eine erheblich größere Ableitung von Euphrat-Wasser als bisher an, womit Nordsyrien auf dem Trockenen gesessen hätte. Syrien gab nach und kündigte der PKK die Bleibe. Für Öcalan begann eine Odyssee, die mit seinem Kidnapping durch Agenten des türkischen Geheimdienstes in Kenia und seiner Entführung Anfang 1999 in die Türkei endete.

Doch die Spekulationen der türkischen Regierung auf ein damit verbundenes schnelles Ende der PKK gingen nicht auf. Nicht nur dass auf Druck Westeuropas das gegen Öcalan verhängte Todesurteil widerwillig in ein »lebenslänglich« umgewandelt werden musste; inzwischen sind Öcalan und damit die verfemte PKK Dialogpartner der türkischen Regierung – erst unter strengster Verschwiegenheit, inzwischen offen eingeräumt, wenn auch nicht offiziell.

Im Frühjahr machte Öcalan von der Gefängnisinsel Imrali aus das bisher weitestgehende Friedensangebot der PKK an den türkischen Staat. Es sah gegen die Gewährung substantieller Autonomierechte für die Kurden in den türkischen Südostprovinzen eine vollständige Einstellung des bewaffnete Kampfes sowie den Abzug der PKK-Bewaffneten in den kurdischen Teil Nordiraks vor.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan allerdings reagierte darauf seltsam tonlos: keine Begrüßung, keine Zurückweisung, allenfalls die informelle Mitteilung, dass man zur Kenntnis nehme und prüfe. Das alles liegt jetzt mehr als sieben Monate zurück. Einige Einheiten der PKK sind bereits in Irak, doch fragt man sich in deren Führung nun, ob man damit fortfahren solle, da es doch kein positives Echo aus Ankara darauf gebe.

Gültan Kisanak, kurdisch-türkische Parlamentsabgeordnete der Partei für Frieden und Demokratie, sieht den Friedensprozess als festgefahren an. Gegenüber dem Wiener »Standard« erklärte sie diese Woche, es sei zwar begrüßenswert, dass es regelmäßige Gespräche zwischen Regierungsvertretern und Öcalan gebe, dennoch stehe man vor einer Blockade, die auch das jüngst von der Regierung beschlossene »Demokratiepaket«, nicht lösen könne.

Dieses erlaubt endlich die bis dato verbotene Verwendung kurdischer Schrift und die Erteilung von Kurdischunterricht an Privatschulen. Kisanak sieht darin keine Gegenleistung des Staates, sondern die Einsicht in Dinge, die als selbstverständlich gelten sollten. Bei Grundrechten gebe es weiterhin viele Defizite. Im Kampf um deren Beseitigung hofft sie nicht zuletzt auf jene EU-Länder, in denen kurdisch-türkische Immigranten leben wie Deutschland oder Österreich. Eine Normalisierung des Verhältnisses der EU zur PKK gehört auf jeden Fall zu diesen Erwartungen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 16. November 2013


Zurück zur Türkei-Seite

Zurück zur Homepage