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Verhandlungen mit der PKK

Türkischer Ministerpräsident deutet Bereitschaft zu Gesprächen mit Abdullah Öcalan an

Von Nick Brauns *

Angesichts der schwersten Kämpfe zwischen der türkischen Armee und kurdischen Rebellen seit den 1990er Jahren schließt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Gespräche mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nicht mehr aus. »Bezüglich Imrali könnte es mehr Gespräche geben«, erklärte Erdogan am Mittwoch gegenüber dem Sender Kanal 7 kurz vor dem Parteitag seiner regierenden islamisch-konservativen Regierungspartei AKP am kommenden Wochenende.

Imrali ist ein Synonym für den auf dieser Gefängnisinsel seit seiner Verschleppung 1999 inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan. »Es gibt eine militärische Dimension, eine Sicherheitsdimension, die wir getrennt betrachten müssen«, erklärt Erdogan zum kurdischen Konflikt. »Aber abgesehen davon gibt es auch eine diplomatische, eine sozio-ökonomische und eine psychologische Dimension.« Die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) hatte zuvor die türkische Regierung dazu aufgerufen, die vor zwei Jahren von Geheimdienstvertretern begonnenen Verhandlungen mit hochrangigen PKK-Vertretern in Oslo wieder aufzunehmen. Wie ein vergangene Woche von der oppositionellen kemalistischen CHP veröffentlichtes Protokoll der Oslo-Verhandlungen beweist, waren die in Erdogans Auftrag handelnden Geheimdienstvertreter bereit, der kurdischen Seite weitreichende Autonomierechte im Gegenzug zu einer Einstellung des bewaffneten Kampfes zu einzuräumen. In dem gemeinsamen Protokoll war ein Ende der militärischen wie der Guerillaoperationen und eine Fortsetzung der Gespräche nach den Parlamentswahlen im Juni 2011 vereinbart worden. Doch auf Druck von nationalistischen Hardlinern wie der im Staatsapparat einflußreichen Fethullah-Gülen-Gemeinde waren die Gespräche dann von türkischer Seite abgebrochen worden. Gegen Geheimdienstchef Hakan Fidan wurde im Frühjahr 2012 sogar ein Ermittlungsverfahren wegen PKK-Unterstützung eingeleitet. »Unser Volk ist bereit für Frieden, so wie wir an die Notwendigkeit eines Dialoges zur Lösung der kurdischen Frage glauben«, erklärte unterdessen PKK-Vertreter Zübeyir Aydar, der an den Gesprächen in Oslo teilgenommen hatte, gegenüber dem türkischen BBC-Programm die Bereitschaft zu einer neuen Verhandlungsrunde.

Seit Juli letzten Jahres ist jeder Kontakt zu dem von Millionen Kurden als Schlüsselfigur für einen Friedensprozeß betrachtete Abdullah Öcalan abgebrochen. Weder seine Anwälte noch Familienmitglieder dürfen die Insel betreten. Kurdische politische Gefangene in 13 Gefängnissen befinden sich seit dem 12. September in einem Hungerstreik um für ein Ende der Isolation Öcalans zu protestieren. »Öcalans Freiheit wird einen Durchbruch für die Demokratisierung der Türkei und einen Friedensprozeß in Kurdistan darstellen«, heißt es in einer Unterschriftenkampagne, zu deren Erstunterzeichnern auch der früher südafrikanische Staatschef Nelson Mandela und irische Politiker und frühere IRA-Kommandant Gerry Adams gehören

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. September 2012


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