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Öcalan als Schlüssel

Türkei: Hungerstreik für die Freilassung des inhaftierten PKK-Vorsitzenden

Von Nick Brauns *

Tausende politische Gefangene aus der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sind am Montag in der Türkei einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Sie schlossen sich einem seit über einem Monat andauernden Hungerstreik von mehreren hundert PKK-Gefangenen an, von denen viele bereits einen kritischen Gesundheitszustand erreicht haben. Zentrale Forderung ist die Freilassung des seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan als Repräsentant der kurdischen Seite für einen Dialog mit dem Staat. »Jeden Tag ist unser Volk der Gewalt der Polizisten und Soldaten ausgesetzt. Wir können dieser Folter nur unsere Körper entgegensetzen«, heißt es in der Erklärung der Gefangenen, die »alle demokratischen und revolutionären Kräfte« zu Solidaritätskundgebungen vor den Gefängnissen aufrufen. Der Sprecher der Gefangenen Deniz Kaya beklagte, daß die Hungerstreikenden Folter und Mißhandlungen durch die Militärpolizei ausgesetzt seien und in Einzelhaft verlegt würden.

»Öcalan ist der Schlüssel zu einer Lösung«, erklärte auch die Ko-Vorsitzende der im Parlament vertretenen linken prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Gültan Kisanak auf dem am Sonntag abend zu Ende gegangenen Sonderparteitag in Ankara. Hatten bei früheren BDP-Parteitagen lediglich Vermummte aus dem Publikum Öcalan-Bilder hochgehalten, so hing erstmals in der Geschichte einer legalen Partei in der Türkei zwischen den laut Parteiengesetz obligatorischen türkischen Fahnen ein großes Bild des kurdischen Politikers an der Wand der Kongreßhalle. Die Staatsanwaltschaft hat deswegen am Montag ein Ermittlungsverfahren wegen Propaganda für eine terroristische Vereinigung eingeleitet.

Die BDP trat auf ihrem Parteitag für eine Neugliederung der Türkei in 15 bis 20 autonomen Regionen mit eigenen Landesparlamenten sowie muttersprachlichem Unterricht für alle Volksgruppen ein. Der außerordentliche Parteitag, auf dem die Parteiführung neu gewählt wurde, war notwendig geworden, da sich mittlerweile fast die Hälfte des 80köpfigen Parteivorstandes unter Terrorismusvorwürfen in Untersuchungshaft befindet.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 16. Oktober 2012

Dokumentiert:

Bundestagsabgeordnete und MenschenrechtlerInnen unterstützen Forderungen von Hungerstreikenden in der Türkei

Mehrere Tausend politische Gefangene, meist aus den Reihen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), haben am letzten Montag in der Türkei einen unbefristeten Hungerstreik begonnen. Bereits seit über einem Monat führen mehrere hundert Inhaftierte einen Hungersterik durch, von denen sich mittlerweile viele in einem kritischen Gesundheitszustand befinden. Ab dem vierzigsten Tag eines Hungerstreiks treten häufig schwere Gesundheitsschäden bis zum Tod auf. In der Türkei wird zudem davon berichtet, dass die Hungerstreikenden verschärfter Isolation und ständigen Mißhandlungen sowie Folter durch die Gefängniswärter ausgesetzt sind.

Die Hauptforderung der Streikenden ist die Freilassung des seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten Abdullah Öcalan. Dadurch solle ein Dialog mit dem türkischen Staat ermöglicht werden, da Öcalan als Repräsentant der kurdischen Bevölkerung anerkannt ist und entscheidende Impulse für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage geben kann.

Bereits Anfang des Jahres hatten tausende politische Gefangene aus dem gleichen Grund einen 50 tägigen Hungerstreik in türkischen Gefängnissen durchgeführt. Dieser wurde mit einem ebenfalls 5o tägigen Hungerstreik kurdischer Intellektueller und ExilpolitikerInnen in Strasbourg (u.a. vor dem Europarat), mit der Forderung unterstützt, die EU solle politischen Druck auf die Türkei ausüben die Menschenrechte einzuhalten und einen Friedensdialog zu ermöglichen. Diesebzügliche Zusagen verantwortlicher PolitikerInnen der Europäischen Kommission und des Europaparlaments wurden bis heute nicht umgesetzt. Abdullah Öcalan befindet sich seit mehr als 400 Tagen in absoluter Isolation, die türkische Regierung hat den Konflikt mit der kurdischen Bevölkerung erneut juristisch, polizeistaatlich und militärisch zugespitzt. 2011 wurden 1555 Fälle von Folter angezeigt, fast täglich finden Militäroperationen statt, immer wieder wird von Kriegsverbrechen durch die Armee berichtet.

In türkischen Gefängnissen gibt es nur eine mangelhafte medizinische Versorgung. Gefangene müssen sich zudem oftmals im Beisein von Wärtern und Soldaten untersuchen lassen. Es wird systematisch gefoltert, viele Wärter werden u.a. gemäß der „Panama Schule“, einer Schulungsmethode von Folotermehtoden, ausgebildet. Auch dagegen richten sich die Gefangenen mit ihrem Hungerstreik. Familien die vor dem Gefängnis in der kurdischen Metropole Diyarbakir (kurd. Amed) den Hungerstreik mit einer Solidaritätskundgebung unterstützen wollten, wurden von der Polizei angegriffen. Auch in weiteren Städten ging die Polizei, Berichten zufolge, mit Gewalt gegen friedliche Kundgebungen vor.

Wir unterstützen die Forderungen der hungerstreikenden politischen Gefangenen in der Türkei. Eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ist nur möglich, wenn alle beteiligten Akteure in einen Dialog treten. Dazu sind die Freilassung Abdullah Öcalans und die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei Grundvoraussetzungen.

Die Bundesregierung sollte den notwendigen politischen Druck auf die türkische Regierung entfalten, anstatt die Politik der juristischen und militärischen Gewalt gegen die kurdische Bevölkerung und Bewegung zu unterstützen und Zusagen bezüglich neuer „militärischer Abenteuer“ in Syrien zu machen, die die gesamte Region destabilisieren könnten.

In der Bundesrepublik sind dazu u.a. die Anerkennung der kurdischen MigrantInnen als gleichberechtigte MigrantInnengruppe, die Anerkennung und Förderung von muttersprachlichem Unterricht in allen Bundesländern, die Aufhebung des PKK Verbots, die Beendigung der § 129 b Verfahren gegen kurdische PolitikerInnen sowie der sofortige Stop sämtlicher Rüstungsexporte in die Türkei nötig.

  • Heidrun Dittrich, Mitglied des Bundestags (MdB), Die Linke
  • Ulla Jelpke, MdB, Die Linke
  • Harald Weinberg, MdB, Die Linke
  • Cansu Özdemir, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, Die Linke
  • Marion Padua, Stadträtin Nürnberg, Linke Liste
  • Yilmaz Kaba, Landesvorstand, Die Linke Niedersachsen
  • Hamide Akbayir, Die Linke
  • Michael Knapp, Historiker
  • Martin Dolzer, Soziologe
  • Dr. Peter Strutynski, Bundesausschuss Friedensratschlag
18.10.2012




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