Gericht verbietet kurdische Zeitung
Pressefreiheit in der Türkei eingeschränkt
Von Martin Dolzer, Istanbul *
Die auflagenstärkste kurdische Oppositionszeitung »Günlük« (Täglich) ist
jetzt vom Gericht in Istanbul für zwei Monate verboten worden. Auslöser
waren zwei Artikel.
Am Mittwoch vergangener Woche verbot die 12. Kammer des Schwurgerichts
von Istanbul die der kurdischen Oppositionspartei DTP nahestehende
Zeitung »Günlük« für zwei Monate. Die beanstandeten Artikel waren am 1.
und 2. Juni erschienen. Sie enthielten nach Auffassung des Gerichts
»Propaganda für eine illegale Organisation«. Gemeint war die verbotene
Kurdische Arbeiterpartei (PKK).
In der Türkei haben Journalisten, die einer unabhängigen Pressetradition
nachgehen, nach wie vor ein schweres Leben. Seit 2006 wurden 27
Tageszeitungen, überwiegend solche der linken und kurdischen Opposition,
61 Mal, meist vorübergehend, geschlossen. Auch die lange Zeit einzige
kurdischsprachige Zeitung -- »Azadiya Welat« -- wurde bereits vier Mal
zeitweilig und schließlich endgültig verboten. Die ebenfalls
kurdischsprachige Nachfolgezeitung »Rojew« musste ihr Erscheinen Ende
April dieses Jahres gänzlich einstellen.
Mittlerweile kam es zu mehreren Protestkundgebungen gegen die Schließung
der »Günlük«. In Izmir protestierten Mitglieder des
Menschenrechtsvereins IHD, der DTP, des Kulturzentrums MKM, der
sozialistischen Parteien SDP, EMEP, ÖDP und ESP sowie die Initiative der
Friedensmütter. »Gerade in einer Zeit, in der eine Diskussion über die
Lösung der kurdischen Frage auf der Tagesordnung steht, ist so eine
Schließung nicht akzeptabel«, meinten die Beteiligten. Auch
Wissenschaftler und der türkische Friedensrat kritisierten, dass
momentan zwar die kurdische Frage in den Medien und in der
Regierungspartei AKP diskutiert werde, die gewählten kurdischen
Vertreter und die Presseorgane der kurdischen Bevölkerung jedoch
ausgegrenzt und kriminalisiert würden. Die Zensurpraxis der Regierung
müsse beendet werden, um eine Atmosphäre der Entspannung zu schaffen,
hieß es. Darüber hinaus müssten der Waffenstillstand der PKK unbegrenzt
fortgesetzt und die in den letzten Wochen intensivierten
Militäroperationen sofort beendet werden.
Das jüngste Verbot der »Günlük« steht in einer langen, schlechten
Tradition der Einschränkung freier Meinungsäußerung. Seit den 90er
Jahren wurden über 40 Redaktionen endgültig geschlossen und hohe Haft-
oder Geldstrafen gegen verantwortliche Redakteure und Angestellte
verhängt. Zudem fielen mehr als 40 Journalisten politisch motivierten
Morden zum Opfer. In den letzten Wochen kam es darüber hinaus vermehrt
zu Übergriffen von Polizei und Militär auf Journalisten
türkisch-kurdischer Nachrichtenagenturen.
Auch die im April ausgelöste Welle von Verhaftungen politisch aktiver
Kurden hält weiter an. Nachdem türkische Anti-Terror- Einheiten Ende Mai
14 Gewerkschafter des Dachverbandes KESK festgenommen hatten, wurden in
den Städten Van und Kars 14 Studierende bei Razzien in Gewahrsam
genommen. Der Vorwurf lautet immer wieder »Propaganda für eine illegale
Organisation«.
Mit der gleichen Begründung klagte die Staatsanwaltschaft der kurdischen
Metropole Diyarbakir letzte Woche auch 54 DTP-Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister wegen einer Pressekonferenz an, auf der sie sich besorgt
über den Gesundheitszustand des inhaftierten PKK-Politikers Abdullah
Öcalan geäußert hatten. Das seitens der Staatsanwaltschaft angestrebte
Strafmaß für die Kommunalpolitiker beträgt zehn bis fünfzehn Jahre.
Meist werden derartige Verfahren jedoch mit hohen Geldstrafen
beendet.lan geäußert hatten. Das seitens der Staatsanwaltschaft
angestrebte Strafmaß für die Kommunalpolitiker beträgt zehn bis fünfzehn
Jahre. Meist werden derartige Verfahren jedoch mit hohen Geldstrafen
beendet.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2009
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