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Türkei bleibt "Tayyip-Land"

Erdogans Gegner enttäuscht: AKP gewinnt Kommunalwahlen *

Nach der Wahl ist vor der Wahl – kein Politiker in der Türkei hat dieses Prinzip so verinnerlicht wie Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Die Wahllokale waren nach der Kommunalwahl vom Sonntag erst wenige Stunden geschlossen, da kündigte er bereits eine gründliche Analyse der Lage seiner Regierungspartei an. Trotz Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung, Säuberungen in Justiz und Polizei und Internetsperren kam die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) landesweit auf mehr als 45,5 Prozent, gut 6 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Trotzdem wollte Erdogan wissen: »Warum haben wir nicht 55 oder 60 Prozent erreicht?« Denn die nächste Wahl findet bereits im August statt. Möglicherweise wird Erdogan, den frischen Wahlerfolg vom Sonntag im Rücken, bei der dann fälligen Präsidentenwahl selbst als Kandidat in den Ring steigen.

Die islamisch-konservative AKP behauptete am Sonntag auch die Bürgermeisterämter in den größten Städten Istanbul und Ankara, in denen starke Herausforderer aus den Reihen der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) angetreten waren. Zudem erklärte sich die AKP zum Sieger in der bisher von einem CHP-Bürgermeister regierten Touristenhochburg Antalya. Die CHP kam landesweit nur auf knapp 28 Prozent der Stimmen. In den überwiegend von Kurden bewohnten Städten im Osten der Türkei wurde erneut die prokurdische Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) stärkste Kraft.

In »Tayyip-Land«, wie die Zeitung »Taraf« die Türkei nennt, scheint der Widerstandsgeist vieler Erdogan-Gegner, die im vergangenen Jahr im Istanbuler Gezi-Park auf die Barrikaden gingen, erlahmt zu sein. So fragte der Musiker Güney Yüksel am Montag enttäuscht auf Twitter: »Wo ist der Geist von Gezi?«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014


Der große Meister Tayyip Erdogan

Weder Gezi-Unruhen noch Korruptionsvorwürfe haben die Stellung des türkischen Premiers nennenswert geschwächt

Von Jan Keetman **


Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat seine Partei zur Siegerin bei den Kommunalwahlen am Sonntag ausgerufen. Dabei hätte er diesmal eigentlich die schlechteren Karten haben müssen.

Eines steht fest: Recep Tayyip Erdogan hat wieder einen großen Wahlsieg errungen. Zwar blieb seine Partei unter ihrem Ergebnis von nahezu 50 Prozent bei den vorangegangenen Parlamentswahlen, doch mit 45 Prozent kann Erdogan auch zufrieden sein. Damit ist klar: Weder die Gezi-Unruhen im vergangenen Sommer noch die Korruptionsvorwürfe haben Erdogans Position bei den Wählern nennenswert schwächen können.

Diesmal trat Erdogan nach der Wahl nicht nur mit seiner Ehefrau Emine, sondern mit seiner Familie auf den Balkon. Zwar fehlte sein ältester Sohn Burak, dabei aber war sein Sohn Bilal, der im Mittelpunkt der Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan gestanden hatte. In seiner Rede feierte Erdogan das Wahlergebnis als Sieg über ungerechtfertigte Anschuldigungen, die in seiner Interpretation lediglich Angriffe auf die türkische Souveränität sind: »Ich preise Allah, denn jene, die die Türkei angegriffen haben, wurden heute desillusioniert«, sagte er.

Ugur Gürses erklärt Erdogans Sieg in der Zeitung »Radikal« damit, dass die Wähler nach ihrem Geldbeutel und nach nichts anderem schauen. Zwar hat die Türkei in letzter Zeit einige ökonomische Probleme, zum Beispiel ein wachsendes Defizit in der Leistungsbilanz, ein sinkendes Wirtschaftswachstum und zurückgehende ausländische Investitionen. Aber die Auswirkungen sind bei den kleinen Leuten bisher kaum angekommen. Das Verbrauchervertrauen ist im März sogar kräftig gestiegen.

Bei den Kommunalwahlen vor fünf Jahren führte Erdogan einen ähnlich intensiven Wahlkampf. Es gab damals weder bekannt gewordene Korruptionsskandale des jetzigen Ausmaßes noch Straßenschlachten wie um den Istanbuler Gezi-Park, und dennoch holte Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) nur knapp 39 Prozent. Doch damals steckte die Türkei als Folge der internationalen Bankenkrise in einer schweren Wirtschaftsflaute, die die Leute spürten, während die Börsenanalytiker nicht aufhörten, die Stabilität der Türkei zu feiern.

Doch es sind nicht allein ökonomische Umstände, die Erdogans Position sichern. Es ist auch seine Fähigkeit, die Definitionsmacht über die Ereignisse zu behalten. Steckt die Regierung in Korruptionsskandalen oder gibt es wüste Angriffe, um den Willen der Wähler zu manipulieren? Zeigen die Abhörskandale die Schwäche der Sicherheitsmaßnahmen oder die Gefährlichkeit des Gegners? Mit Hilfe seiner Übermacht bei den Medien, aber auch aufgrund seines persönlichen Geschicks hat es Erdogan auch dieses Mal verstanden, die Diskussion in die für ihn günstige Richtung zu lenken. Sich selbst stellt er als den »großen Meister Recep Tayyip Erdogan« vor, und er ist tatsächlich der große Meister der türkischen Politik.

Bei der Opposition leckt man sich die Wunden. Es gibt zwar viele Fälschungsvorwürfe. Dazu beigetragen haben die zahlreichen Stromausfälle just während der Auszählung der Stimmen. Die Regierung erklärt sie mit einem Wettereinbruch. Darüber hinaus wird in Istanbul von Unregelmäßigkeiten berichtet. Doch um auf einen großflächigen Wahlbetrug zu schließen, reichen die Indizien kaum.

Im Trubel der Wahl ging ein wichtiges Teilresultat weitgehend unter. Im Osten hat die kurdische Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) ihre ohnehin starke Stellung weiter ausgebaut. Die Forderung der BDP nach Autonomie für die Kurden, wie sie der gefangene PKK-Führer Abdullah Öcalan erhebt, könnte dadurch Auftrieb gewinnen. Für Erdogan ist die Entwicklung in Kurdistan, da sie zu Lasten seiner AKP geht, sicher nicht erwünscht und langfristig sogar eine schwere politische Hypothek. Der politische Analytiker Cengiz Candar sieht indessen sogar eine Chance für Erdogan, wenn er sich mit den Kurden verbündet. Er könnte sich so den Erfolg bei der Präsidentschaftswahl sichern – falls er sich denn entscheidet anzutreten. Die Opposition wäre so wie schon bei der Kommunalwahl erneut gespalten.

Eine weitere Hypothek für Erdogan ist das Verhältnis der Türkei zu Syrien. Bei seiner Balkonrede sagte er, Syrien befinde sich zur Zeit mit der Türkei quasi im Kriegszustand. Zwar wollte er wohl vor allem unterstreichen, welch schweren Verrat er in dem jüngsten Vorfall sieht. Im Zimmer des Außenministers war ein Gespräch abgehört worden, in dem es darum ging, wie ein militärischer Zwischenfall mit Syrien provoziert werden könne. Dennoch: Erdogan redete sich weiter in eine Position hinein, von der aus ein militärisches Eingreifen in Syrien möglich erscheint.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014


»Sie werden den Preis bezahlen«

Der Wahlsieger droht seinen Widersachern

Nach dem klaren Sieg bei den Kommunalwahlen hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seinen politischen Widersachern mit martialischen Worten gedroht. »Bis in ihre Höhlen werden wir sie verfolgen. Sie werden den Preis bezahlen«, sagte Erdogan in der Nacht zum Montag vor jubelnden Anhängern in Ankara mit Blick auf die Gegner im eigenen konservativ religiösen Lager. Seit Ende vergangenen Jahres liefert sich Erdogan einen heftigen Machtkampf mit Anhängern der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen.

Nach Monaten politischer Auseinandersetzung und den Demonstrationen der Gezi-Bewegung im vergangenen Jahr hatte Erdogan die Wahlen in Städten und Gemeinden zur Vertrauensfrage erklärt. Er versprach den Wählern wirtschaftliche Stabilität und appellierte stark an den Patriotismus der Türken.

Der starke Mann vom Bosporus präsentierte sich einmal mehr erfolgreich als Wohltäter der Nation: »Er hat soviel Gutes für uns getan«, sagte eine Anhängerin bei einer Kundgebung der AKP in Istanbul. »Wir sind ihm dankbar. Und selbst wenn er Geld für sich genommen hätte.« Erdogan wertete das Ergebnis in der Nacht als »großen Sieg« und »Kampf für die Freiheit der neuen Türkei«. »Das ist der Hochzeitstag für die neue Türkei«, sagte Erdogan. Seinen Widersachern hat er in den vergangenen Monaten immer wieder gedroht. Mehrere tausend Polizisten und Staatsanwälte wurden zwangsversetzt, während Erdogan immer wieder von Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Bewegung sprach.

Erdogans Gegner haben das Internet zuletzt verstärkt für Enthüllungen genutzt. Der Regierungschef sperrte darauf den Kurznachrichtendienst Twitter und die Videoplattform Youtube. Die Kommunalwahlen waren ein Stimmungstest für Erdogan, der sich im August nach mehr als zehn Jahren an der Regierungsspitze zum Staatspräsidenten wählen lassen will.

(nd, 01.04.2914)




Blackout in der Türkei

Regierungspartei AKP triumphiert trotz Korruptionsaffären und Medienzensur bei Kommunalwahlen – Kurden votieren für Autonomie

Von Nick Brauns ***


Trotz Korruptionsvorwürfen, Medienzensur und Kriegsdrohungen gegen Syrien ist die islamisch-konservative »Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung« (AKP) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei den türkischen Kommunalwahlen am Sonntag erneut mit landesweit 43,2 Prozent stärkste Kraft geworden. Gegenüber den Kommunalwahlen vor fünf Jahren ist dies sogar ein Zugewinn von rund vier Prozent. Deutlich wurde damit: Die AKP kann sich weiterhin auf ihre Anhängerschaft in Inneranatolien stützen. Unter der religiös eingestellten Bevölkerung in diesen ländlich oder kleinstädtisch geprägten Regionen zählt das mit einem frommen Habitus verbundene Versprechen wirtschaftlichen Aufschwungs mehr als die Freiheit von Twitter und Youtube.

»Das Volk hat heute die hinterhältigen Pläne und unmoralischen Fallen durchkreuzt«, verkündete Erdogan nach dem Wahlerfolg vor Tausenden jubelnder Anhänger in Ankara eine Nacht der langen Messer gegenüber der Gemeinde seines früheren Verbündeten und jetzigen Gegners, des Predigers Fethullah Gülen. »Es wird keinen Staat im Staate geben, die Stunde ist gekommen, sie zu beseitigen.« Beobachter rechnen nun mit Massenverhaftungen von als Gülen-Anhänger bekannten Journalisten und Beamten.

Die kemalistische Republikanische Volkspartei (CHP) konnte ihre Hochburgen wie Izmir an der Ägäisküste verteidigen, kam aber landesweit nur auf einen Schnitt von rund 26 Prozent und bleibt in kurdischen Städten wie Diyarbakir eine Splitterpartei von einem Prozent. In Ankara unterlag CHP-Kandidat Mansur Yavas – ein ehemaliger Faschist – in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit weniger als einem Prozentpunkt gegenüber AKP-Amtsinhaber Mehli Gökcek. In Istanbul siegte der bisherige AKP-Oberbürgermeister Kadir Topbas klar vor seinem CHP-Herausforderer.

»Kurdistan votierte für die demokratische Autonomie« kommentierte die Nachrichtenagentur Firat das gute Abschneiden der für regionale Selbstverwaltung eintretenden links-kurdischen »Partei für Demokratie und Frieden« (BDP). Diese regiert mit den der AKP abgenommenen Städten Bitlis, Agri und Mardin nun ein weitgehend zusammenhängendes Gebiet von elf Provinzen im Südosten der Türkei.

Die im Westen erstmals zur Wahl angetretene »Demokratische Partei der Völker« (HDP) – eine Dachpartei aus der BDP und sozialistischen Gruppierungen – erzielte ausgerechnet in Adana, wo ansonsten ebenso wie in der Nachbarprovinz Mersin die faschistische Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) zur stärksten Kraft wurde, mit 8,3 Prozent ihr bestes Ergebnis. Der Wahlkampf der HDP war vielerorts durch faschistische Schlägertrupps behindert worden. Die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) stellt in Ovacik in der alevitisch geprägten Provinz Dersim zukünftig den ersten offen als Kommunisten auftretenden Bürgermeister in der Geschichte des Landes. Von Wahlbeobachtern wurden nach Angaben der Gülen-nahen Tageszeitung Todays Zaman rund 500 Fälle von Manipulation und Wahlfälschung gemeldet. In Urfa, Eskisehir und weiteren Städten kam es während der Stimmauszählung zu Stromausfällen. Während nach Ansicht von Oppositionspolitikern die Lichter abgedreht wurden, um Wahlscheine zugunsten der AKP zu manipulieren, machte der Energieminister »schwere Stürme« verantwortlich. Die CHP will die Wahlen unter anderem in Ankara anfechten. Anwälte sprechen von bis zu 20000 verschwundenen Stimmzetteln.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 1. April 2014


Die Türkei braucht eine glaubhafte linke Alternative

LINKE-Politikerin Sevim Dagdelen fordert unabhängige Untersuchung von Unregelmäßigkeiten bei den Kommunalwahlen ****

Die Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Sevim Dagdelen, hat eine unabhängige Überprüfung der Ergebnisse der türkischen Kommunalwahlen gefordert. Mit ihr sprach für »nd« Roland Etzel.

Sie haben davon gesprochen, dass es bei den Kommunalwahlen in der Türkei am Sonntag Wahlfälschungen gegeben habe, und Sie fordern eine unabhängige Überprüfung der Ergebnisse.

Ich sprach von möglichen Wahlfälschungen, da über Unregelmäßigkeiten berichtet wurde. Über 1400 Beschwerden wurden bei den Behörden in der Türkei eingereicht.

In mehreren Orten kam es zu seltsamen Stromausfällen, aufgrund deren die Auszählung bei Kerzenschein erfolgen musste. Darüber hinaus sollen in mehreren Orten an Wahllokalen auch Polizisten, teilweise in Zivilkleidung, anzutreffen gewesen sein. Ferner haben einige sehr knappe Ergebnisse in den umstrittenen Hochburgen, besonders in Ankara, einen gewissen Beigeschmack. Und ich denke, eine unabhängige Untersuchung der Stimmen und eine unabhängige Auszählung wären hier angebracht.

Hat das schon jemand in der Türkei verlangt?

Es gibt offizielle Beschwerden der Oppositionsparteien CHP, BDP und der rechten MHP, die bisher eine Nachprüfung in bis zu zehn Fällen fordern.

Es soll auch neun Todesopfer gegeben haben.

Das waren aber rivalisierende Gruppen, Ortsvorsteher.

Unabhängig vom Ausgang möglicher Untersuchungen – denken Sie, dass sie einen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis hätten?

Nein. Die Unregelmäßigkeiten, von denen berichtet wird, reichen als Erklärungsmuster überhaupt nicht für den Erfolg der Regierungspartei. Die AKP hat auch außerhalb der Metropolen, besonders in Mittel- und Ostanatolien, übergroße Mehrheiten erreichen können. Da müssen andere Gründe ausschlaggebend gewesen sein.

Welche sehen Sie?

Beispielsweise die Schwäche der Opposition und die Blockade von sozialen Medien und Netzwerken. Zu wenig in Betracht gezogen wird im Westen auch, dass die AKP nahezu die gesamte Medienlandschaft in der Türkei kontrolliert. Und die einfachen Menschen in der Türkei, vor allem auf dem Land, sind deren ständiger Propaganda und einseitiger Berichterstattung komplett ausgesetzt. Als ich letztes Jahr zwei Mal wegen der Massenproteste in der Türkei war, konnte ich selbst miterleben, dass Leute auf dem Land überhaupt keine Ahnung von den Hunderttausenden Menschen hatten, die auf den Straßen demonstrierten. Auch Monate nach den Protesten wussten es viele nicht, weil sie eben allein staatliche Fernsehsender empfangen.

Angesichts der Mehrheiten, die die AKP bei den Bürgermeisterwahlen in Gebieten wie Bingöl, Elazig oder auch Malatya erringen konnte, denke ich aber auch, dass die Saat der Islamisierung der letzten Jahre leider aufgeht.

Man liest von der Regierungspartei AKP und auch noch von der CHP, der Republikanischen Volkspartei. Gab es denn auch Linke, die kandidiert haben?

In den kurdischen Kerngebieten hat die BDP gute Ergebnisse erzielt. Aber ihre Erwartungen wurden nicht ganz erfüllt. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, ist keine glaubhafte Alternative zur AKP, da sie die soziale Frage nicht stellt und selbst neoliberal ausgerichtet ist. Wenn sich auf Dauer keine Linke in der Türkei etabliert, die die soziale Frage in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt, befürchte ich, wird das die AKP sogar noch stärken.

**** Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014


Erdogans Sieg über »Erdogan light«

Roland Etzel zum Wahlausgang in der Türkei *****

Erdogan hat seine Spitzenposition als dienstältester Demagoge unter den westlichen Regierungschefs eindrucksvoll unterstrichen. Neidvoll wie ungläubig blicken seine ausländischen Kollegen nach Ankara, wo offenbar weder korrupte Familienmitglieder noch heimliche Kriegsvorbereitungen oder das Niederknüppeln von Massenprotesten seinen umfassenden Machtanspruch in Gefahr gebracht haben.

Gewiss, es war nur eine Kommunalwahl, doch der Ministerpräsident selbst wollte sie zum Lackmustest für die Akzeptanz seiner Innen- und Außenpolitik, eigentlich sogar des politischen Gesamtkunstwerkes Erdogan erklärt wissen. Die Opposition hatte sich auf diese Sicht eingelassen und verloren.

Ein Risiko war das für Erdogan nicht. Denn von welcher Opposition ist hier die Rede? Die Kurdenpartei konnte nicht gesamttürkische Opposition sein. Und die Sozialdemokraten von der CHP als zweitstärkste Kraft im Lande sind kraftlos wie seit Jahrzehnten nicht. Sie haben kein Personal, das dem Lautsprecher Erdogan Paroli bieten könnte. Vor allem aber fehlt ihrer Programmatik, wenn man diesem halbnationalistischen Gemischtwarenladen diese Bezeichnung überhaupt zugestehen will, eine soziale Zielstellung. Und »Erdogan light« überzeugt, wie zu sehen, nur wenige.

***** Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014 (Kommentar)


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