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"Wir erwarten solidarische Begleitung"

LINKE-Politiker Movassat über die Wünsche der Jugend in Tunesien und Ägypten an deutsche Entwicklungspolitik *


Der LINKE-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat weilte kürzlich mit einer Bundestagsdelagation in Tunesien und Ägypten. Zu seinen Eindrücken befragte ihn für "neues deutschland" (nd) Roland Etzel.


nd: Herr Movassat, Sie waren kürzlich mit einer Delegation des Bundestagsausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Tunesien und Ägypten. Ist dort inzwischen der politische Alltag eingezogen?

Movassat: Nein, es gibt immer noch große Auseinandersetzungen darüber, wie es weitergeht mit den Revolutionen. Gerade in Ägypten gibt es immer noch eine sehr starke Protestbewegung.

Sie waren jetzt als Entwicklungspolitiker dort. Welche Leistungen für beide Länder gibt es denn momentan, die in Deutschland unter Entwicklungshilfe verbucht werden?

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist seit vielen Jahren aktiv in Ägypten und Tunesien; in beiden Ländern vor allem im Bereich Wassermanagement und Umweltschutz. Zu den klassischen Feldern zählen in beiden Ländern auch Berufsausbildungsprogramme.

Was jetzt dazu kommt, ist die Begleitung des gesellschaftlichen Transformationsprozesses. Dafür wurden Gelder zur Verfügung gestellt, die an deutsche Stiftungen gehen, aber auch direkt in Menschenrechts- und Frauenprojekte. Zu den interessantesten zählen die so genannten Lounges. Es werden dabei Räume geschaffen, wo junge Aktivisten selbstorganisiert zusammen kommen können.

Wie bewerten Sie denn die deutsche Entwicklungspolitik gegenüber Ägypten und Tunesien, bzw. was würde die LINKE anders machen?

Deutschland hat lange die Diktatoren unterstützt, sowohl Hosni Mubarak in Ägypten als auch Ben Ali in Tunesien. Man hat ihnen Waffen verkauft, mit ihnen Wirtschaftsabkommen geschlossen, sie politisch unterstützt. Von deutscher Seite wird noch immer nicht gesagt, dass das ein Fehler war. Man versucht jetzt, durch Demokratieförderungsprogramme zu zeigen, dass man eine andere Politik verfolgt. In dieses Bild passt es allerdings nicht, dass weiterhin ägyptische Soldaten in Deutschland ausgebildet werden. Damit wird der herrschende ägyptische Militärrat - nichts anderes als eine Fortsetzung des alten Herrschaftssystems - weiter unterstützt. Linke Politik würde sowohl derlei Ausbildungshilfen als auch die Rüstungslieferungen beenden.

Haben Ihnen Ihre Gesprächspartner gesagt, was sie jetzt von Deutschland erwarten?

Das hängt davon ab, mit wem man spricht. Diejenigen, die für die Konterrevolution stehen, wie die jetzige Regierung in Ägypten, wollen, dass möglichst wieder Normalität einzieht und die demokratischen Bewegungen ruhig gestellt werden. Ein junger Aktivist beschrieb mir den Zustand der Staatsführung mit: Der Kopf ist ab, aber der Körper lebt noch. Wenn man mit jungen Leuten oder Frauenrechtsgruppen redet oder mit der Gewerkschaft - die wollen vor allem solidarische Begleitung. Sie erwarten, dass der Westen nicht seine eigenen Interessen durchsetzt, sondern sich auf die Seiten der Menschen stellt.

Gehen wir zurück nach Tunesien. Das Land war vor dem Sturz Ben Alis das afrikanische Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen. Hat der Umbruch dem Land wirtschaftlich geschadet?

Jede Revolution schadet erst einmal der Wirtschaft., auch in Tunesien. Es gibt eine gewisse Zeit des Umbruchs, in der vieles neu organisiert werden muss. Es gehen auch erst einmal Arbeitsplätze verloren, weil Unternehmen Angst haben zu investieren. Man ist aber in Tunesien guter Dinge, dass sich das bald zum guten ändert, z. B. weil die Korruption bekämpft wird.

In Tunesien gibt es einen hohen Anteil gut ausgebildeter junger Akademiker, die aber keine entsprechende Arbeit finden. Will Ihr Ausschuss da Hilfsstrategien anbieten?

Ja. Solche Reisen dienen auch dazu herauszufinden, welchen Bedarf es gibt vor Ort. Was brauchen die Menschen, was sind ihre Wünsche? Wir hörten in beiden Ländern häufig, auch von den jungen Aktivisten, dass jetzt vor allem Perspektiven für die jungen Leute notwendig sind Das wäre ein Ansatz für deutsche Entwicklungspolitik - die Möglichkeiten von jungen Leuten zu verbessern, vor Ort Arbeit zu finden, z. B. indem man die Ausbildung junger Menschen unterstützt.

Gehen wir wieder nach Ägypten. Das Land hat 80 Millionen Einwohner, aber einen chronisch unterfinanzierten Haushalt. Da ist doch ein Entwicklungspolitiker ziemlich ratlos, oder?

Auch in Ägypten gilt: Es gibt steuerprivilegierte Superreiche, und es gibt eine allgegenwärtige Korruption und gewaltige Subventionen, die zehn Prozent des Staatshaushaltes ausmachen. Nur ein kleiner Teil der Subventionen ist für Nahrungsmittel - das sind notwendige Subventionen.

Aber zwei Drittel der Subventionen gehen in den Energiesektor. Sie nützen dort der energieintensiven Industrie und den Reichen und kaum der armen Bevölkerung. Solche Subventionen muss man abbauen und sozialpolitisch sinnvoll umstrukturieren. Dadurch machst man sich gleichzeitig unabhängiger vom Internationalen Währungsfonds - eine Forderung der revolutionären Bewegung im Land.

Noch ein Wort zu dem Konflikt mit den in Ägypten tätigen Stiftungen aus dem Ausland, z. B. die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Haben Sie auch darüber gesprochen?

Das war ein großes Thema in den Gesprächen mit der Regierung. Bei deren Angriffen auf die Auslandsstiftungen geht es eigentlich weniger um diverse US-Institute oder die KAS, sondern um die ägyptischen Menschenrechtsorganisationen. Die möchte der Militärrat mundtot machen, indem er sie diskreditiert, sie seien Befehlsempfänger des Westens. Spricht man die ägyptische Regierung darauf an, verweist sie auf die Unabhängigkeit der Justiz, was wenig glaubwürdig ist.

Auch die der LINKEN nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung plant in Ägypten ein Auslandsbüro. Sind die Chancen dafür jetzt schlechter geworden?

Zur Zeit warten alle Stiftungen mit Aktivitäten, bis die Lage klar ist.

* Aus: neues deutschland, 9. März 2012


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