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Turkmenistan braucht Sicherheit am Hindukusch

1680 Kilometer lange Gaspipeline soll bis nach Pakistan und Indien führen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Turkmenistan will sich in die Lösung des Afghanistan-Problems einbringen. Konkrete Vorschläge dazu will die Führung der einstigen zentralasiatischen Sowjetrepublik der UN-Vollversammlung in Kürze zuleiten.

Turkmenistan geht es mit Blick auf den Nachbarn um einen Mix aus sozialen Projekten, mit denen den Taliban der Boden entzogen werden soll, und neuen politischen Mechanismen. Details, die auf einer weiteren Afghanistan-Konferenz in der turkmenischen Hauptstadt Aschchabad erörtert werden sollen, stellte Serdar Durdyjew, der für Afghanistan zuständige Abteilungsleiter im Außenministerium, dieser Tage in Moskau vor. Neben der Stärkung eigener staatlicher Strukturen – derzeit haben die USA das eigentliche Sagen – sollen den Vorrang dabei vertrauensbildende Maßnahmen haben, die den Realitäten am Hindukusch Rechnung tragen und langfristig angelegt sind.

Experten, die beides in Washingtons Afghanistan-Politik von Anfang an vermissen, horchten auf. Zu Recht. Unter Berufung auf seinen neutralen Status hatte Turkmenistan bisher kaum mit der internationalen Anti-Terrorkoalition kooperiert. Der 2006 verstorbene Machthaber Saparmurad Nijasow, dessen zwölf Meter hohes Denkmal in Aschchabad gerade demontiert wird, hatte hin und wieder sogar mit den Taliban Geschäfte gemacht. Dass sich dessen Nachfolger Kurbanguly Berdimuhamedow jetzt zu einem Kurswechsel aufrafft, hat vor allem wirtschaftliche Hintergründe.

Hart von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gebeutelt, in der Russland seine Gasimporte auf unter zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr zurückfuhr und China seine finanzielle Beteiligung an mehreren ehrgeizigen Kooperationsvorhaben im Energiebereich ebenfalls einfror, will Turkmenistan jetzt ein Projekt durchsetzen, mit dem Politiker und Energieexperten sich bereits seit zwölf Jahren abquälen. Es geht um TAPI, eine Gasleitung, die von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan und Indien führen soll.

Das Vorhaben steht und fällt mit Sicherheit und Stabilität am Hindukusch. Die über 1680 Kilometer lange Pipeline führt nicht nur in Afghanistan über weite Strecken durch Gebiete, die fest in der Hand der Taliban sind. Ähnlich hoch sind die Risiken auch in Pakistan, wo die Leitung durch Südwaziristan und Belutschistan verlegt werden muss. In beiden Regionen leben Paschtunen, die Stammesbrüder der afghanischen Taliban. Der Einfluss der Zentralregierung in Islamabad tendiert dort gegen Null.

Dennoch laufen die Vorbereitungen für TAPI auf Hochtouren. In Kürze wollen sich die Energieminister der vier Teilnehmerstaaten treffen und die Harmonisierung der für den Baubeginn erforderlichen Gesetze beschließen. Wie die zentralasiatische Online-Agentur Gündogar meldet, wollen die USA, die an dem Projekt von Anfang an federführend beteiligt sind, eigens dazu von Pakistan eine Genehmigung für die Ausweitung der Antiterroroperation auf die Unruheprovinzen im Nordwesten erwirken. Experten fürchten, der Vorstoß könnte mit einem »zweiten Afghanistan« enden.

Weitere Störfaktoren – von der gegenwärtigen Überschwemmungskatastrophe abgesehen – sind die Spannungen zwischen Indien und Pakistan. Dazu kommt, dass sich Turkmenistan seit Jahren weigert, exakte Zahlen zum Umfang seiner Gasvorkommen herauszurücken. Die acht Milliarden US-Dollar, mit denen die TAPI-Planer jonglieren, rechnen sich aber nur bei voller Auslastung der Pipeline. Und die ist schon deshalb mit einem Fragezeichen versehen, weil Turkmenistan sich auch in Sachen Nabucco – einer Gasleitung, mit der die EU sich zentralasiatisches Gas sichern will – nach wie vor alle Optionen offen hält. Für beide Projekte aber könnte es nicht reichen. Womöglich nicht einmal für eines. Denn den Löwenanteil seiner Förderung hat Turkmenistan durch langfristige Verträge bereits vor neun Jahren an Russland verkauft.

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2010


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