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150 Kilometer bis zu Irans Grenze

USA sondieren angeblich Nutzung einer Luftwaffenbasis in Turkmenistan

Von Irina Wolkowa, Moskau*

Das Außenministerium Turkmenistans dementierte postwendend: Berichte russischer Medien, wonach die USA mit Staatschef Saparmurat Nijasow über die Einrichtung einer Luftwaffenbasis verhandeln, seien frei erfunden. Eben nicht, behauptet die turkmenische Opposition und führt Belege an, die eine andere Sprache sprechen.

Schon im Herbst 2001, als die Antiterror-Koalition die Staaten Zentralasiens um Öffnung ihres Luftraums und um die zeitweilige Nutzung dortiger Stützpunkte für den Afghanistan-Krieg ersuchte, galt die Begierde Washingtons vor allem der Luftwaffenbasis Mary-2 in Turkmenistan, zu sowjetischen Zeiten die größte in Zentralasien. Nijasow lehnte jedoch ab und begründete dies mit strikter Neutralität Turkmenistans. George Bush tröstete sich daraufhin mit den Basen Chanabad bei Karschi in Usbekistan und Manas in Kirgisstan.

Dass Washington nun erneut seine Fühler Richtung Turkmenistan ausstreckt, hat mit Veränderungen der geopolitischen Großwetterlage zu tun. Die von Moskau und Peking dominierte Schanghai-Organisation, der auch die zentralasiatischen Republiken Tad-shikistan, Usbekistan und Kirgis-stan sowie Kasachstan angehören, verlangte im Juli von Washington konkrete Fristen für den Abzug aus Zentralasien. Usbekistan kündigte kurz darauf die Nutzungsrechte für Chanabad, wo am 21. November das Sternenbanner eingeholt wurde.

Doch der letzte Transporter, der dort um 15.45 Uhr Ortszeit abhob, startete offenbar nicht in Richtung Heimat, sondern landete, behauptet jedenfalls die turkmenische Opposition, kurz darauf in Mary-2, das gerade von einer Baufirma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten modernisiert worden war. Dieselbe Firma bringt inzwischen einen weiteren turkmenischen Luftwaffenstützpunkt auf Vordermann: Kuschka, den einstmals südlichsten Vorposten der UdSSR. Solcher Aufwand rechnet sich eigentlich für Turkmenistan nicht, denn dessen Luftstreitkräfte haben rein dekorative Funktion.

Wohl aber lohnt sich der Ausbau für Washington. Sowohl für die Afghanistan-Mission als auch für einen militärischen Schlag gegen Iran. Mit beiden Staaten hat Turkmenistan eine mehrere hundert Kilometer lange Grenze, von der die Basen nur knapp 150 Kilometer entfernt sind. Selbst langsamere Maschinen können Ziele in der Islamischen Republik daher in wenigen Minuten erreichen, momentan sogar nahezu unbehelligt vom Sperrfeuer der iranischen Luftverteidigung. Denn in Erwartung eines Angriffs aus Israel hat Teheran die von Russland gekauften modernen Abwehrsysteme vor allem im Südwesten in Stellung gebracht. Turkmenistan dagegen gilt als befreundeter Staat mit gleichen oder ähnlichen außenpolitischen Positionen. So scheiterten bisher alle Versuche zur einvernehmlichen Teilung des Kaspischen Meeres unter den Anrainern am gemeinsamen Widerstand Irans und des Turkmenen Nijasow.

Dumm für Washington als selbsternannten Gralshüter von Demokratie und Menschenrechten ist nur, dass es mit beidem in Turkmenistan noch wesentlich schlimmer als in Iran bestellt ist, dessen Volk zu befreien Bush in seiner jüngsten Jahresbotschaft zur absoluten Priorität erklärt hat. Nijasow, der 1990 zum Präsidenten gewählte ehemalige KP-Chef der Sowjetrepublik Turkmenien, setzt auf brutale Unterdrückung Andersdenkender und fordert gottähnliche Verehrung von seinen 4,7 Millionen Untertanen. Der Turkmenbaschi – Führer aller Turkmenen, wie Nijasow sich titulieren lässt – steckt die Gas- und Öldollars vor allem in Prachtbauten in seiner Hauptstadt Aschchabad. Dagegen wurden Hochschulen, Kliniken und Theater wegen Geldmangel geschlossen. Letzte Woche traten zudem unfangreiche Rentenkürzungen in Kraft. Mehr noch: Was die Rentner aus Sicht des Turkmenbaschi in den letzten Jahren zu viel bekamen, sollen sie jetzt zurückzahlen. Ihre Bezüge beliefen sich auf 10 bis 90 Dollar monatlich.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2006


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